Wachsende Gewalt, doch die Proteste gehen weiter

In Myanmar sorgt die Tötung einer Rekordzahl an De­mons­tran­t:in­nen für Entsetzen. In den sozialen Netzwerken kursieren verstörende Bilder menschenverachtender Brutalität

Ob dieser Tennisschläger hilft, Tränengasgranaten abzuwehren? Proteste in Yangon am 4. März Foto: ap

Von Sven Hansen

In Myanmar haben auch am Donnerstag wieder Zehntausende Menschen gegen die Militärherrschaft protestiert. Dabei waren am Vortag nach UN-Angaben mindestens 38 De­mons­tran­t:in­nen von Polizei und Soldaten erschossen worden. In der größten Stadt Yangon (Rangun) verbarrikadierten De­mons­tran­t:in­nen Straßenzüge, um ein Eindringen bewaffneter Kräfte des Regimes zu verhindern, mussten sich aber meist zurückziehen. Doch gelang es ihnen, mit zwei großen LKWs eine wichtige Straßenkreuzung auf dem Weg zum berüchtigten Insein-Gefängnis zu blockieren, wie die Zeitung Frontier auf Twitter dokumentierte. Bisher wurden rund 1.500 Menschen festgenommen. Am Donnerstag wurde wieder auf De­mons­tran­t:in­nen geschossen, doch gab es zunächst keine Berichte über weitere Tote.

In zentralen Mandalay nahmen Hunderte an einem Trauermarsch für die am Vortag erschossene Ma Kyal Sin teil. Die 19-Jährige ist zu einer Ikone geworden. Sie trug bei einem Sitzstreik ein schwarzes T-Shirt mit der Aufschrift „Everything will be okay“, als sie mit einem Kopfschuss getötet wurde. Sie steht für das unbeugsame Lebensgefühl der jungen Generation. Doch war sie sich der Risiken bewusst. Laut Reuters hatte sie einen Zettel dabei, auf den sie ihre Blutgruppe notiert und eine Einwilligung zur Organspende im Fall ihres Todes gegeben hatte. Am Donnerstag stiegen Kampfjets über Myanmars zweitgrößter Stadt auf.

Der „blutige Mittwoch“, wie er inzwischen genannt wird, war der Tag mit den bisher meisten Todesopfern. Nach 18 erschossenen De­mons­tran­t:in­nen am Sonntag hatte das CRPH-Kommitee untergetauchter Abgeordneter, das eine Gegenregierung zu bilden versucht, das Putschregime als „Terrororganiation“ bezeichnet.

In den sozialen Medien kursierende derzeit Hunderte nicht verifizierbare Clips vom mutmaßlich brutalen Vorgehen der Regimekräfte. Ein Video zeigt, wie ein bereits Festgenommener hinterrücks erschossen wird. Für Entsetzen haben auch Aufnahmen einer Überwachungskamera auf dem Gelände einer Hilfsorganisation gesorgt. Sie zeigen, wie Polizisten freiwillige Sanitäter aus einem Krankenwagen ziehen, sie mit ihren Gewerkolben verprügeln und danach das Fahrzeug zerstören. Der Krankenwagen hatte auch verletzte De­mons­tran­t:in­nen transportiert.

Ein Video zeigt, wie ein bereits Festgenommener hinterrücks erschossen wird

Auf anderen Clips ist zu sehen, wie Polizei und Militär marodierend durch Straßen ziehen, in Wohnungen hineinschießen, geparkte Fahrzeuge zerstören oder Läden aufbrechen. Am Donnerstag wurde auch die Zentrale der Free Funeral Service Society (FFSS) in Yangon zerstört. Sie ist eine der größten Nichtregierungs- und Wohltätigkeitsorganisationen des Landes und bietet kostenlose Beerdigungen und Gesundheitsversorgung an. FFSS hat eine Geschichte des Widerstands gegen das Militär und erklärte kürzlich, man wolle Angehörige von Polizei und Militär nicht mehr kostenlos beerdigen. Der Angriff erfolgte jetzt offenbar aus Rache.

Das brutale Vorgehen des Regimes, das sich am 1. Februar an die Macht geputscht hatte, sorgt auch international für Entsetzen. Die Regierung von Singapur, das der größte ausländische Investor in Myanmar ist und früher immer zum damaligen Militärregime gehalten hat, legte jetzt ihren Landsleuten die Ausreise nahe. Die EU setzte am Donnerstag ihre Entwicklungshilfe aus. Noch am Nachmittag wollte der Deutsche Bundestag die Entwicklungen in Myanmar nach dem Putsch in einer Aktuellen Stunde debattieren. Am Freitag wird in New York der Weltsicherheitsrat der UN um zweiten Mal über den Putsch beraten.