Neues Polizeigesetz im Kieler Landtag: „Auf Kinder schießt man nicht“
Am Freitag beschließt der Kieler Landtag ein Polizeigesetz, das den Beamt*innen mehr Befugnisse im Einsatz einräumt.
Hamburg taz | Der Auftakt der schleswig-holsteinischen Haushaltsberatungen sorgte am Mittwoch für Protest: drei Demonstrationen auf einmal erschwerten das Abstandhalten vor dem Kieler Landtag. Die Protestierenden plädierten für eine bessere Finanzierung der schleswig-holsteinischen Frauenhäuser, ein Atomwaffenverbot und gegen die geplante und umstrittene Änderung des Polizeigesetzes, die der Landtag am Freitag mit den Stimmen der Jamaika-Koalition beschließen will. Unter dem Motto „Gegen Repression und Überwachung“ hatte das „Bündnis gegen das Polizeigesetz“ zum „coronagerechten Protest“ aufgerufen, was in der Praxis hieß: Maskengebot statt Vermmumungsgebot!
Das Bündnis formuliert auf seiner Homepage eine fundamentale Kritik gegen die Novelle. Plakativ unterstellt es den Urheber*innen des Entwurfes, den „unerklärlichen Wunsch, auf Kinder schießen zu dürfen.“ Es spielt damit auf einen Passus des Gesetzes an, nachdem Polizist*innen gezielt auch auf Jugendliche unter 14 Jahre schießen dürfen um Extremlagen aufzulösen.
Der grüne Sicherheitspolitiker Burkhard Peters, der an dem Gesetz mitgestrickt hat, nennt als möglichen Anlass für einen solchen finalen Rettungsschuß auf Kinder einen Amoklauf an einer Schule, bei dem das Leben anderer Kinder bedroht ist. Bislang gab es ein solches Szenario in Deutschland noch nicht.
Neben dem Bündnis und der Linken hat auch die oppositionelle SPD massive Bedenken gegen diese Befugniserweiterung. „Auf Kinder schießt man nicht“, sagt die innenpolitische Sprecherin der SPD, Kathrin Bockey. Diese „politische Verschiebung von ethischer Verantwortung“ sei „ein Dammbruch“, den die SPD nicht mitmache. Peters hält dagegen, das Strafgesetzbuch schreibe heute schon vor, dass ein Polizist unter sehr eingegrenzten Umständen auch auf ein Kind schießen müsse. Der Schusswaffengebrauch gegenüber Kindern werde seit Jahren in den Länder-Polizeigesetzen geregelt – auch in Bundesländern, die von der SPD regiert werden.
Der umstrittene Gesetzentwurf erlaubt den Polizeibeamt*innen ausdrücklich den „finalen Rettungsschuss“. Dabei schießen die Beamten gezielt auf lebenswichtige Organe, um eine*n Geiselnehmer*in oder terroristische*n Gewalttäter*in zu töten, sofern dies das einzige mögliche Mittel der Gefahrenabwehr ist. Explizit einbezogen sind hier auch Täter*innen, die noch nicht 14 Jahre alt sind.
Der „finale Rettungsschuß“ wird offiziell erlaubt
Neben dem „Kindstötungs-Paragraphen“ ist vor allem die Einschränkung von Freiheitsrechten, die das Gesetz schon im Verdachtsfall vorsieht, umstritten. Zur Vermeidung von terroristischen Anschlägen darf die Polizei in Zukunft ihr verdächtig vorkommende Personen dazu zwingen, sich nicht nur regelmäßig in einer Dienststelle zu melden, sondern – wenn ein*e Richter*in dem zustimmt – bei Terrorverdächtigen auch eine elektronische Fußfessel anlegen, um den Aufenthaltsort permanent zu überwachen. „Damit wird Menschen, die gegen kein Gesetz verstoßen haben, die Bewegungs- und Handlungsfreiheit weitgehend entzogen“, kritisiert das Bündnis.
Auch die Gesellschaft für Freiheitsrechte (GFF) warnt davor, „dass die Polizei bereits dann tief in Grundrechte eingreifen kann, wenn sie nur den vagen Verdacht hat, dass von einer Person in Zukunft eine Gefahr ausgehen könnte.“ Damit setze Schleswig-Holstein die Schwelle für schwerwiegende Eingriffe massiv herab – mit klar verfassungswidrigen Vorschriften, sagt Bijan Moini, Jurist der GFF. Er klagt: „Meldeauflagen und Fußfesseln sind extrem stigmatisierend und schränken die Betroffenen massiv ein.“ Die Novelle gehe damit weit über entsprechende Befugnisse in anderen Polizeigesetzen hinaus.
Lässt Racial Profiling sich einfach verbieten?
Das stimmt nur zum Teil: So können etwa auch in Niedersachsen und Hamburg nach den im vergangenen Jahr verabschiedeten Polizeigesetzen Terrorverdächtige durch elektronische Fußfesseln überwacht werden. In Niedersachsen tragen derzeit vier Personen eine solche Fußfessel, Innenministerin Barbara Havliza (CDU) will den Einsatz der Detektoren jedoch in den kommenden Jahren massiv ausweiten. Und bundesweit ist nur in Bremen der finale Rettungsschuss gegen unter 14-jährige nicht zulässig.
Das neue Polizeigesetz rüstet die schleswig-holsteinischen Einsatztruppen zudem mit Elektroschockern und Bodycams sowie mit erweiterten Festnahmebefugnissen aus. Die Ausweitung der polizeilichen Instrumentarien ist für die Grünen schwer mitzutragen. „Natürlich konnten wir uns nicht mit allem durchsetzen.“, räumt Peters ein. Ihm sei vor allem wichtig, dass in dem Polizeigesetz Racial Profiling untersagt werde. „Da sind wir uns mit der Polizei einig und haben mit der Formulierung im Gesetz ein deutliches Zeichen gegen Diskriminierung gesetzt“, freut sich der Grüne.
Das Bündnis gegen das Gesetz sieht das ganz anders: Dass in der Praxis von der Polizei überdurchschnittlich häufig People of Color kontrolliert und durchsucht werden, liege nicht an den Gesetzesgrundlagen, sondern an den rassistischen Stereotypen in den Köpfen der Polizist*innen.
Leser*innenkommentare
Telligraph
Es geht hier doch gar nicht um den Fall eines Amoklaufs oder eines terroristischen Anschlags. Es geht hier allein um Einschüchterung der Massen und darum, in Zeiten, in denen junge Menschen anfangen, sich zunehmend politisch zu engagieren, den Status dieser Menschen in Punkto Recht auf körperliche Unversehrtheit und besondere Schutzbedürftigkeit, aufzuweichen.Es ist wirklich erschreckend, mit welch immenser Geschwindigkeit wir gerade in dystopisch diktatorische Verhältnisse abdriften.
Bolzkopf
Jaja, keine einziger Fall ist bekannt (und auch kaum denkbar!) bei dem der Kinder-Tötungsschuss (hier als "finaler Rettungsschuss" verharmlost) berechtigt wäre.
Im Zweifel haben die tötenden Beamten dann die Banane in der Hand des Teenagers als AK47 "fehlinterpretiert".
Insbesondere angesichts der Tatsache, dass Polizeibeamte offnebar noch nichtmal in der Lage sind Brandgeruch aus einer Gewahrsamszelle wahrzunehmen ...
Suryo
Im Zweifelsfall weiß ein_e Polizist_in doch sowieso nicht, wie alt ein_e Amokläufer_in ist.
Abgesehen davon: die Grünenwähler machen wirklich ALLES mit, oder? Ob Abschiebungen nach Aghanistan in Hessen, komplette Verfehlung von Naturschutzverpflichtungen in BaWü - die Zeiten , in denen solche Sachen zu heftigsten Debatten, Parteiaustritten oder gar Koalitionsbrüchen geführt haben, sind lange vorbei. Und es scheint keinen Grünen auch nur im mindesten zu reuen. Diese Partei wird langsam aber sicher zur größten Heuchlervereinigung nach der CDU.
Fr3mdius
Die Grünen haben mal wieder gezeigt, warum sie unwählbar sind.
joaquim
Wahnsinn! Wenn man über die rechten Waffennarren bei der Polizei liest und dann solche zynischen Gesetze sieht, kann man als Vater von Jugendlichen nur Angst kriegen. Polizeistaat ist nicht nur ein Begriff, es ist Tatsache!