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Wasserklang und Vogelsang

Lockdown und Online-Boom beschleunigen auch in Hamburg das Sterben der Innenstadt – bereits im Herbst hat die Kaufhof-Filiale in der Mönckebergstraße dicht gemacht. Doch es gibt Konzepte für eine City-Zukunft jenseits der Shopping-Malls

Von Marco Carini

Geschlossene Warenhäuser, verrammelte Boutiquen, leer gefegte Einkaufspassagen: Die Pandemie hat Hamburgs City voll erwischt. So schloss der Warenhauskonzern Galeria Karstadt Kaufhof vergangenen Oktober in der Mönckebergstraße gleich zwei große Kaufhäuser und hinterließ damit am Eingang der bekannten Shopping-Meile einen Einkaufskrater. Noch ist unklar, wie die nun leer stehenden riesigen Verkaufsflächen zukünftig genutzt werden.

Der Handelsverband Nord rechnet coronabedingt mit weiteren Geschäftsaufgaben – in der Spitaler Straße neben der Mönckebergstraße, stehen bereits zahlreiche Läden leer. Und wie die Hamburger City veröden derzeit etliche Innenstädte. Fast täglich gibt es Meldungen über Filialschließungen und Geschäftsaufgaben. Unlängst wurde bekannt, dass die auf junge Mode spezialisierte Kette Pimkie bundesweit fast die Hälfte ihrer Geschäfte aufgibt und der französische Textilhändler Promod gleich alle seine ­Filialen in Deutschland schließt.

Auch Deutschlands größte Parfümerie­kette Douglas kündigte Ende Januar an, fast jede siebte Filiale in der Bundesrepublik dichtzumachen – insgesamt rund 60 der mehr als 430 Geschäfte. Grund sei die immer schnellere Verlagerung der Umsätze ins Internet, sagte Douglas-Chefin Tina Müller. Betroffen von der Schließungswelle sind dabei auch drei Hamburger Douglas­filialen, zwei davon in zentraler Lage.

Mit den Lockdowns spitzt sich das Laden-Sterben in den Innenstädten zwar zu, neu aber ist die Entwicklung nicht. Schon seit Jahren wird – getragen durch den Einzelhandel – die Forderung nach einer Belebung und Erneuerung der städtischen Zentren immer lauter.

In Hamburg waren es ausgerechnet die Grünen, die während des Wahlkampfs im Herbst 2019 das Thema Umbau der Innenstadt als erste medial platzierten. „Wir möchten das Herz unserer Stadt attraktiver machen“, sagte Vize-Bürgermeisterin Katharina Fegebank. In der Innenstadt solle es mehr Fußgängerzonen, Kommunaltrassen und wesentlich weniger Privat-Pkws geben, sodass viele City-Zonen „weitgehend autofrei“ würden. Mehr Radfahrstreifen sollten auf den City-Straßen eingerichtet werden, die als Parkraum genutzten Flächen wie der Burchard- oder der Taxiplatz am Kattrepel könnten zu öffentlichen Plätzen mit Sitzgelegenheiten und Bäumen umgestaltet werden.

„Wir rechneten mit viel Widerstand gegen unsere Pläne“, erinnert sich Fegebank. Doch stattdessen ernteten die Grünen auch von den von ihnen eingeladenen Wirtschafts- und In­itia­ti­ven­ver­tre­te­r*in­nen Applaus und brachten eine Debatte ins Rollen. Dieter Hamm, Centermanager des Levantehauses, einer gediegenen Hamburger Einkaufspassage, begrüßte den Vorstoß: „Wir brauchen einen Masterplan, um die Innenstadt attraktiver zu machen und sie neu zu erfinden.“

Es müsse „neue Gründe geben, in die Stadt zu fahren“, plädierte Brigitte Nolte aus der Geschäftsführung des Handelsverbandes Nord und wünschte sich, dass die Behörden auf einer Mönckebergstraße großzügig „Außengastronomie zulassen“.

Und auch die regierende SPD spendete Applaus – auf ihre Weise. Sie schrieb das grüne City-Konzept nahezu ab und präsentierte es als ihre eigene Idee. Bei so viel rot-grüner Einigkeit findet sich die Revitalisierung der Innenstadt ausführlich im Hamburger Koalitionsvertrag wieder. Dort heißt es: „Die Koalitionspartner sind sich einig, die Innenstadt städtebaulich weiter aufzuwerten, öffentliche Flächen, Plätze und Straßenräume noch attraktiver zu gestalten.“ Und weiter: „Ziel soll es sein, die Lebens-und Aufenthaltsqualität in der Innenstadt deutlich zu verbessern und den Einzelhandel zu stärken.“

Zwei zentrale Leitprojekte wurden für die laufende Legislatur vereinbart, die erst mal vor allem auf eine Mobilitätswende zielen: Die Sperrung des zum Rathaus führenden Jungfernstiegs für den Autoverkehr und die Verlagerung des Busverkehrs – immerhin zehn verschiedene Linien verkehren dort – von der Mönckebergstraße auf die benachbarte Steinstraße, um die „Aufenthaltsqualität“ der Einkaufsmeile deutlich zu erhöhen. Die bauliche Umsetzung beider Projekte hat unter dem grünen Verkehrssenator Anjes Tjarks bereits begonnen.

„Für den Handel bedeutet der Umsatzrückgang, dass er seine Flächen reduzieren muss“

Marco Atzberger, EHI Retail Institute, Köln

In den Prozess der Neugestaltung innerstädtischer Räume „sollen auch die Stakeholder der Innenstadt (…) einbezogen werden“, heißt es im Koalitionsvertrag. Doch die melden sich, wie etwa die Einzelhandelsverbände, ganz von selbst. Und sogar der Gewinner der Pandemie, der Onlinehandel, mischt in der Diskussion mit. „Innenstädte werden keine Orte bleiben können, wo man vor allem einkaufen kann“, glaubt etwa Otto-Vorstand Marcus Ackermann.

Wichtig sei es, mehr Wohnraum, Kinos, mehr Kulturangebote und mehr Restaurants anzusiedeln. Der Aufsichtsratsvorsitzende des Konzerns, Michael Otto, hatte zuvor von der Innenstadt als einer italienischen Piazza gesprochen. „Da trifft man Menschen, redet, trinkt Cappuccino“, skizziert Ackermann die Zukunft der Städte. Für die City-Geschäfte komme es im Online-Zeitalter darauf an, den Kun­d*in­nen nicht nur Ware, sondern auch Unterhaltung zu bieten.

Fast überall geht die Diskussion in dieselbe Richtung. Mehr Außengastronomie, mehr Plätze mit Aufenthaltsqualität, mehr Wohnungen und weniger Büroräume könnten die Innenstädte zu lebendigen Orten machen, an denen mehr Menschen leben und die Auswärtige in ihrer Freizeit gern besuchen – und wo sie nebenbei einkaufen.

Dabei könnte in Hamburg mehr Grün und ein besserer Alster-Zugang eine wichtige Rolle spielen, wie Klaus Hoppe von der Umweltbehörde betont. Der Abteilungsleiter träumt deshalb von „romantischen und von wilden Orten“ in der City, von begrünten Fassaden und – das Ohr genießt mit – „Vogelsang und Wasserklang“ statt Autolärm.

Auch in anderen Städten läuft eine angeregte Debatte. Am 25. Februar treffen sich mehr als 400 Bür­ger­meis­te­r*in­nen aus Niedersachsen zu einem Online-Gipfel, um das Thema „Innenstädte zwischen Lockdown und Onlinehandel“ gemeinsam mit Unternehmen und Verbänden aufgreifen. Es geht um eine Bestandsaufnahme, um Visionen und konkrete Hilfsmaßnahmen. Der Gipfel soll „ein erster Beitrag für den umfassenden Umbau unserer Innenstädte“ sein.

Dass der stationäre Handel – egal ob großes Warenhaus, Ladenkette oder Einzelgeschäft – in Zukunft weniger Fläche brauchen und die Mond-Mieten nicht mehr zahlen können wird, ist dabei allen Beteiligten klar. „Für den Handel bedeutet der Umsatzrückgang, dass er seine Flächen reduzieren muss“, prognostiziert Marco Atzberger vom Kölner EHI Retail Institute.

Einer EHI-Studie zufolge könnten sich etwa die Handelsflächen im Textilbereich halbieren. Die Innenstädte werden so in den nächsten Jahren ihr Gesicht dramatisch verändern. Wo heute noch Kleidung, Parfüm und Schmuck die Auslagen dominieren, könnte – im besten Fall – eine neue Vielfalt einziehen. „Wir brauchen wieder mehr Geschäfte in der Innenstadt, wo man das bekommt, was man sonst nirgends und schon gar nicht im Netz kriegt“, glaubt Thomas Krüger, Professor für Stadtplanung an der Hafencity-Universität.

„Das Modell der Innenstadt hat noch lange nicht ausgedient – und der Handel wird definitiv ein wesentlicher Bestandteil davon sein, aber es wird anders aussehen“, glaubt Stefan Genth, Hauptgeschäftsführer des Handelsverbandes Deutschland. Er könnte sich sogar vorstellen, dass Senioren-Pflegeheime und Kindertagesstätten künftig dort einen Platz finden.

Die Hamburger Initiative „Altstadt für alle“ betont, der Schlüssel für eine lebendige Innenstadt sei, dort „das Wohnen zu stärken“. Nur wenn Büroräume großflächig in Wohnungen umgewandelt würden, werde die City aufblühen.

Das glaubt auch Verena Herfort, Nord-Geschäftsführerin des Verbandes Freier Immobilien- und Wohnungsunternehmen. „Eine Stadt hat nur Lebendigkeit, wenn dort gewohnt und gelebt wird“, auch am Abend noch etwas los ist, sagt Herfort. Mehr städtischer Wohnraum sei auch ein „Frequenzbringer“ für den Einzelhandel. Deshalb sei „der Bau bezahlbarer Wohnungen“ und die Umnutzung von Verkaufs- und Büroflächen in Wohnraum zentral für die Zukunft der Innenstädte.

Stadtplanungsprofessor Thomas Krüger sieht eine Zukunft der Innenstädte nur, wenn sie „ihre ausschließliche Fixierung auf Konsum aufgeben“ und „Ereignisräume“ schaffen. Ganz praktisch fordert Krüger, dass „20 Prozent aller Innenstadt-Flächen zu günstigen Mieten an Cafés, Kulturschaffende und soziale Einrichtungen vergeben werden“. Dass vom Einzelhandel immer weniger Flächen nachgefragt werde und die Mieten deshalb sinken, schaffe genau diesen „Raum für Veränderung“.

Wichtig sei, dass die vielen guten Ideen nun praktisch und aktiv aufgegriffen würden – hier sei die Politik gefordert. „Wir brauchen ein Transformationsmanagement“, sagt Krüger. Die Stadt müsse alles Beteiligten zusammenrufen und den anstehenden Veränderungsprozess moderieren. Geschehe das nicht, so Krüger, sei „die weitere Verödung der Hamburger City unausweichlich“. Und das will ja niemand.

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