: „Das kann noch lange dauern, bis wir wieder Geld verdienen“
Dank der Hilfen ist das Lüneburger Programmkino Scala gut durch das Coronajahr gekommen. Geschäftsführer David Sprinz über Solidarität, Hygienemaßnahmen, Zuversicht und die Aussichten für dieses Jahr
Interview Wilfried Hippen
taz: Herr Sprinz, wie ist es überhaupt möglich, dass es in der norddeutschen Provinz ein Programmkino wie die Scala gibt? Hat dies damit zu tun, dass Lüneburg eine Universitätsstadt und so der Anteil von Bildungsbürger*innen hoch ist?
David Sprinz: Ohne diese Zielgruppe würde man solch ein Kino hier nicht machen können. Lüneburg ist ein sehr guter Kulturstandort. Wir befinden uns da in einem hochwertigen kulturellen Umfeld.
Also ging es Ihnen heute vor einem Jahr noch blendend?
Ja! Genau vor einem Jahr waren wir auf der Berlinale. Da war Corona bei allen ein bisschen im Hinterkopf, doch während der Berlinale wurde es dann gefühlt täglich ein wenig mehr. Es gab dann auch schon die ersten Fälle in Deutschland. Und gleich nach der Berlinale ging es los und wir merkten, dass es auch für uns ein größeres Problem werden würde. Es konnte sich aber noch niemand vorstellen, in welchem Maße es dann weitergehen würde. Mitte März mussten wir dann die Türen schließen.
Ging das dann von heute auf morgen oder hatten Sie etwas Zeit, um sich auf die Schließung vorzubereiten?
Ja, aber sie war relativ kurz. In anderen Bundesländern mussten die Kinos früher als in Niedersachsen zumachen. Doch wir haben proaktiv mit anderen Kulturstätten in Lüneburg beschlossen, dass wir zum Schutz unserer Mitarbeiter*innen und der Gäste nicht auf die entsprechende Verordnung warten wollten, und hatten dann zwei Tage früher die letzte Vorstellung.
Wie war die Stimmung am letzten Tag?
Die Nachfrage war an dem Wochenende schon deutlich geringer. Man hat gemerkt, dass die Menschen vorsichtiger geworden sind. Im Gegensatz dazu war der letzte Tag vor dem zweiten Lockdown sensationell stark besucht, weil alle noch mal die Gelegenheit genutzt haben und gemerkt haben, dass es für längere Zeit kein Kino mehr geben würde.
Wie haben Sie den ersten Lockdown überstanden?
Wir sind bislang ganz gut über die Krise gekommen, weil es vernünftige Förderprogramme unterschiedlichster Art gab. Das waren zum einen die Überbrückungshilfen vom Bundesland und dann vom Bund entsprechende Fördergelder. Außerdem gab es noch von Frau Grütters ein Paket speziell für die Programmkinos, die über die letzten Jahre Programmpreise gewonnen hatten. Da wurden die Preisverleihungen vorgezogen und so gab es verschiedene schnelle und unkomplizierte Unterstützungen. Und wir konnten Kurzarbeit anmelden. Das half dabei, die laufenden Kosten kleiner zu halten.
Wie viele Mitarbeiter*innen hat Ihr Betrieb?
Insgesamt sind wir ein Team von 18 Leuten.
Haben Sie im Frühjahr auch eine Solidaritätsaktion gestartet?
Ja, wir hatten vor Ostern dazu aufgerufen, Gutscheine zu kaufen, um uns finanziell zu unterstützen. Das war in einer Zeit, als wir noch nicht wussten, ob wir das überhaupt überleben würden. Inzwischen können wir das ja etwas abgeklärter sehen. Wir haben also über die sozialen Medien dazu aufgerufen, Gutscheine zu kaufen. Und die Solidaritätswelle war riesig. Es haben wahnsinnig viele Menschen bei uns Gutscheine bestellt und auch schon angekündigt, dass sie sie niemals einlösen würden. Das war dann sogar deutlich mehr, als wir sonst zu Ostern verkauft hätten.
Wie war es dann, als Sie nach dem ersten Lockdown ein Hygienekonzept entwickelt haben?
Als Erstes musste man ja die entsprechenden niedersächsischen Verordnungen lesen und versuchen, sie zu verstehen. Das waren viele Seiten lange Pamphlete, von denen es gefühlt jeden Tag ein Update gab. Wir haben ein Leitsystem entworfen, sodass unser Notausgang der Hauptausgang ist und die Scala nun ein sogenanntes Einbahnstraßenkino ist. Wir haben Desinfektionsspender installiert. In den Sälen mussten wir die Sitzplätze sperren, die nicht verkauft werden durften. Wir haben genau die Räume ausgemessen und berechnet, wie wir optimal die Abstandsregeln befolgen konnten. Das war eine große Herausforderung. Dann hieß es zuerst auch im Saal: Maskenpflicht. Nach einer Woche durften in den Kinos die Masken dann doch abgenommen werden. Es war schon ziemlich viel Hin und Her.
Wie viele Kinoplätze sind bei Ihnen wegen der Abstandsregeln übrig geblieben?
Wir haben vier Säle mit insgesamt 270 Plätzen und mit der 1,5-Meter-Regelung sind etwa 70 Prozent davon weggefallen.
Hat es sich für Sie gerechnet, als Sie im Sommer das Kino wieder geöffnet haben?
Nein, wir haben Verlust gemacht. Im Sommer hat das Kino ja auch so schon einen schweren Stand. Dazu kam, dass das Publikum noch relativ verhalten und vorsichtig war. Viele haben alles gemieden, was mit Ausgehen und geschlossenen Räumen zu tun hatte. Aber obwohl es betriebswirtschaftlich nicht sinnvoll war, haben wir zusammen mit allen anderen Kinos dann doch aufgemacht, um Präsenz zu zeigen. Denn wir sind der Meinung, dass öffentliche Kultur auch Teil des Alltags sein muss.
Haben Sie sich da von den Verleihern im Stich gelassen gefühlt, weil die ja mit ihren Kinostarts sehr zögerlich waren?
Das hat die größeren Kinos, die auf Blockbuster setzen müssen, viel härter getroffen als uns. Wir hatten den Vorteil, dass wir uns unter den Programmkinos auf einen gemeinsamen Eröffnungstermin geeinigt hatten. Und da gab es dann auch Verleiher, die sich getraut haben, auch im Sommer und unter diesen Bedingungen Filme ins Kino zu bringen. Ich denke, dass das auch für sie nicht kostendeckend gewesen sein kann. Wir hatten im Sommer gute Filme.
War es dann nicht auch ein Vorteil, dass Sie relativ viele Filme aus dem Repertoire zeigen?
Ja, wir haben traditionell ein Sommerfilmfestival, in dem wir die besten Filme der letzten 12 Monate noch mal ins Programm heben. Das machen wir immer, um das Sommerloch zu füllen. Das hat uns auch ganz gut durch die Zeit gebracht.
Im Herbst waren Sie also wieder zuversichtlich?
David Sprinz42, war schon bei der Gründung des Kinos Scala vor über 20 Jahren dort beschäftigt. Seit September 2020 ist er zusammen mit Kevin Beck für die Geschäftsführung verantwortlich.
Über den Sommer hatten ja alle die Hoffnung, dass sich Corona langsam verflüchtigen würde. Und im Herbst sind die Besucherzahlen dann auch gestiegen. Wir durften irgendwann sogar die Abstände von 1,5 Meter auf 1 Meter reduzieren. Aber später im Herbst wurde dann klar, dass die Kinos wieder geschlossen werden würden.
Ob das wirklich nötig war, ist ja auch umstritten. Wie ist Ihre Position dazu?
Der Kinosaal ist ein sicherer Ort. Das haben ja inzwischen viele Studien belegt. Sitzen, nicht sprechen, nicht singen und eine vernünftige Lüftungsanlage helfen enorm dabei, die Verbreitung des Virus zu unterbinden. Wir haben dann auch versucht, das zu kommunizieren. Wir hatten keinen einzigen Fall einer Infizierung und wir mussten auch nie Kontaktdaten abgeben. Aber je höher die Zahlen dann wurden, desto mehr war auch die Zurückhaltung des Publikums zu spüren.
Was machen Sie im geschlossenen Kino?
Wir sind nur ab und zu im Kino. Außer ein wenig Buchhaltung ist da ja nicht viel zu tun. Wir sorgen dafür, dass die Technik nicht stirbt. Dafür müssen die Geräte regelmäßig hochgefahren werden. In den Kinosälen wird überprüft, ob alles betriebsbereit ist, und wir müssen das Wasser in den Klospülungen laufen lassen.
Wie ist Ihre wirtschaftliche Situation jetzt?
Die Hilfen vom Bund für November und Dezember, bei denen 75 Prozent des Umsatzes der gleichen Monate im letzten Jahr ausgezahlt werden, haben uns bisher ganz gut über den Winter gebracht. Aber ab jetzt wird die Lage angespannter, weil es nur noch die Überbrückungshilfe drei gibt, bei der bis zu 90 Prozent der Fixkosten übernommen wird. Und das Finanzpolster, das wir uns sonst im Winter anfressen, um über den Sommer zu kommen, fehlt. Jetzt schrumpft der Kontostand täglich.
Haben Sie Hoffnung, dass Sie Ihr Kino bald wieder öffnen können?
Wir können ja überhaupt nicht abschätzen, wann wir unter welchen Bedingungen wieder öffnen dürfen. Ich persönlich rechne nicht damit, dass die Leute vor dem Mai wieder in die Kinos gehen werden. Das kann noch lange dauern, bis wir wieder Geld verdienen.
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