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Rad weg vom Gehweg

16.000 E-Scooter, 14.000 Fahrräder und 800 E-Mopeds standen vor Corona in Berlin für die schnelle Ausleihe herum. Die Anbieter sind überzeugt, dass ihre Dienste auch längere Autofahrten ersetzen. Für viele Menschen sind herumliegende Roller aber auch ein Ärgernis

Von Claudius Prößer

Genau unter dem Fenster von Michael Springer* hat das Bezirksamt Friedrichshain-Kreuzberg im vergangenen Sommer etwas beinahe Revolutionäres getan: Es richtete den ersten Parkplatz für E-Scooter ein. Stabile rotweiße Baken wurden im Asphalt versenkt und ein Verkehrsschild aufgestellt, das einen Roller mit Stromkabel zeigt. Theoretisch können hier auch Mietfahrräder abgestellt werden, faktisch sind es aber ausschließlich die elektrischen Roller der Verleiher wie Lime, Tier oder Bird, die hier stehen.

Wenn sie denn hier stehen: „Manchmal ist der Platz völlig leer oder es stehen Mülltonnen drauf“, weiß Springer zu berichten, „aber dann kommt auch mal wieder ein Transporter und stellt ein Dutzend Roller auf.“ Grundsätzlich findet der Anwohner das Angebot nicht schlecht, nur an die Nebenwirkungen scheint niemand gedacht zu haben: „Wenn ich nachts das Fenster auflasse, darf ich mir manchmal bis in den frühen Morgen das Gedudel der Scooter anhören, immer wenn jemand einen freischaltet.“

Aber das ist nur ein Nebenschauplatz im Konflikt um die Hoheit auf Berlins Gehwegen, der seit einigen Jahren schwelt. Nicht nur der Fußgängerverband FUSS e. V. beklagt regelmäßig, dass die akkubetriebenen Gefährte oft kreuz und quer herumliegen und zu Stolperfallen werden. Schon 2019 gab es deshalb ein Treffen der Bezirksämter mit der Senatsverkehrsverwaltung, bei dem die Einrichtung Hunderter fester Abstellflächen vereinbart wurde.

Allein, bis heute kann man diese Parkplätze an zwei Händen abzählen. Das Bezirksamt Friedrichshain-Kreuzberg etwa erklärt, es gebe neben der Bergmannstraße bislang nur zwei weitere am Boxhagener Platz, obwohl man für 2020 die Schaffung von 20 Stellplätzen versprochen hatte. Die Finanzierung sei lange unklar gewesen, teilt die Pressestelle mit, in diesem Jahr gehe es aber weiter.

Wie auch immer: Der Nutzen solcher Flächen ist äußerst begrenzt. Denn auch wenn die Anbieter einen Teil ihrer Fahrzeuge dort platzieren – von den NutzerInnen werden sie im Normalfall genau dort zurückgelassen, wo ihre Fahrt endet. Denn das ist es ja, was die Verwendung der Roller attraktiv macht.

Auch weil ein Gesetz in Vorbereitung ist, das eine stärkere Regulierung aller Sharingdienste ermöglichen soll, sind die Anbieter alarmiert und versuchen, ans Verantwortungsbewusstsein der Ausleihenden zu appellieren: „Wir weisen bei jeder Neuregistrierung in unserer App mit einer Serie an leicht verständlichen Erklärbildern, die auch nicht übersprungen werden können, auf die wichtigsten Benutzungs- und Verhaltensregeln hin“, sagt David Krebs vom Berliner Anbieter Tier. Beim Austausch der Batterien würden falsch geparkte Scooter umgesetzt, PassantInnen könnten sie auch telefonisch melden.

Tier stellt in Berlin nach eigenen Angaben rund 3.000 E-Scooter und 1.000 E-Mopeds zur Verfügung. Corona habe im Frühjahr zu einem lediglich temporären Umsatzeinbruch geführt, sagt Krebs, „ab Juni waren unsere Geschäfte profitabel“. Die Scooter würden im Übrigen zu 90 Prozent von Menschen genutzt, die sich mit inländischen Zahlungsmitteln registrierten. Das sei ein Hinweis darauf, dass entgegen dem Klischee keineswegs vor allem Touristen das Angebot nutzten.

Krebs betont, „weite Teile des Geschäftsgebiets“ von Tier lägen aktuell außerhalb des S-Bahn-Rings. Und auch beim Konkurrenten Lime arbeitet man daran, die oft kritisierte Beschränkung auf den Innenstadtbereich aufzulösen: Ab sofort ließen sich E-Scooter sowie E-Bikes, die das Unternehmen ebenfalls im Angebot hat, auch in Steglitz und Spandau mieten. „Wir sind überzeugt davon, dass Lime auch und gerade außerhalb des Zentrums weitere Autofahrten ersetzen kann“, sagt Lime-Deutschland-Chef Jashar Seyfi. Gerade in der Pandemie wolle man „sicherstellen, dass Menschen Zugang zu einfacherer und sicherer Mobilität haben, die physische Distanz ermöglicht“.

Laut der Senatsverkehrsverwaltung hatten die Sharingdienste in Berlin vor Beginn der Pandemie rund 16.000 E-Scooter, 14.000 Fahrräder und 800 E-Mopeds im Angebot. Im Laufe des Jahres 2020 hätten einige ihre Fahrzeuge gänzlich abgezogen, andere teilweise. Konkrete Zahlen lägen aber nicht vor, sagt Sprecher Jan Thomsen, und auch gegenüber der Presse reden viele Scooter-Anbieter nicht gern über den Umfang ihres Fuhrparks und dessen Auslastung.

„Wir sind davon überzeugt, dass Lime auch außerhalb des Zentrums weitere Autofahrten ersetzen kann“

Jashar Seyfi, Lime-Chef

Beim dänischen Fahrrad-Sharer Donkey Republic heißt es dagegen ganz offen, die Vermietungen seien im Coronajahr 2020 auf 320.000 gesunken – nach 469.000 im Jahr 2019. Um der Nutzung durch lokale AusleiherInnen entgegenzukommen, habe man vor einem halben Jahr eine günstige 7-Tage-Mitgliedschaft eingeführt, damit Benutzer die Räder länger am Stück behalten könnten.

Beim vom Senat geförderten Leipziger Fahrrad-Sharer Nextbike dagegen heißt es, man habe trotz Corona 34 Prozent mehr Fahrten verzeichnet als 2019. „Die Leute wollten schlichtweg raus an die Luft, um das schöne Wetter zu genießen und sich sicher mit genügend Abstand fortbewegen“, erklärt Sprecherin Mareike Rauchhaus diesen Anstieg.

Er könnte allerdings auch damit zu tun haben, dass Nextbike sich immer noch im Ausbau befindet und das schon für 2018 geplante Angebotsziel von 5.500 Rädern weiterhin deutlich verfehlt. Was wiederum auch daran liegt, dass die Genehmigung der festen Nextbike-Stationen durch die Bezirke schon vor Corona nur schleppend vorankam.

* Name geändert

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