Russland gibt der EU Rätsel auf

Nach der Verurteilung des Kremlkritikers Nawalny ist aus Brüssel deutliche Kritik zu vernehmen. Bei möglichen Konsequenzen halten sich die Beteiligten zurück. Außenbeauftragter reist nach Moskau

Kreml Russland hat das harte Vorgehen der Polizei bei den Demonstrationen für eine Freilassung des Kreml-Kritikers Alexei Nawalny verteidigt. Illegale Proteste müssten aufgelöst werden, sagte Präsidialamtssprecher Dmitri Peskow am Mittwoch in Moskau.

Festnahmen Am Dienstagabend waren bei Protesten gegen Staatschef Wladimir Putin mehr als 1.300 Menschen festgenommen worden. Laut Angaben der Beobachter von OVD-Info wurden seit Nawalnys Inhaftierung Ende Januar mehr als 11.000 Demonstrant*innen festgenommen.

Urteil Alexei Nawalny war am Dienstag von einem Moskauer Gericht wegen Verstoßes gegen Bewährungsauflagen in Zusammenhang mit einem Verfahren von 2014 zu dreieinhalb Jahren Haft verurteilt worden. Ein zehnmonatiger Hausarrest wird auf die Strafe angerechnet.

Aus Brüssel Eric Bonse

Die Europäische Union hat die Haftstrafe für den Kremlkritiker Alexei Nawalny scharf verurteilt, zögert jedoch bei möglichen Konsequenzen. EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen forderte Russland auf, Nawalny sofort und bedingungslos freizulassen. Der Außenbeauftragte Josep Borrell meinte, mit dem Urteil verstoße Russland gegen internationale Verpflichtungen zur Rechtsstaatlichkeit.

Man müsse auch über neue EU-Sanktionen reden, erklärte Regierungssprecher Steffen Seibert im Namen der Bundesregierung am Mittwoch in Berlin. Beim letzten Treffen der EU-Außenminister war das Thema jedoch nicht zuletzt auf deutschen Wunsch vertagt worden.

In Brüssel herrscht derzeit noch Rätselraten über das weitere Vorgehen. Borrell will am Freitag sogar zu Gesprächen nach Moskau reisen. Auch von der Leyen ging auf Russland zu. Die CDU-Politikerin sagte, sie sei offen für die Zulassung des russischen Corona-Impfstoffs Sputnik V. Zuvor müssten aber „alle Daten“ auf den Tisch.

Im Europaparlament wird derweil der Ruf nach Sanktionen lauter. Die Verurteilung Nawalnys zu Lagerhaft und die Repressionswelle gegen die Opposition zeige, dass die Führung in Moskau „nicht mehr autoritär, sondern totalitär“ agiere, sagte der grüne Europaabgeordnete Sergey Lagodinsky der taz. Deshalb müssten die gesamten Beziehungen mit Russland auf den Prüfstand.

Dies gelte auch für die wirtschaftliche Zusammenarbeit und das umstrittene Pipeline-Projekt Nord Stream 2. Lagodinsky will neue Projekte an drei Vorbedingungen knüpfen: die Einhaltung der Menschenrechte, die Eindämmung von Korruption und die Vermeidung von Schaden für die inner­europäische Zusammenarbeit. Nur wenn alle drei Bedingungen erfüllt wären, könne man mit Moskau noch Geschäfte machen.

Bei Nord Stream 2 sei dies nicht der Fall, so der Grünen-Politiker. Das Projekt müsse daher sofort gestoppt werden. Dies hatte zuletzt auch Frankreich gefordert. Deutschland sei mit seiner Haltung zu Nord Stream 2 völlig isoliert, kritisierte Lagodinsky. „Es ist mir langsam peinlich, die deutsche Politik zu erklären“, fügte er hinzu. Berlin verliere international an Glaubwürdigkeit.

Bei seiner Reise nach Moskau müsse Borrell sich auch mit Nawalny und Vertretern der Opposition treffen, forderte Lagodinsky. Der Kreml-Kritiker sei zu einer Symbolfigur für eine neue demokratische Opposition geworden. Der EU-Außenvertreter müsse der russischen Führung klar aufzeigen, was für sie auf dem Spiel stehe.

Skeptisch äußerte er sich zu einer möglichen Kooperation bei Impfstoffen. Sputnik V könne vom Kreml für Propaganda ausgeschlachtet werden. Berlin scheint dies nicht zu stören: Auch Kanzlerin Angela Merkel hat sich offen für eine Zusammenarbeit mit Russland bei Vakzinen gezeigt. Nun zieht auch die EU nach.