Afghanistan nach US-Truppenreduzierung: Enttäuschte Hoffnungen

Fast ein Jahr ist vergangen, seit die US-Regierung ein Abkommen mit den Taliban schloss. In Afghanistans Hauptstadt herrscht heute Chaos und Gewalt.

Ein junger Mann und 2 junge Frauen in Kabul

Dschalil Amiri, Sodaba Adina und Hila Aschna (l-r) überlebten einen schweren Terroranschlag Anfang November Foto: Arne Immanuel Bänsch/dpa

KABUL taz | Zubair Hakim, 24, lebt in einem kleinen Appartement im Südwesten Kabuls. Die Miete ist etwas teuer, doch hier fühlt er sich sicher. Im Eingangsbereich sind stets bewaffnete Wachen präsent, die Fremde gegebenenfalls ausfragen und kontrollieren. „Das gibt einem das Gefühl von Sicherheit, vor allem in diesen Zeiten“, sagt der junge Ingenieur.

Afghanistans Hauptstadt gehört in diesen Tagen zu den unsichersten Flecken des Landes. Während die Regierung von Präsident Ashraf Ghani weiterhin nicht Herr der Lage wird, wächst die Kritik seitens der Bevölkerung. Hakim erzählt von No-go-Areas und Diebesbanden, die für Handys und ein wenig Kleingeld morden. Hinzu kommen gezielte Attentate auf Personen des öffentlichen Lebens, darunter Journalisten und Aktivisten.

Kurz vor Ende seiner Amtszeit hat US-Präsident Donald Trump die im vergangenen November angeordnete Truppenreduzierung in Irak und Afghanistan durchgezogen. In beiden Ländern wurde die Anzahl stationierter Soldaten auf jeweils 2.500 reduziert. Der Abzug der Truppen ist mit jenem Deal verbunden, den die USA im vergangenen Frühling mit den Taliban im Golfemirat Katar abgeschlossen hatten: Die USA sagten damals einen vollständigen Truppenabzug bis Mitte 2021 zu. Im Gegenzug gaben die Taliban Sicherheitsgarantien ab.

Die Biden-Administration hat bereits verdeutlicht, den US-Taliban-Deal überprüfen zu wollen. Kritiker warfen Trump einen voreiligen Abzug vor, der hauptsächlich auf die persönliche Selbstinszenierung abzielt. Krieg, Terror und eine hohe Kriminalitätsrate sind weiterhin fester Bestandteil des afghanischen Alltags. Mit dem verstärkten Abzug der US-Truppen wird die schlechte Sicherheitslage allerdings selten in Verbindung gebracht. „Wir brauchen keine ausländischen Soldaten, die uns schützen sollen. Dies sollte nämlich die Aufgabe unseres eigenen Sicherheitsapparats sein, doch dieser hat versagt“, so ­Hakim.

Brutal gehen auch staatliche Akteure vor

Als die Friedensgespräche mit den Taliban begannen, hegte Hakim wie viele seiner Landsleute Hoffnungen. Doch nun ist fast ein Jahr seit der Unterzeichnung des Deals vergangen. Und während amerikanische Soldaten nicht mehr zum Ziel der Taliban gehören, werden Afghanen weiterhin angegriffen. Brutal gehen allerdings auch staatliche Akteure, etwa die afghanische Armee, vor, die weiterhin zivile Ziele in ländlichen Gebieten rücksichtslos bombardieren. Der Krieg wurde, ähnlich wie in den 1990er Jahren nach dem Abzug der sowjetischen Truppen, vollständig „afghanisiert“.

Viele junge Afghanen haben den damaligen Bürgerkrieg nur vage in Erinnerung. Nach dem Fall des Eisernen Vorhangs fiel Kabul 1992 in die Hände der Mudschaheddin-Rebellen, die über ein Jahrzehnt lang die UdSSR und ihre afghanischen Verbündeten bekämpften. Kurz darauf entfachte sich ein weiterer Bürgerkrieg und die meisten Mudschaheddin bekämpften einander, während sie plünderten, mordeten und die Hauptstadt in Schutt und Asche legten. Es gibt nicht wenige Afghanen, die das damalige Chaos mit dem gegenwärtigen vergleichen. Es waren jene Umstände, die Mitte der Neunziger den Aufstieg der reaktionären Taliban überhaupt erst ermöglichten.

„Es wurde schon lange ein Punkt erreicht, an dem es vielen Menschen egal ist, wer hier regiert. Die Situation ist untragbar“, meint Mohammad Idrees Akbari, 30, der als Pflegekraft in einem Krankenhaus tätig ist. Er ist froh, dass er in diesen Zeiten einen Job hat. Die Arbeitslosenquote innerhalb der überdurchschnittlich jungen afghanischen Gesellschaft ist hoch. Viele Afghanen wie Akbari denken über Auswanderung und Flucht nach.

Zeitgleich sorgen jene Jung­spunde für Unmut, die sich um Präsident Ashraf Ghani geschart haben. Die meisten von ihnen stammen aus dem westlichen Ausland und haben mittels Vetternwirtschaft hochrangige Regierungsposten erhalten. Sie leben in ihrer eigenen Blase, hinter verbarrikadierten Toren und dicken Betonmauern. Während Ghani von der Expertise seiner Auslandsafghanen schwärmt, haben viele von ihnen auch die Korruption im Land vorangetrieben.

„Befördert wird man nur mittels Beziehungen“

„Man kommt sich einfach dumm und ungerecht behandelt vor. Viele junge Afghanen haben enorme Risiken in Kauf genommen, um in ihrer Heimat zu bleiben. Sie wollen ihr Land aufbauen und keine Hilfsgelder einstecken“, meint Hakim, der selbst für die Regierung arbeitet. Die Korruption hat er gesehen und zu spüren bekommen. „Befördert wird man nur mittels Beziehungen“, sagt er. ­Hakim geht davon aus, dass Ghanis Leute sich absetzen werden, falls der Krieg sich verschlimmert: „Die haben doch westliche Pässe und sind dann ganz schnell wieder weg.“

Umso mehr ist es den Menschen wichtig, dass ein Frieden mit den Taliban trotz aller Anstrengungen zustande kommt. „Der Frieden, auf den wir hofften, ist noch nicht da“, sagt die Studentin Soraya Muradi, 24, aus Kabul. „Sobald die Taliban Teil der Regierung werden, besteht allerdings die Möglichkeit, dass viele von ihnen die Waffen niederlegen. Ich wünsche mir sehr, dass dies geschieht“, so Muradi. Sie ist sich darüber im Klaren, dass die Extremisten ihre Interessen als Frau kaum vertreten. „Doch selbiges gilt auch für die Regierung und vermeintliche Frauenrechtlerinnen, die sich lediglich inszenieren und in den letzten Jahren persönlich bereichert haben“, betont sie.

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