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Ulf Poschardts GeschichtsbildGut gemeint, das Gegenteil von gut

Der „Welt“-Chefredakteur hat einen Detektor für NS-Vergleiche, der häufig Alarm schlägt. Bei eigenen Texten bleibt er stumm. Über verdächtige Rhetorik.

Mit Nazi-Analogien geht Ulf Poschardt auf Twitter nicht allzu vorsichtig um Foto: Juergen Blume/imago

I n meinem ersten Uni-Semester in Israel trat ich einem studentischen Debattierclub bei. Dieser Club verfügte über zwei Grundregeln: Man durfte weder mit Beispielen aus Skandinavien noch mit Nazivergleichen argumentieren. Die erste Regel hatte mit dem Klischee von Skandinavien in Israel zu tun, wonach dort der Sozialstaat immer perfekt funktioniere. Die zweite Regel müsste eigentlich nicht weiter begründet werden.

Jahrzehnte später musste ich an diese Regel erinnern, als ich Besuch von Erika Steinbach empfing. Irgendwie hatte sie die eigenartige Vorstellung gewonnen, sie könnte meine Vorbehalte gegen die AfD-eigene Desiderius-Erasmus-Stiftung zerstreuen. Sichtlich stolz schwärmte sie von den zahlreichen Professoren, Anwälten und Ärzten, die die Stiftung unterstützten. Kopfschüttelnd erwiderte ich, dass Bildung leider nicht vor Barbarei schützt und dass auch in den KZs hochgebildete Ärzte gearbeitet hätten. Ob ich die Ärzte in der AfD mit Nazis verglichen habe, war dann sehr bald Gegenstand eines langen Rechtsstreits mit Frau Steinbach. Auch wenn der Rechtsstreit zu meinen Gunsten ausging, bin ich seither bei NS-Analogien noch vorsichtiger als zuvor.

Ohnehin gilt es in der historischen Bildungsarbeit, mit der Dialektik des „Nie wieder“ sorgsam umzugehen. Denn „Nie wieder“ bedeutet: Natürlich kann sich die Geschichte wiederholen. Schon allein deshalb müssen strukturelle Analogien grundsätzlich möglich sein. Aber direkte Vergleiche der Gegenwart mit der Nazi­zeit sind dafür in den allermeisten Fällen kein geeignetes Mittel. 

Jemand, der bei diesem Thema neuerdings ungewohnt zartfühlend auftritt, ist der Welt-Chefredakteur Ulf ­Poschardt. Er will NS-Vergleiche schon dort bekämpfen, wo manche zweifeln könnten, dass überhaupt welche stattgefunden haben.

In der Jüdischen Allgemeinen knöpfte er sich etwa den Fernsehmoderator Georg Restle vor. Restle sei „nicht zimperlich“, wenn es um jüdische Themen gehe, so der Vorwurf, den Poschardt unter anderem damit belegt, dass Restle Vokabeln wie „Ökozid“ verwendet. Auch bei der Bundeskanzlerin schlug Poschardts Detektor an: Die nämlich hatte für Corona das Wort „Unheil“ verwendet – laut Poschardt „eine fatale Metapher, in der unüberhörbar das,Heil' anklingt“.

Man würde sich wünschen, dass Poschardt diese sprachliche Sensibilität auch aufs eigene Schreiben richten könnte. Auf Twitter jedenfalls ist er nicht zimperlich mit Vergleichen, bei denen mir persönlich flau wird. Erst vor Kurzem postete er einen Welt-Artikel über die Umweltaktivistin Neubauer mit dem verfremdeten Goebbels-Zitat „Wollt ihr die totale Angst?“. Neubauer hat es Poschardt angetan: Erst letzten Monat verglich er sie und die Klimabewegung mit der verschwörungstheoretischen bis rechtsradikalen Querdenken-Bewegung.

Reichlich selbstgemaltes Geschichtsbild

Ebenfalls nicht zimperlich ging er mit linken Demos im Berliner Villenviertel Grunewald um – ähnliche Proteste hätte es laut Poschardt „schon mal“ gegeben, nämlich „zwischen 1933 und 1945“. Das geht nach der Formel: Die Nazis von damals sind die Linken von heute, die Juden von damals sind die jetzigen Kapitalisten. Ohne jeden Skrupel reproduziert er dabei das Vorurteil, dass in einem Reichenviertel hauptsächlich Juden zu Hause sein müssen.

Um sich das Ganze leichter zu machen, erklärt er uns wenig später, dass die Naziideologie eigentlich links sei: Sie entstamme nicht blankem Judenhass, sondern dem „Wunsch nach Gleichheit“. Hitler und Goebbels als Kämpfer für Gleichberechtigung?

Wo schon der Chef über ein reichlich selbstgemaltes Geschichtsbild verfügt, werden mir einige Welt-Texte etwas verständlicher: Im Sommer etwa zeigte Welt-Chefkommentator Torsten Krauel mal eben Verständnis für Nazi-Verbrecher und stellte nostalgisch fest, dass viele von ihnen ihre Jobs nach dem Krieg auch deswegen behalten durften, weil es 1945 noch keine „Cancel Culture“ gab.

NS-Vergleiche ja, aber nur, wenn es gegen die Richtigen geht: Mit dieser Regel wäre Poschardt schon an den Eingangstests meines israelischen Debattierclubs gescheitert. Gott sei Dank ist die Argumentationsweise eines Ulf Poschardt ziemlich unvergleichlich.

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Meron Mendel
Meron Mendel ist Pädagoge, Historiker und Publizist. Seit 2010 ist er Direktor der Bildungsstätte Anne Frank in Frankfurt und Kassel
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15 Kommentare

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  • Däh&Zisch - Mailtütenfrisch - merkt an -

    “ Broder dient dem Blatt der Feigen.



    So muss die Welt nicht alles zeigen.“

    kurz - Bemerkenswert ist aber nur!



    Sojet Schiss - figuriert unter taz-Kultur!



    Klaus Theweleit befand unterdessen



    “BILD eine Zeitung nennen:



    Schon ein Verbrechen“ meine Fressen!



    & Shure -



    Poschie vande Welt unter Kultur



    Is sicherlich mein Schatz!!



    Zu Neujahr - Verdöpfnerung der taz.



    Newahr. Wiedermal - Normal!

    unterm——-



    “ Gaucho-Tanz auf der WM-Party



    : Das war nicht die echte Mannschaft



    Wir sind betrogen worden auf der Fanmeile. Eine Polemik gegen die Inszenierung der Weltmeister – und einige Anmerkungen zur taz-Berichterstattung.



    taz.de/Gaucho-Tanz...WM-Party/!5037365/



    & Däh!



    taz.de/-Vor-25-Jah...-die-taz/!5400293/



    ”…Heute geht es um die Zukunft der ganzen Branche. Dennoch sollten wir genauso wenig nach dem Staat rufen, wie es die taz vor 25 Jahren getan hat. In der Phase der Transformation benötigt die Verlagsbranche stattdessen neben wirtschaftlichem und intellektuellem Wettbewerb Einigkeit in den ganz grundsätzlichen medienpolitischen Fragen. Einigkeit, die sicherstellt, dass künftig weiter gestritten werden kann. Im Wettbewerb und vor allem in der gesellschaftlichen und politischen Debatte.

    Und da, ja, liebe taz-Genossen, sind sogar Allianzen zwischen taz und Bild denkbar.



    MATHIAS DÖPFNER“

    Na Mahlzeit

  • Bei der Welt schreibt auch die "Die Achse des Guten", die nachweislich Artikel „auf Hetze und Falschbehauptungen“ aufbauen. Und Herr Poschardt hasst FFF, weil die ihm einen Elektroporsche ohne brumm brumm Geräusche auf Auge drücken wollen. Da kann der rechtskonservative reaktionäre Mann von vorgestern mit Brumm Brumm Porsche fürs Ego schon mal in blöde Nazivergleiche abdriften. Die Welt, halt eine weitere Blödzeitung aus dem Hause Springer!

  • "Ebenfalls nicht zimperlich ging er mit linken Demos im Berliner Villenviertel Grunewald um – ähnliche Proteste hätte es laut Poschardt „schon mal“ gegeben, nämlich „zwischen 1933 und 1945“. "

    "hätte" Echt jetzt?!! Enteignungen von Juden hat es nun nur eventuell gegeben. Das wollen Sie per Konjunktiv in Zweifel ziehen?

    Der historische Bezug ist ja nicht konstruiert. Die letzte Vorführung von Reichen im Grunewald davor war halt eine von Nazis gegen den "reichen Juden". Die letzte Enteignungswelle im Grunewald wurde von den Nazis veranstaltet ( siehe z.B. Karte der Stolperstein Berlin: www.stolpersteine-...ding-stolpersteine )

    • @Rudolf Fissner:

      Sie sollten einmal den Text noch einmal lesen.



      Das "hätte" ist eine indirekte Rede und Wiedergabe der Aussagen Poschardts.



      Im Konjunktiv zum einen, um sich nicht Poschardts Argumente anzueignen und dies als seine Aussage kenntlich zu machen. Zum anderen um nicht seinen Vergleich zu wiederholen, der absolut unhaltbar ist.



      Durchaus üblich das so zu formulieren. Lernt meine Tochter gerade in Deutsch.

    • @Rudolf Fissner:

      Kommentar entfernt. Bitte halten Sie sich an die Netiqutte.

      Die Moderation

  • Däh&Zisch - Mailtütenfrisch - legt nach - jau

    “ Heil Kräuter - Karl mit VogelV

    Operation HEIL!Kräuter



    Kabarett im Dritten Reich



    „Der Herr Hitler kann froh sein, dass er nicht Kräuter heißt. Sonst müssten wir immer Heil Kräuter rufen“, so soll es Karl Valentin in den 1940er Jahren auf der Bühne gesagt haben. Ein Scherz, der zu Zeiten des dritten Reichs nicht ungefährlich war.

    Doch trotz allem Druck und aller Gefahr, zahlreiche Kabarettisten schafften es, das Naziregime offen oder zwischen den Zeilen zum Gegenstand ihrer Satire zu machen. Nicht wenige wurden deshalb mit einem Berufsverbot belegt, was allerdings noch die glimpfliche Variante war. Einige landeten hingegen auch in den Konzentrationslagern und selbst dort versuchte mancher noch, seiner Kritik mit Humor ein Sprachrohr zu geben. Wieder andere Künstler, meist mit jüdischem Hintergrund, verließen Deutschland, anfangs nach Österreich, was allerdings nur einen kurzen Aufschub darstellte. So finden sich deutsche Kabarettisten ab Ende der 30er Jahre in aller Welt verstreut. Aus der Not heraus und trotz sprachlicher Barrieren entstanden dadurch sogar deutsche Kabarettensembles hervorragender Qualität in vielen Teilen Europas und sogar in New York!

    In „Operation HEIL!Kräuter“ präsentiert Sebastian Schlagenhaufer in einem bewegten Reigen ausgewählte Chansons, Texte und kurze Szenen aus Bühnenprogrammen verschiedener mutiger Kabarettisten dieser dunklen Zeit, von den Münchener Nachrichtern um Helmut Käutner über Werner Finck, kreativer Kopf der Berliner Katakombe, dem Wiener Werkel bis hin zum Exilkabarett in den USA. Ergänzt wird das Programm um Hintergründe zum Leben, Wirken und Schicksal der Akteure. Am Klavier begleitet Ramon Bessel die Revue und lässt die 30er Jahre musikalisch lebendig werden.

    Ein Bühnenprogramm der Zeitgeschichte – humorvoll und bewegend zugleich!

    kurz - Poschie - Welt will nichts heißen!



    So dumm - daß ihn die Schweine beißen!

    theater-marktschwa...tion-heilkraeuter/

  • Danke für den Text. Die WELT wird mir immer unheimlicher. Aber man hat ja einen Broder als Feigenblatt.



    Reicht das?

    • @Eimsbüttler:

      Broder - ein Feigenblatt? Mach Bosse!

      Der alte Eimsbüttler Walter Jens kann da nichts mehr zu sagen.



      Aber Wiglaf Droste läßt sich anführen:



      “ein freund für henryk broder! von WIGLAF DROSTE



      “… Ein bisschen bedauerlich ist die Verschrumpfkopfung Broders schon: Wie er in den Achtzigerjahren den deutsch-antisemitischen Volkskörper in den Hintern trat, das hatte Wut, Schwung und Wahrheit.



      Danach ging es meistenteils bergab: Broders bevorzugte Angriffsfläche wurde die ehemalige DDR; je länger sie nicht mehr existierte, umso mutiger drosch er auf sie ein. Broder hat ein Hauptgesetz seines eigenen Genres vergessen oder verdrängt: Polemik aus der Mehrheitsposition heraus funktioniert nicht.



      Gemeinsam mit dem Bundeskanzler gegen das Volk stänkern, wenn es in Teilen nicht fahnenschwenkend mitläuft, ist nicht Polemik, sondern Parteitags- und Erpresserprosa.



      Die sich noch mit Weinerlichkeit paart: „80 Prozent seiner Sozialkontakte“, jammerte Broder im Interview mit Springers Welt, habe er „nach dem 11. September verloren“, außer mit seiner Familie habe er nur mit seinem „Freund Reinhard Mohr“ Telefonkontakt gehabt. Wenn Broder aber niemand mehr geblieben ist als der Pazifistfucker Reinhard Mohr, dann muss man ihm helfen. Zusammenlegen jetzt! Kaufen wir Henryk Broder einen neuen Freund – und wenn es einer zum Aufblasen ist. Denn vom Aufblasen versteht Henryk Broder eine Menge.“



      Ach was!

      —— servíce



      taz.de/ein-freund-...F-DROSTE/!1116886/

      • @Lowandorder:

        Broder hat auch auf vielfältige andere Art und Weise Sozialkontakte verloren...

        "Hallo Henryk, ich bin´s, Jossi aus Tel-Aviv. Erinnerst Du Dich, wir haben einige Male zu Mittag gegessen, als Du hier warst. Du warst auch in meinem Büro, zum Pippimachen und email-Checken. Als ich mich einfach nicht dazu durchringen konnte, in Deine Website achgut.de zu investieren, hat dann der Kontakt zwischen uns irgendwann wieder aufgehört."

        buecher.hagalil.com/2009/10/biller-2/

        Darum höre ich auch lieber Leuten wie Jossi Reich zu, weil bei dem nicht dauerhaft der enrage timer abgelaufenen ist, Musik kann der auch besser als Broder...

        • @Sven Günther:

          Ja - Svennieboy - is halt n 🗺gewandter!

          unterm——-Ferkulum —



          m.youtube.com/watch?v=5fVFi4KKook

          Ronni Boiko und Jossi Reich provozieren mit der Band „The Jewish Monkeys“ durch schweinische Texte und eine kruden Mix aus Klezmer, Punk und Zirkusmusik. Ihren Humor erklären sie mit dem Aufwachsen als Juden in Deutschland und zum Thema Heimatgefühl gibt es eine klare Ansage von Jossi Reich: „Ich fühle mich zuhause zwischen den Beinen meiner Frau.“ 🤫 -



          www.deutschlandfun...:article_id=317737

          kurz - …anschließe mich. Die ham Brodie schlicht nicht verdient - 😂 -

  • "Kopfschüttelnd erwiderte ich, dass Bildung leider nicht vor Barbarei schützt"

    da märkte ,der krieg und auch machtkämpfe in parteien oder auch der wettkampf um die gunst eines verdorbenen lasterhaften und sündigen publikums nur schlechte und ungerechte eliten hervorzubringen vermögen



    ist bildung für eliten in der tat kein schutz vor barbarei



    die massen werden durch bildung zwar auch nicht besser aber misstrauischer und schwerer gegen ihre eigenen interessen manipulierbar



    in staaten in denen die manipulierbarkeit der massen durch die eliten begrenzt ist und es auch in krisenzeiten bleibt ist weniger barbarei möglich



    insofern ist bildung indirekt doch ein schutz vor barbarei



    aber eben nur bildung für alle und nicht bildung für privilegierte und durch ihre privilegien mehr oder weniger zwangsläufig korrumpierte



    menschen

  • Schlimm-Herrlich. Gewiß.

    Aber dieser Wünschelrutenausschlag vande Poschie - 🥳 -



    Bomfurzionös - 😂 -



    “ Auch bei der Bundeskanzlerin schlug Poschardts Detektor an:



    Die nämlich hatte für Corona das Wort „Unheil“ verwendet –



    laut Poschardt „eine fatale Metapher, in der unüberhörbar das,Heil' anklingt“.“



    Ach was! Warschau & Luurens all - 🤫 - Steinalt:



    “Hein! Hein! Aufwachen! Kiik di dat an!“



    Wie höb‘n nieje Regierung!“



    “Wat - de Reichsschnotterbremse wech? Wat Kunn angahn?!“



    “Liggers. Kiik doch door! - HEILKRÄUTER! - 😱 - “

    In dem Sinne - Frohes Neues! - 🎆 - 🥂 -

    • @Lowandorder:

      Grad wollte ich auch was dazu sagen, aber ich könnte es nicht besser als



      "Bomfurzionös - 😂 -"



      🎩Prost Neujahr 🥂

      • @Willi Müller alias Jupp Schmitz:

        Danke & Na dito - werr trüch - Alter Schwede - Hol di fuchtig.

        • @Lowandorder:

          Wird schon was geben. Ich warte gerade im Hotel auf den Pizzadienst. Futter wird wohl die nöchste Zeit ziemlich junkig...



          Ich werde aber nicht verhungern!