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Leistungs­steigerung um jeden Preis

Schmerzmittelmissbrauch ist nicht nur ein Problem hochbezahlter Profis, sondern bis in die Kreis- und Jugendligen hinein verbreitet

DFB-Präsident zeigt sich von Erkenntnissen „schockiert“

VonRalf Lorenzen

Fitspritzen ist ein hässliches Wort“: Das sagte ein Bundesliga-Trainer Anfang der 1990er-Jahre, als er danach gefragt wurde, ob auf eben diese Art einer seiner Spieler kurzfristig einsatzbereit geworden wäre. „Ich würde sagen: Er ist gut behandelt worden“, so der Trainer.

Seit der Zeit, als dieses hässliche Wort den Umgang mit dem Sportlerkörper charakterisierte, sind Pharmazie und Sprachgebrauch verfeinert worden – das Grundproblem ist geblieben. „Ibuprofen wird wie Smarties verteilt“, sagt der Bundesliga-Profi Neven Subotić in der im Juni ausgestrahlten ARD-Dokumentation „Geheimsache Doping – Hau rein die Pille“, für die das Rechercheteam mit mehr als 150 Bundesliga-Spielern, Ex-Profis, Trainern, Teamärzten, Wissenschaftlern und Funktionären gesprochen hat.

Von den Vereinen gebe es keine große Aufklärungsarbeit, weil sie unter Druck stünden, die Spieler so schnell wie möglich fitzukriegen, so Subotić. Die Praxis des Schmerzmittel­einsatzes im Profifußball wurde zuletzt breit diskutiert, als der ehemalige Profi Ivan Klasnić zwei Mannschaftsärzte von Werder Bremen verklagte, weil sie eine schwerwiegende Nierenerkrankung nicht erkannt hatten. Nichts ahnend hatte er weiter Schmerzmittel konsumiert, Klasnić lebt mittlerweile mit der dritten Spenderniere.

Nun könnte man solche Geschichten als Problem einer kleinen Kaste gut bezahlter Berufssportler*innen abtun – so wie seit Langem bekannt ist, dass zahlreiche Führungskräfte aller Branchen Aufputschmittel, Medikamente und andere Drogen konsumieren, um Leistung zu bringen. Die ARD-Dokumentation stellt allerdings fest, dass die vermeintlich harmlose Substanzen schon ab der Kreisklasse zu selbstverständlichen Begleitern geworden seien.

Eine Befragung unter 1.100 Spieler*innen habe zudem ergeben, dass 40 Prozent der Konsument*innen die Mittel auch unabhängig von Schmerzen und Verletzungen nehmen, um eine bessere Leistung abrufen zu können – mit zum Teil schlimmen gesundheitlichen Folgen.

Mit dem Problem steht der Fußball nicht allein. Einiges deutet daraufhin, dass auch in Sportarten wie Laufen, Schwimmen, Radfahren sowie im Fitness-Studio der Griff zu den schnellen Helfern gang und gäbe ist.

„Man kennt die Auswüchse im Profibereich, die Dopingfälle und vereinzelte Todesfälle“, sagte der Arzneimittelexperte Gerd Glaeske von der Universität Bremen im Ärzteblatt. „Aber die Berichte aus dem Amateurbereich haben mich erschüttert.“ Pro Jahr gehen laut Glaeske hierzulande 100 Millionen Packungen frei verkäuflicher Schmerzmittel über den Apothekentisch. Das sei „auch ein gesellschaftliches Problem“. In der Top 20 der absatzstärksten Arzneimittel belegen die vier Klassiker Ibuprofen, Paracetamol, Diclofenac und ASS in verschiedenen Ausführungen laut Ärzteblatt sieben Plätze. Die Einnahme vor dem Sport sei offenbar keine Abweichung von der Norm, sondern werde toleriert, sagt Glaeske. Dabei seien diese Mittel nicht für den prophylaktischen Gebrauch vorgesehen. Glaeske fordert ein Werbeverbot für rezeptfreie Schmerzmittel.

Auch DFB-Präsident Fritz Keller zeigte sich „schockiert“ von den Erkenntnissen der ARD-Doku. Schließlich sei der Sport im Amateurbereich zur Erhaltung der Gesundheit gedacht „und nicht dafür, dass man sich kaputt macht“. Der DFB wolle über die Landesverbände eine Sensibilisierung erreichen. Im Juni lud der Verband zu einer 70-minütigen digitalen Sprechstunde mit dem Facharzt für Schmerz- und Sportmedizin, Toni Graf-Baumann, ein.

Dort riet der Experte Jugendtrainern, das Thema offen mit den Spielern zu besprechen und gemeinsam zu beschließen, Schmerzmittel nicht präventiv einzunehmen. Der Sportausschuss des Bundestages will sich noch im Januar in einer öffentlichen Sitzung mit dem Thema beschäftigen.

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