Weihnachtsfilm von Disney-Pixar: Seele Nr. 22 ist ein schwerer Fall
Der neue Disney-Pixar-Film „Soul“ behandelt Geburt und Tod. Wichtig in der gewagten Animation sind aber auch Pizza und Jazz.
Da hat man ein wichtiges Vorspiel bestanden, wähnt sich unter den Auserwählten – und dann macht einem das Schicksal einen Strich durch die Rechnung. So geht es nicht nur dem Aushilfslehrer und Jazzpianisten Joe Gardner in der neuen Pixar-Produktion „Soul“, so erging es dem Film selbst. Ursprünglich hätte er im Mai in Cannes Premiere feiern sollen und wäre dann im Juni in die Kinos gekommen. Nun startet er stattdessen zu Weihnachten auf Disney+.
Eigentlich kann man nur darüber staunen, dass das dem Film keinen Abbruch tut. Im Gegenteil, vielleicht macht die Krise rundherum die geplagte Zuschauerseele sogar noch empfänglicher für die typische Disney-Pixar-Botschaft: Sei du du! Genieße das Leben! Gelobt sei, dass es Pizza gibt. Und Jazz.
Der New Yorker Joe Gardner, seines Zeichens der erste afroamerikanische Held im Zentrum eines Pixarfilms, liebt den Jazz. Aber statt zum erfolgreichen Musiker hat er es nur zum Musiklehrer gebracht. Dann erreicht ihn der Anruf eines Exschülers, der gerade als Schlagzeuger mit der berühmten Saxofonistin Dorothea Williams in der Stadt gastiert. Ihr Pianist ist ausgefallen, ob Joe nicht einspringen könne?
Für Joe wird ein Traum wahr – aber auf dem Rückweg vom erfolgreichen Vorspiel fällt er in einen Gully und landet im Jenseits.
Dort, auf der Treppe in den Himmel, herrscht ein ziemliches Gedränge. Und weil Joe es nicht einsieht, dass er den tollsten Gig seines Lebens verpassen soll, nur weil er tot ist, versucht er sich zu drücken, stolpert und landet plötzlich in einer ihm und dem Zuschauer bislang gänzlich unbekannten Welt: dem „Großen Davor“.
Gewagter Sprung ins Kubistische
Die Animation macht einen gewagten Sprung an dieser Stelle: Von der hyperrealistischen und detailverliebten Fülle, mit der zuvor Joes Alltag in New York dargestellt wurde, wechselt der Stil zu einer flachen, quasi-kubistischen Ästhetik ohne viel Ausschmückungen. Bevölkert wird das „Große Davor“ von einer Menge an hellen Kügelchen mit runden Augen und zarten Stimmchen.
Sie stellen noch unfertige Seelen dar, erklärt eine Gestalt, die direkt aus Picassos später Phase stammen könnte, dem staunenden Joe, der sich in ein blaues Ei mit Brille und Hut verwandelt hat. Sie hält Joe für einen „Mentor“, einen namhaften Erdenbewohner, der die unfertigen Seelen inspirieren soll, wie das offenbar so Brauch ist seit Jahrtausenden.
Joe bekommt Seele Nr. 22 zugeteilt. 22 ist ein schwieriger Fall. Trotz Coachings von Prominenten der Weltgeschichte konnte 22 bislang noch nicht inspiriert werden, den Sprung ins Leben zu wagen. Nicht dass Joe sich große Chancen ausrechnet; er will 22 nur benutzen, um zurück zur Erde und zu seinem Gig zu kommen.
Hommage an die „Verrückten“
Und mittels einer herrlichen Hommage des Films an die Abwesenden und „Verrückten“ dieser Welt, musikalisch begleitet von keinem Geringeren als Bob Dylan mit „Subterranean Homesick Blues“, gelingt ihm das auch.
„Soul“. Regie: Pete Docter. USA 2020, 100 Min. Läuft ab 25. 12. auf Disney+
Trotz seiner kindlich-zuversichtlichen Carpe-diem-Botschaft ist „Soul“ ein ungewohnt erwachsener Film. Nicht nur, weil an seiner Darstellung von Sein und Nichtsein, Geburt und Tod das „normalste“ Element ein pedantisches Strichmännchen ist, das darauf besteht, dass die Zahlen am Ende stimmen müssen. Sondern vor allem, weil die zahlreichen Anspielungen in Wort und Bild sich diesmal nicht mit der engen Welt der Popkultur zufrieden geben. Da sind all die Details einer afroamerikanischen Normalität, die es in dieser lockeren Selbstverständlichkeit in der Animationswelt noch nie gab.
Und da sind die musikalisch und zeichnerisch gleichermaßen fantastischen Jazz-Szenen, die, während sie noch illustrieren, wie diese Musik einen fortträgt in andere Gefilde, das dann tatsächlich tun. Pizza und Jazz, ganz im Ernst, was braucht es mehr zum Leben?
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Pelicot-Prozess und Rape Culture
Der Vergewaltiger sind wir
100 Jahre Verkehrsampeln
Wider das gängelnde Rot
++ Nachrichten zum Umsturz in Syrien ++
Baerbock warnt „Assads Folterknechte“
Trendvokabel 2024
Gelebte Demutkratie
Rechtsextreme Demo in Friedrichshain
Antifa, da geht noch was
Mord an UnitedHealthcare-CEO
Gewalt erzeugt Gewalt