Heimatgefühle auf Reisen: Polyamorie der Heimaten

Seit Jahren wieder einmal am Mittelmeer. Die salzhaltige Seeluft, der Duft der Pinien und Zypressen, und sogleich sind Erinnerungen da.

Pinien vor einem Mittelmeerstrand mit Urlaubern

Leicht salzige Brise und der Duft der Pinien: Fühlt sich ein bisschen wie zu Hause an Foto: kallejipp/imago

Es ist eine leichte Brise, die dafür sorgt, dass ich mich ein Stück zu Hause fühle. Salzig, aber nicht zu sehr, nicht nordseesalzig. Die Luft riecht nach Pinien und Zypressen und anderen Bäumen, deren Namen ich nicht kenne. Ich konnte nie gut diese Botanik-Auflistung, die beim Reiseschreiben so hip ist. Ich kenne nur Pinien. Es ist warm und der Himmel wolkenlos blau, in einem offensiven und einladenden Blau wie hinter getönten Brillengläsern, nicht wollpulloverblau. Er bedeutet Mittelmeer und einen Splitter Heimat. Ich bin zum ersten Mal seit Jahren länger hier. Kindheit, denke ich, und überraschenderweise: Heimat. Man sagt, Heimat sei dort, wo man geboren oder zumindest aufgewachsen ist. Aber ist das noch richtig in einer globalisierten und partiell reisenden Welt?

Sich woanders heimisch zu fühlen gilt als anmaßend. Akzeptiert höchstens für Leute mit Migrationshintergrund: Ach ja, du hast ja Wurzeln da. Es herrscht eine sehr seltsam biologische Definition der Heimat, auch gerade vonseiten derer, die angeblich nicht biologisch denken. Einfach so Heimat zu empfinden gilt als privilegiert, irgendwie neokolonial, je nach ökonomischen Verhältnissen sogar unanständig. Sich als Deutsche in New York heimisch zu fühlen, okay. Aber in Ghana? Argh. Reisen sind natürlich Ausweis von Klasse und Privileg, aber auch nicht mehr als Theater, Turnen oder Twitter. Heimat wirklich polyamorös zu denken wäre ein hoffnungsvolles Zeichen. Nicht biologisch oder ethnisch, denn auch die vermeintlich ursprünglich irgendwo heimischen Gruppen waren Zugereiste oder Eroberer. Nein, Heimat als subjektives Empfinden für alle. Überall.

Dafür müssen sich Machtverhältnisse ändern. Solange sich kaum PeruanerInnen einen Aufenthalt in Deutschland leisten können, ist ein neues Weltbild von Heimaten naiv. Immerhin ist für zunehmend mehr Kinder Reisen ein Teil der Kindheit, und das ist gut. Das verändert Menschen. Als Kind war ich mit der Familie oft am Mittelmeer in Urlaub. Mallorca, Italien, Griechenland, Türkei. Strand, Museen, Restaurants und römische Steinbrocken gucken. Und es hat dazu geführt, dass ich mich dort ein Stück heimisch fühle bei diesem leichten Geruch von Salz und Pinien. Es betrifft auch andere Länder, manche sogar als Distanzliebe. Der Iran weckt Sehnsucht, obwohl ich nie dort war. Heimaten sind verwunderlich.

Heimaten sind natürlich anders als Heimat. Egal wie oft man wiederkommt, man bleibt immer Touristin. Das Wissen ist limitiert, wirklich dazugehören werden Reisende nie. Es ist eher ein Zwitterstatus: eingeweiht gegenüber Außenstehenden, außen gegenüber innen Stehenden. Aber das trifft ja uns alle. Eine Russin aus Moskau erzählte mir kürzlich auf einem Dorf, sie fühle sich hier wie im Ausland. Anders aber als die koloniale Romantisierung, die das Fremde zugleich überhöhte, infantilisierte und sich davon abgestoßen fühlte, wollte sie verstehen. Das macht Hoffnung auf eine ernsthafte Polygamie der Heimaten. Schön wäre es.

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Jahrgang 1991, studierte Journalismus und Geschichte in Dortmund, Bochum, Sankt Petersburg. Schreibt für die taz seit 2015 vor allem über politische und gesellschaftliche Sportthemen zum Beispiel im Fußball und übers Reisen. 2018 erschien ihr Buch "Wir sind der Verein" über fangeführte Fußballklubs in Europa. Erzählt von Reisebegegnungen auch auf www.nosunsets.de

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