„Streit anzetteln und Ärger provozieren“

China hat die Bürgerjournalistin Zhang Zhan zu vier Jahren Haft verurteilt, weil sie die Öffentlichkeit über die Zustände in Wuhan zu Beginn der Coronapandemie informiert hatte

Miniprotest in Hongkong vor Chinas Verbindungsbüro gegen die Verurteilung von Zhang Zhan in Shanghai und gegen den Prozess in Shenzhen gegen zwölf von China bei ihrer Flucht nach Taiwan aufgegriffene Aktivisten. Foto: Isaac Wong/imago

Aus Peking Fabian Kretschmer

„Streit anzetteln und Ärger provozieren“ lautet der Paragraf 293 in Chinas Strafgesetzbuch, der immer dann angewendet wird, wenn regierungskritische Stimmen von ihrer in der Verfassung verankerten Meinungsfreiheit Gebrauch machen. Am Montag hat ein Gericht in Shanghai die Bürgerjournalistin Zhang Zhan wegen ebenjenen Strafbestands zu vier Jahren Haft verurteilt.

Anfang Februar berichtete Zhang auf eigene Faust aus der zentralchinesischen Stadt Wuhan, dem damaligen Epizentrum des Coronavirus. In verwackelten Videoaufnahmen, die sie unter anderem auf den in China gesperrten Plattformen Twitter und Youtube hochlud, zeigte sie die chaotischen Zustände in völlig überfüllten Spitälern, interviewte Bürger und kritisierte immer wieder die Regierung – unter anderem dafür, dass sie kritische Blogger verschwinden ließ.

Im südchinesischen Shenzhen hat am Montag der Prozess gegen zwölf Demokratieaktivisten aus Hongkong begonnen, die wegen eines am 23. August per Boot unternommenen Fluchtversuchs nach Taiwan angeklagt sind. Ihre Angehörigen kritisierten, dass das Gericht den Prozess faktisch unter Ausschluss der Öffentlichkeit abhalte. Die US-Botschaft erklärte, den Angeklagten werde ein sogenanntes Verbrechen zur Last gelegt, das darin bestanden habe, der „Tyrannei zu entkommen“. Zwei der sogenannten Hongkong Zwölf müssen mit Haftstrafen von bis zu sieben Jahren rechnen, weil sie den Fluchtversuch organisiert haben sollen. (afp)

Im Mai wurde die 37-jährige Zhang selbst verhaftet, was erst im Juni bestätigt wurde. Laut ihrem Anwalt leidet Zhang unter katastrophalen Haftbedingungen und einem sich rapide verschlechternden Gesundheitszustand – physisch wie psychisch. Seit Monaten soll sie sich im Hungerstreik befinden und per Magensonde zwangsernährt werden.

Chinas Staatsmedien griffen das Thema nicht auf, wohl weil die Angelegenheit mit einem Verbot belegt ist. Dennoch lassen sich auf Weibo, dem chinesischen Twitter, persönliche Meinungen zu Zhang Zhan finden „Im derzeitigen politischen Umfeld kann das Gesetz seine Unabhängigkeit nicht behalten. Selbst die Staatsanwaltschaft gibt ihr Urteilsvermögen auf“, schreibt ein Nutzer vage. Ein anderer formuliert direkter: „Ich habe lange versucht, im Netz überhaupt etwas über den Fall Zhang Zhan herauszufinden. Natürlich hat es mich schockiert und geängstigt.“

Doch wird die verurteilte Bürgerjournalistin auch vielfach kritisiert – teilweise persönlich etwa für ihren christlichen Glauben, oder dass sie wirr und konfus spreche. Andere prangern an, dass Zhang voller Vorurteile nach Wuhan gereist sei: „Natürlich hat es Konsequenzen, wenn man in einer Stadt während des Lockdowns herumrennt, Falschinformationen im Inland als auch in ausländischen Medien verbreitet“, meint eine Userin.

Die einstige An­wältin eignet sich keineswegs zur Stili­sierung als „idea­listische Reporterin“

Tatsächlich eignet sich die einstige Anwältin, die vor ihrem Aufenthalt in Wuhan keine journalistische Erfahrung hatte, keineswegs zur Stilisierung als „idealistische Reporterin“ in einem autoritären Regime. Ihre 122 Videoclips, die noch immer auf Youtube zu sehen sind, bestehen meist aus kurzen, verwackelten Straßenaufnahmen – profan, unprofessionell und manchmal nur wenige Sekunden lang. Zwischendurch filmt sie sich in ihrem Hotelzimmer und wettert gegen die Regierung. In einer Aufnahme etwa nennt sie Sars-CoV-2 ein „kommunistisches Virus“. Ein anderes Motiv, das sich durch Zhangs Videos zieht, sind lautstarke Auseinandersetzungen mit Polizisten, die sie immer wieder auffordern, das Filmen zu lassen.

Was letztlich zu ihrer Verhaftung geführt hat, ist wegen der Intransparenz von Chinas Rechtssystem nicht ganz klar. Denn es gab etliche Online-Zeugenberichte von Chinesen, die kritisch berichteten, wie etwa die „Wuhan-Tagebücher“ der Autorin Fang Fang. Ihre Posts wurden zwar auch zensiert, sie selbst aber nicht verhaftet. Zhang wird unter anderem vorgeworfen, ausländischen Medien Interviews gegeben zu haben. Gleichzeitig enthielt ihre Kritik an der Regierung überaus drastische und diffamierende Worte.

Chinas Hauptstadt wird derzeit von einer zweiten Welle erfasst, auch wenn die Zahlen aus deutscher Sicht lächerlich gering sind: Nach Monaten ohne lokale Neuinfektionen haben die Behörden nun in wenigen Tagen neun Fälle registriert, fast alle betrifft Arbeitsmigranten im Bezirk Shunyi. Wie zuvor reagieren die Behörden rasch und drastisch: Alle Bewohner Shunyis werden getestet, Wohnhäuser mit bestätigter Ansteckung geschlossen. Doch anders als bei früheren Infektionsclustern geht das Leben im Rest der Stadt normal weiter. Nur die Zahl der Maskenträger und der Körpertemperaturkameras vor Einkaufszentren ist wieder angestiegen. (fk)

Neben Zhang gibt es eine Handvoll weiterer Blogger, die wegen ihrer Berichte aus Wuhan verhaftet wurden. Chen Quishi sitzt seit September im östlichen Qingdao im Gefängnis. Ebenso hatten die Behörden Li Zehua für zwei Monate festgenommen. Der wohl tragischste Fall ist Fang Bin: Seit dem 9. Februar ist er spurlos verschwunden. Die Videoaufnahmen dieser wenigen Blogger wurden weltweit von Sendern aufgegriffen und von Millionen wissbegierigen Chinesen in sozialen Medien geteilt. Das Verlangen nach ungefilterten Informationen war groß, schließlich hielten viele die offiziellen Verlautbarungen für unglaubwürdig. Mittlerweile hat Peking das Narrativ des Viruskampfs längst wieder unter Kontrolle. Die Staatsführung hat den „Sieg über Covid“ zur Heldengeschichte unter Führung von Parteichef Xi Jinping erklärt. In Wuhan lässt sich dies in einem Messezentrum besichtigen. Selbstreflexion oder das Eingeständnis von Fehlern gibt es dort nicht, dafür eine Überdosis an Pathos und Nationalstolz. Kritik wie die von Zhang passt nicht ins Bild. Dass Zhang überhaupt wochenlang in Wuhan von den lokalen Behörden toleriert wurde, hat wohl auch damit zu tun, dass sie vergleichsweise wenig Aufmerksamkeit generierte. Viele ihrer Videos wurden nur von wenigen Tausend Menschen geschaut. Doch mit der Zeit wagte sie immer aufmüpfigere Aktionen – einmal etwa betrat sie eine Polizeistation, um nach verschwundenen Bürgerjournalisten zu fragen.

Die Teilnahme an ihrem eigenen Prozess soll sie laut ihrem Anwalt aus Protest verweigert haben. Bei der Urteilsverkündung am Montag hatten sich etliche Fernsehjournalisten vor dem Gerichtsgebäude eingefunden. Sie wurden jedoch am Filmen gehindert, europäischen Diplomaten wurde der Einlass verweigert.