Vergehen Aktivismus: 13 Monate Haft für Wong

In Hongkong werden drei bekannte Aktivisten der Protestbewegung zu mehrmonatigen Haftstrafen verurteilt. In der vormals autonomen Stadt hat sich Resignation breit gemacht

Joshua Wong und Ivan Lam am Mittwoch auf dem Weg zum Hongkonger Gericht Foto: Tyrone Siu/reuters

Aus Peking Fabian Kretschmer

Kurzvideos in den sozialen Medien zeigten Joshua Wong am Mittwochmorgen auf dem Weg vom Gefängnis ins Gerichtsgebäude: ein schmächtiger junger Mann mit Strubbelfrisur und einem Stapel Bücher unterm Arm, abgeführt in Handschellen. Am Nachmittag, Ortszeit, wurde der 24-Jährige zu dreizehneinhalb Monaten Haft verurteilt. Der Aktivist hatte sich dazu bekannt, im Juni 2019 eine nicht genehmigte Versammlung vor dem Polizeipräsidium organisiert zu haben.

Damit muss das internatio­nal bekannteste Gesicht der Protestbewegung nun bereits zum dritten Mal aufgrund seines Aktivismus gegen Peking ins Gefängnis. Für seine Mitstreiterin Agnes Chow, die vor allem in Japan Hunderttausende Fol­lower in den sozialen Medien hat und morgen ihren 24. Geburtstag feiert, ist es die erste Haftstrafe: Sie wurde zu zehn Monaten verurteilt. Der 26-jährige Ivan Lam muss sieben Monate hinter Gitter.

„Indem direkt auf bekannte Aktivisten der führungslosen Protestbewegung Hongkongs gezielt wird, senden die Au­tori­täten eine Warnung an jeden, der es wagt, die Regierung zu kritisieren“, sagt Yamini Mishra von Amnesty International. Sie forderte die Freilassung der drei Inhaftierten.

Die Urteile sind im Hinblick auf die mögliche Höchststrafe von drei Jahren dennoch als milde zu betrachten. Die Demonstration vor dem Polizeipräsidium, die Gegenstand des Prozesses war, hatte im Juni 2019 zu Dutzenden Straßenblockaden, Sachbeschädigungen und gewalttätigen Ausschreitungen geführt. Im Rückblick war jene Nacht ein Wendepunkt, an dem eine bis dahin weitgehend friedliche Volksbewegung sich zunehmend radikalisierte.

Für die Zivilgesellschaft der einstigen britischen Kronkolonie ist die Verurteilung von Wong, Chow und Lam ein schwerer Schlag. Schließlich sind sie in der medialen Wahrnehmung im Ausland die populärsten Mitglieder der jungen Generation der Hongkonger Demokratiebewegung.

Das allmähliche Fallen jenes Widerstands gegen Pekings Interventionen begann vor genau einem Jahr. Damals besetzten Tausende Aktivisten die Polytechnische Universität Hongkong und lieferten sich ausufernde Straßenschlachten mit den Polizeikräften. Damals genoss die Protestbewegung nicht nur breite Unterstützung innerhalb der Bevölkerung, sondern hatte auch gute Aussichten, politische Reformen zu erreichen. Seitdem jedoch hat sich das Blatt grundlegend gewandelt.

Mit dem Ausbruch der Coronapandemie kamen zunächst die Demonstrationen in der Finanzmetropole zum Erliegen. Chinas Führung nutzte den Ausnahmezustand dann zu einer einmaligen Machtdemonstration: Im Juni zwang die Kommunistische Partei den Hongkongern ein nationales Sicherheitsgesetz auf, das jede politische Opposition mit Gefängnis bedroht. Angeklagte können seitdem an die Gerichte Festlandchinas ausgeliefert werden, die nicht rechtsstaatlich urteilen, sondern nach Vorgaben der KP.

„Eine Warnung an jeden, der es wagt, die Regierung zu kritisieren“

Yamini Mishra, Amnesty

Seitdem wurden in Hongkong viele Aktivist*innen festgenommen, Bibliotheken von kritischen Büchern gesäubert und mehreren Abgeordneten das Mandat entzogen. Zuletzt sind die verbliebenen Oppositionsabgeordneten aus Protest gemeinsam zurückgetreten, da ihre Arbeit zur Farce wurde.

Vor allem ist die Stimmung innerhalb weiter Teile der Gesellschaft von Euphorie in Resignation umgeschlagen. Die Polizei hat vor Kurzem eine Hotline eingerichtet, bei der Bürger Vergehen gegen das nationale Sicherheitsgesetz melden können – eine Taktik, die nicht nur Paranoia verbreitet, sondern auch an Stasi-Methoden erinnert.

„Die Atmosphäre ist sehr pessimistisch, wir fühlen uns wie Fleisch auf einem Schneidebrett“, sagt der 36-jährige Leo Wong, der sich selbst als moderaten Anhänger der Demokratiebewegung bezeichnet. Der Informatiker lebt bereits seit einigen Jahren in Österreich. Als er kürzlich seine Heimatstadt besuchte, hatte sich das Straßenbild von Grund auf verändert: Die Protest-Graffiti sind übermalt, Banner von den Wänden gerissen und die gelben Schleifen, die Anhänger der Protestbewegung als Erkennungszeichen trugen, von der Kleidung verschwunden.

„Ich erinnere mich noch, dass meine Eltern stets ein oder zwei Bücher über Pekings blutige Niederschlagung der Tiananmen-Bewegung im Schrank hatten, um die Erinnerung weiterzugeben“, sagt der Hongkonger. Im selben Bewusstsein habe er sich nun einen Fotoband der Hongkonger Proteste gekauft – mit Bargeld, um keine Spuren zu hinterlassen: „Weil ich weiß, dass solche Publikationen – wie auch die restlichen Zeugnisse im Internet – hier früher oder später verboten und zensiert werden.“ Für viele junge Leute wie Leo ist Hongkongs Schicksal besiegelt. Die Stadt trete für „viele Jahre in ein dunkles Zeitalter“ ein. Joshua Wong hingegen gibt sich zumindest nach außen hin nicht geschlagen.