Bundesarbeitsgericht zu Plattform-Jobs: Erfolg für Crowdworker

Überraschendes Urteil des Bundesarbeitsgerichts: Ein Plattformarbeiter wurde als Arbeitnehmer eingestuft. Er kann nun auf Lohnnachzahlung hoffen.

Ein Mann bei der Arbeit an einem Laptop

Crowdworker verdienen beispielsweise Geld durch einfach Programmieraufträge Foto: Alexandra C. Ribeiro/imago

ERFURT taz | Crowdworker sind nicht zwingend selbständig, sondern können auch – ohne Arbeitsvertrag – angestellt sein. Das hat jetzt das Bundesarbeitsgericht (BAG) in einem Pilotprozess entschieden. Erfolg hatte ein Mann aus Wesel, der für die Plattform Roamler arbeitete und gegen seine „Kündigung“ klagte.

Crowdworker erhalten ihre Aufträge in der Regel über eine Internetplattform. Dort werden kleine Aufgaben angeboten, wer zugreift kann etwas verdienen. Manche der Tätigkeiten kann man zu Hause am Computer erledigen, etwa einfach Programmieraufträge oder das Schreiben einer Produktbewertung. Andere Aufträge finden draußen in der echten Welt statt, etwa beim Aufladen von E-Scootern oder der Kontrolle von Werbemaßnahmen. In Deutschland gibt es schon Hunderttausende, die mit solchen Mikro-Aufträgen Geld verdienen – meist ist es nur ein Zuverdienst.

Der konkrete Kläger ist 52 Jahre alt und stammt aus Wesel am Niederrhein. Er hatte die App der Münchener Plattform Roamler auf seinem Smartphone geladen und übernahm regelmäßig kleinere Auftrage, oft mehr mehrere hundert im Monat. So kontrollierte er zum Beispiel bei Geschäften, ob bestimmte Werbeplakate korrekt zu sehen waren. Er wurde damit nicht reich, aber weil er fleißig war, kam doch eniges zusammen, knapp 20 000 Euro im Jahr 2017. Es war für ihn deshalb ein großer Einschnitt, als Roamler im April 2018 nach einem Konflikt die Zusammenarbeit beendete – per Email.

Der Mann wollte sich das nicht gefallen lassen und zog vor Gericht. Er war wohl der erste Crowdworker, der auf die Feststellung seiner Eigenschaft als Arbeitnehmer klagte. Unterstützung erhielt er von der Gewerkschaft IG Metall, die das Crowdworking mit Sorge beobachtet. So könnten wichtige arbeitsrechtliche Standards unterlaufen werden, wenn bisher intern erledigte Tätigkeiten an eine anonyme Menge (crowd) ausgelagert werden, befürchtet die Gewerkschaft. Manche sprechen in Anspielung auf den Begriff „outsourcing“, von „crowdsourcing“.

Eine Überraschung

In den ersten beiden Instanzen verlor der Rheinländer jedoch. Er sei kein Arbeitnehmer, sondern selbständig. Er habe die Aufträge nicht annehmen müssen, so das Landesarbeitsgericht (LAG) München. Auch habe er die Aufgaben nach einer selbstgewählten Reihenfolge abarbeiten können. Ein ähnliches Ergebnis war auch beim Bundesarbeitsgericht erwartet worden.

Zur großen Überraschung vieler Arbeitsrechtler entschied das BAG nun aber anders. Der klagende Crowdworker habe faktisch ein Arbeitsverhältnis mit Roamler gehabt. Ausschlaggebend war hierfür nicht die anfänglich abgeschlossene Basis-Vereinbarung. Dies habe als Rahmenvertrag noch keine Arbeitspflicht beinhaltet. Aber die konkrete Organisationsstruktur der Plattform sei darauf ausgerichtet gewesen, dass sich die Tätigkeit pro Kleinstauftrag erst einigemaßen rentierte, wenn man ein gewisses „Level“ erreicht hatte. Und um dieses Level zu halten, musste man regelmäßig für Roamler arbeiten. Diese Anreize für eine kontinuierliche Zusammenarbeit führte dazu, dass die Tätigkeit letztlich doch eher fremd- als selbstbestimmt war.

Die Folgen im konkreten Fall sind nun aber recht begrenzt. Denn Roamler hat im Sommer 2019 sicherheithalber auch ein eventuell bestehendes Arbeitsverhältnis gekündigt. Heute ist der Mann also definitiv nicht mehr Arbeitnehmer von Roameler. Allerdings kann er für die Monate nach der Trennung Lohnnachzahlung verlangen. Da könnten einige Tausend Euro zusammenkommen. Wenn der Verdienst nicht ausdrücklich vereinbart wurde, wie hier, dann gilt die „übliche Vergütung“. Der Fall geht nun wieder zurück ans LAG München.

Das Urteil ist nur schwer verallgemeinerbar. Weil jede Plattform im Detail anders organisiert ist, kann man auch nach dem BAG-Richterspruch nicht sagen, dass nun alle Crowdworker „Arbeitnehmer“ sind. Vielmehr können die Plattformen sogar reagieren und die Mechanismen so verändern, dass wieder eindeutig Selbsttändigkeit vorliegt. Ein Grundatzurteil ist die jetzige BAG-Entscheidung nur in einer Hinsicht: Nun ist zumindest die Möglichkeit eines faktischen Arbeitsverhältnisses für Crowdworker juristisch geklärt.

Wohl mit Blick auf das BAG-Verfahren hat Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) vorige Woche einige Eckpunkte zur Plattformökonomie veröffentlichte. Heil will eine bessere soziale Absicherung für Coworker schaffen. So sollen sie Anspruch auf eine gesetzliche Rente haben und sich die Plattformen an der Finanzierung beteiligen. Noch ist das aber nicht mehr als eine Ideensammlung. Konkrete Gesetze sind noch nicht geplant.

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