Fragen ohne Antwort

Am 18. Juni haben Polizisten Mohamed Idrissi in Gröpelingen erschossen. Ein Bündnis und seine Familie rufen zu einer Gedenkkundgebung auf – und fordern neue Ermittlungen

Handschuhe weggeworfen, Untersuchung abgeschlossen: Bild vom Tatort in einem Innenhof in Gröpelingen Foto: Sina Schuldt/dpa

Von Benno Schirrmeister

Hätte Mohamed Idrissi keinen Waschzwang gehabt, er würde noch leben. So aber kam es dazu, dass er am 18. Juni starb, von Polizeikugeln tödlich getroffen, im Hinterhof einer Wohnanlage in Bremen-Gröpelingen. Damit sein Tod nicht in Vergessenheit gerät, machen Angehörige und das Bündnis „Justice for Mohamed“ am heutigen Freitag um 18 Uhr eine Kundgebung, „genau ein halbes Jahr nach der Tat“, sagt seine Tochter, Aicha Meisel-Suhr.

Nachdruck verleihen will man so auch der Forderung nach lückenloser Aufklärung: Die Staatsanwaltschaft hält das Verfahren für abgeschlossen und hat schon Anfang Oktober die Ermittlungen eingestellt: sowohl gegen den Todesschützen als auch gegen eine andere Beamtin, die beim Einsatz beteiligt war.

Auslöser des Vorfalls war ein Besichtigungstermin: Die Vermieterin warf Mohamed ­Idrissi vor, einen Wasserschaden verursacht zu haben. Im Keller. Durchs ständige Waschen und Putzen. Es ging ums Räumen. Er war unwillig. Die Sachbearbeiterin von der Wohnungsbaugesellschaft rief die Polizei – und nicht die sozialpsychiatrischen Betreuer. Obwohl die gesundheitlichen Probleme des Mieters bekannt gewesen waren.

Die Hinterbliebenen haben gegen die Einstellung des Verfahrens Beschwerde eingereicht. „Die Akten befinden sich in Bearbeitung“, bestätigte Generalstaatsanwältin Kirsten Graalmann-Scherer auf Nachfrage der taz. „Eine Entscheidung über die Beschwerde ist noch nicht getroffen.“

Schon vorsorglich hatte die Familie ein Klageerzwingungsverfahren in Aussicht gestellt, falls auch die Fachaufsicht keine weiteren Untersuchungen der Vorgänge für nötig halten sollte. „Der Tod meines Vaters ist noch nicht aufgeklärt“, sagt Aicha Meisel-Suhr. Ihr Anwalt, Jan van Lengerich, hatte von gravierenden Fehlern und Auslassungen gesprochen. Sie hofft auf die Unabhängigkeit der Ermittler*innen. „Es ist ja eine öffentliche Institution“, sagt sie. „Die müssten doch neutral sein.“

Darüber, was sie konkret an der Arbeit der Staatsanwaltschaft bemängelt, will sie momentan nicht sprechen, „aus ­Respekt vor der Generalstaatsanwaltschaft“. Allgemein sei jedoch erschreckend ungewiss, was unmittelbar nach den Schüssen passiert ist, als beim Wiederbelebungsversuch die Rippen ihres Vaters gebrochen wurden. Vor allem aber habe die Familie in den Akten keine Antwort darauf gefunden, „wie überhaupt diese Situation hat eskalieren können“.

Zu den drängendsten Fragen hatte von Anfang an gehört, warum kein sozialpsychiatrisches Fachpersonal am Ort des Geschehens war oder, als das eskalierte, hinzugezogen wurde. Denn Mohamed Idrissi war krank: Paranoide Schizophrenie lautete die Diagnose. Die äußerte sich in Angstzuständen. Und er hat den inneren Drang entwickelt, für Sauberkeit zu sorgen.

„Der Tod meines Vater ist noch nicht aufgeklärt“

Aicha Meisel-Suhr, Tochter von Mohamed Idrissi

Wer seinerzeit das Video vom Polizeieinsatz gesehen hat weiß: Ja, Mohamed Idrissi hat ein Messer in der Hand, ein Fleischmesser. Das ist eine ernst zu nehmende Waffe. Aber wirklich hektisch wird die Situation erst, als die Polizei Mohamed Idrissi mit Pfefferspray angreift. Vorher schreien die Beamt*innen, die ihn umzingelt haben und auf ihn zielen, ihn zigmal an: „Leg das Messer weg!“

Er scheint sich über die Aufregung der Uniformierten zu mokieren. Er tänzelt auf der Stelle, als wäre er beim Fangenspielen und wollte den Häscher gleich austricksen, krempelt die Ärmel hoch. Wechselt das Messer von der einen in die andere Hand. Die Polizei geht auf ihn zu: Da ist ein Wille, die Situation zu beenden. Warum?

Es wirkt, als hätten die Beamt*innen noch nie mit einem Menschen mit ernsten psychischen Problemen zu tun gehabt. Sie finden einfach keine Sprache, um mit ihm zu reden. Die Polizeigewerkschaft nimmt den Todesfall zum Anlass, die Ausrüstung der Kolleg*innen mit Tasern zu fordern. Und ihnen ansonsten zu attestieren, alles richtig gemacht zu haben. Als wäre die Wahl der Waffen das Problem und nicht die Kommunikation.

Wie ein Schock habe sie die Verfahrenseinstellung getroffen, sagt Aischa Meisel-Suhr. „Es darf nicht sein, dass in Bremen ein psychisch kranker Mensch von der Polizei einfach erschossen wird“, sagt sie. „Wir verlangen Aufklärung, wir verlangen Gerechtigkeit.“ Mit Kerzen und Plakaten erinnert die Gedenkkundgebung heute an die Tat und ihr Opfer, 183 Tage nach dem Tod, in Gröpelingen, dort, wo Mohamed zu Hause war, damit auch seine ehemaligen Nachbar*innen und Bekannten ihn betrauern können.

Gröpelinger Heerstr./Ecke Ohlenhof, 18 Uhr