: „Queerpolitik nimmt niemandem was weg“
Die Bremer Bundestagsabgeordnete Doris Achelwilm setzt sich für die Rechte von trans* Personen ein. Politisch sei auf diesem Gebiet noch viel zu tun, schreibt sie in ihrem Gastbeitrag. Geschützt werden müsse das empfundene Geschlecht, nicht das medizinisch festgestellte
Doris Achelwilm
44, studierte Sprachwissenschaften und arbeitete als Kulturjournalistin. Seit 2017 ist sie für die Bremer Linke im Bundestag und gleichstellungs-, gender- und medienpolitische Sprecherin der Fraktion.
Von Doris Achelwilm
Die Rechte von trans* Menschen spielen parlamentarisch eine bedeutende Rolle. Nicht nur, weil Queerpolitiker*innen, Jurist*innen, Verbände oder Menschenrechtsorganisationen das wollen und auf die Tagesordnung setzen. Sondern weil die Ansprüche und Lebensrealitäten von trans* Menschen so stark an der zweigeschlechtlichen Oberfläche kratzen, dass alte Ordnungsprinzipien in unserem Rechtsstaat neu geregelt werden müssen. Statt geschlechtlicher Bevormundung und Gängelung, wie es etwa das Transsexuellengesetz vorsieht, braucht es einen Paradigmenwechsel hin zu Selbstbestimmung und Anerkennung von Vielfalt.
Es gibt nicht nur Mann und Frau, nicht nur Hetero-Familien, nicht nur Mütter mit Uterus, nicht nur körperliche Geschlechtsmerkmale, nicht nur eindeutige Geschlechter von Geburt an. Die Erkenntnisfortschritte sind umkämpft, aber unaufhaltsam. Wissenschaftlich hat sich längst etabliert, dass Geschlecht komplex und veränderbar, sozial geprägt und schillernd statt etwas Festes, rein Körperliches, zwingend Zweigeteiltes ist.
Gleichzeitig steht der Durchbruch geschlechtlicher Gleichstellung und Diversität permanent unter Druck. „Haben wir nichts anderes zu tun?“ ist noch der freundliche, oft nur indirekt durchscheinende Ausdruck von Abwehrhaltungen gegen eine Queerpolitik, die gravierende Nachhol- und Zukunftsbedarfe bearbeitet.
Der natürliche Feind konsequenter Gleichstellungspolitik ist rechts zu finden. Dass die AfD überall absurden „Genderismus“ wittert, den sie mit ihren mutwilligen Verdrehungen selbst betreibt, ist kein Geheimnis. Aber auch jenseits obsessiver Infragestellungen stehen queere Belange oft unter dem spürbaren Vorbehalt, weniger „seriös“ oder relevant zu sein als zum Beispiel Verkehrspolitik, was falsch ist.
Gut ist, dass Spitzenpolitikerinnen und -politiker, die medienöffentlich auf Kosten queerer Menschen laue Witze über Unisex-Toiletten machen oder homosexuelle Elternschaft infrage stellen, inzwischen breiten Gegenwind erfahren. Mit Stimmungsmache gegen Minderheiten von einer Politik voller Gerechtigkeitslücken abzulenken, wird inzwischen mit zunehmender Schärfe zum Bumerang. Queerpolitik nimmt niemandem was weg. Ungleiche Verteilungs- und Repräsentationspolitik schon.
Trans* Rechte sind Grundrechte. Sie gelten für alle und jede*n Einzelne*n, gleichzeitig müssen sie noch real werden: Trans* Personen gehören zu den verwundbarsten Menschen, sie sind häufiger als andere von Ausgrenzung und Hasskriminalität betroffen. Ihre zunehmende Sichtbarkeit ist mutig und wichtig, verlangt aber dringend mehr Schutz und Solidarität.
Als ich queerpolitische Sprecherin meiner Fraktion wurde, war der wegweisende Beschluss des Bundesverfassungsgerichts zur „Dritten Option“ vom Oktober 2017 schon ein paar Monate alt. Es galt sicherzustellen, dass Bürger*innen nicht nur entweder männlich oder weiblich (oder mit „leerem“ Geschlechtseintrag) registriert sein können: Erkämpft von queeren Aktivist*innen und Kläger*innen, bekämpft von unverständigen Konservativen und AfD.
Im Ergebnis steht nun der amtliche Geschlechtseintrag „divers“ zur Verfügung, aber nach Willen der Bundesregierung nur für möglichst wenige, gegen Nachweis körperlicher „Varianten der Geschlechtsentwicklung“. Diese Minimallösung geht am Charakter der gesellschaftlichen Aufgabe grob vorbei. Im Kern muss es um den dezidierten Schutz von Geschlechtsidentität gehen, also von Geschlecht, wie es individuell empfunden, gelebt und deutlich gemacht wird – und nicht, wie es Dritte zum allgemeingültigen Soll erklären.
Neben einem Geschlechtseintrag gemäß Selbstauskunft braucht es mehr öffentliche Beratungsstellen und Wissensvermittlung, aber auch Sanktionen, wenn mutwillig gegen die Rechte von trans* und nicht-binären Menschen verstoßen wird. Es ist inakzeptabel, wenn Autoritäten das „innere Wissen“ von Jugendlichen als Laune, Fehler oder Krankheit abqualifizieren. Wenn das vor einem halben Jahr beschlossene Verbot sogenannter Konversionsmaßnahmen unter solchen Umständen keine Wirkung zeigt, muss nachgestellt werden.
Jeder Schritt, der in dieser Legislatur nach vorn weist, ist ein Erfolg und kollektiver Kraftakt der Communitys und ihrer Verbündeten. Vieles fehlt noch: Die Entschädigung von Menschen, die sich nach dem Transsexuellengesetz scheiden oder sterilisieren lassen mussten, um sie selbst zu sein. Das Verbot unnötiger OPs an intergeschlechtlichen Kindern. Und ein ganzes Bündel an Maßnahmen, damit Geschlechter nichts mehr mit Hierarchien und ungleicher Verteilung von Arbeit, Geld, Macht und Zeit zu tun haben.
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