geld gegen rechts
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Mit 89 Maßnahmen gegen den Hass

Die Bundesregierung antwortet auf den Rechtsterror und legt ein großes Maßnahmenpaket vor. Eine Studie zu rechter Polizeigewalt ist nicht dabei

Kein Vergessen: Sechs Monate nach dem Anschlag in Hanau demonstrieren Tausende Menschen gegen Rassismus in Berlin Foto: Christian Mang

Von Konrad Litschko

Es sollte als großer Wurf präsentiert werden. Ein Maßnahmenpaket gegen Rechtsextremismus, verabschiedet vom eigens gegründeten Kabinettsausschuss der Bundesregierung, als Antwort auf den zuletzt erstarkten Hass. Doch zu einer eigenen Pressekonferenz kam es am Mittwoch nicht – aufgrund des Coronagipfels der Bundeskanzlerin mit den Ministerpräsidenten.

Die Regierung veröffentlichte das Paket dennoch, via Pressemitteilungen und über ihre SprecherInnen – und mühte sich, diesem Gewicht zu geben. 89 Punkte umfasst es, sieben Ministerien steuerten diese bei, ebenso die Bundesbeauftragten für Migration oder Antisemitismus. Manches ist kleinteilig, manches noch vage, insgesamt aber will die Regierung dafür 1 Milliarde Euro in den nächsten vier Jahren in die Hand nehmen. Für den Haushalt 2021 sollen 150 Millionen Euro extra ausgegeben werden.

Man gehe mit den Maßnahmen „entschlossen gegen Rechtsextremismus und Rassismus jeglicher Art“ vor, sagte eine Sprecherin von Kanzlerin Angela Merkel. Von einem „Meilenstein im Kampf gegen den Rechtsextremismus, Antisemitismus und Rassismus in Deutschland“ sprach Vizekanzler Olaf Scholz (SPD). Innenminister Horst Seehofer (CSU) lobte die „große Geschlossenheit“ der Regierung.

Auslöser für das Paket waren die jüngsten rechtsterroristischen Attentate. Schon nach dem Mord an Walter Lübcke und dem Anschlag von Halle hatte die Regierung ein erstes Maßnahmenpaket vorgelegt. Nach dem Hanau-Anschlag folgte die Einsetzung des Kabinettsausschusses gegen Rechtsextremismus – mit dem Auftrag, ein weiteres Paket zu erarbeiten.

Daran wurde bis Dienstagnacht gearbeitet. Strittig war vor allem ein Punkt: Soll ein Demokratiefördergesetz in das Paket? Die SPD drängte auf das Gesetz, mit dem Demokratieprojekte, etwa Aussteigerprojekte oder mobile Beratungen, dauerhaft abgesichert werden sollen. Bisher müssen diese sich alle vier Jahre neu bewerben – eine wiederkehrende Zitterpartie. Die Union aber lehnte das Gesetz ab, weil es zu tief in den Haushalt des Bundestags eingreife.

Im Maßnahmenpaket wird nun ein „Gesetz zur Förderung der wehrhaften Demokratie“ angekündigt. Das Familien- und Innenministerium würden dazu „zeitnah“ Eckpunkte erarbeiten. Giffey – deren Ministerium viele der Projekte über das Programm „Demokratie leben“ finanziert – begrüßte, dass für eine dauerhafte Demokratieförderung nun „der Weg frei“ sei. Man werde sicherstellen, dass das Engagement „verlässlich und nachhaltig finanziert“ wird. Ein Sprecher Seehofers sagte dagegen, es könne kein Gesetz geben, das einzig den Zweck einer dauerhaften Förderung habe. Vielmehr gehe es darum, dort „die Grundwerte der Demokratie festzuschreiben“ sowie eine Kooperation von Zivilgesellschaft und Sicherheitsbehörden.

Ein großer Wurf wird in diesem Punkt also zumindest vertagt. Dieser ist eher die Einführung eines Antirassismusbeauftragten des Bundes. Der allerdings steht gar nicht im Paket, weil er erst 2022 kommen soll. Auch wo dieser angesiedelt wird, ist noch offen. Aber es ist eine Institution, die bleibt und ausstrahlt.

Der Beauftragte gehört zu den Punkten, auf die sich die Koalition schon im Oktober einigte. Auch damals schon beschlossen: Der Begriff „Rasse“ wird aus dem Grundgesetz gestrichen, eine Arbeitsgruppe des Innen- und Justizministeriums soll nun eine Neuformulierung finden. Der Verfassungsschutz darf künftig verschlüsselte Kommunikation mitlesen. Und zum Rechtsextremismus oder Racial Profiling in der Polizei soll es keine Studie geben, sondern nur eine zum dortigen Arbeitsalltag und eine über Rassismus in der Gesellschaft allgemein. Zu mehr war Seehofer nicht bereit.

Weitere bereits angedachte Projekte sollen nun forciert werden. Das Justizministerin will das Veröffentlichen von Feindeslisten und Outings politischer Gegner unter Strafe stellen. Gleiches soll für „verhetzende Beleidigungen“ gelten, gemeint sind rassistische oder antisemitische Schmähungen, die nicht öffentlich geäußert werden und damit keine Volksverhetzung sind. Auch sollen Härteleistungen für Opfer von Terrortaten und extremistischer Übergriffe ausgeweitet werden.

Meilenstein im Kampf gegen den Rechtsextremismus, Antisemitismus und Rassismus in Deutschland

Andere Maßnahmen sollen dagegen schlicht ausgebaut werden, etwa die Tätigkeiten des Opferbeauftragten des Bundes, die politische Jugendarbeit oder Projekte für mehr Diversität in den Behörden. Zudem werden Lücken geschlossen. Neue Projekte sollen sich dem Hass im Netz und Antifeminismus widmen oder Verschwörungsmythen, wie sie derzeit auf den Coronaprotesten blühen. Oder ein Bundesinstitut Qualitätssicherung, das die Demokratieprojekte dauerhaft evaluieren soll und beim Innenministerium angesiedelt wird.

Hier, wie auch bei den anderen Maßnahmen, kommt vieles auf die Ausgestaltung an. Interessant wird etwa, wie sich das Innenministerium das geplante „vertrauensbildende Austauschformat“ zwischen Sicherheitsbehörden und Anti-rechts-Projekten der Zivilgesellschaft vorstellt.

Aus der Zivilgesellschaft kam Lob für das Paket, in Teilen aber auch Kritik. Die Amadeu Antonio Stiftung sprach ebenso von einem „Meilenstein“, nannte viele Maßnahmen aber als zu vage. Für Josef Schuster vom Zentralrat der Juden macht die Regierung mit den Maßnahmen deutlich, dass es ihr „mit dem Kampf gegen Rechtsextremismus, Rassismus und Antisemitismus ernst ist“. Die Vorschläge dürften jetzt aber „nicht in der Schublade verschwinden“, sondern müssten auch in der nächsten Legislaturperiode fortgesetzt werden. Schuster forderte auch das Demokratiefördergesetz ein.

Das tat auch Selmin Çalışkan von der Open Society Foundations. Sie lobte die geplanten Maßnahmen für Betroffene rassistischer Gewalt. Hier müssten die Maßnahmen zuletzt verlorenen gegangenes Vertrauen auch in die Sicherheitsbehörden wieder aufbauen. Robert Kusche vom Verband der Opferberatungsstellen lobte die Ausweitung der Opferentschädigungen und Verbesserungen für zivilgesellschaftliche Initiativen. Es fehle aber weiter eine Studie zu Rechtsextremismus in der Polizei und ein humanitäres Bleiberecht für Opfer rassistischer Gewalt.