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New York tanzt

Die Nachricht vom Wahlsieg Joe Bidens und Kamala Harris’ löst in Manhattan Jubel, Begeisterung und ein Verkehrschaos aus. Die Demonstranten feiern das Ende von vier Jahren Donald Trump

Aus New York Dorothea Hahn

Als das Hupkonzert auf dem Malcolm X Boulevard in Harlem beginnt, befindet sich Donald Trump gerade auf einem Golfplatz. In Harlem kommen Topfdeckel- und Pfeifenkonzerte aus geöffneten Fenstern. Bürgersteige füllen sich mit tanzenden und klatschenden Menschen. Ein junger Mann mit feucht glänzenden Augen stammelt immer wieder den Satz: „Es ist Joe Biden.“ Eine Frau schreit aus einem im Schritttempo rollenden Auto: „Kamala – Kamala – Kamala“. An der Ecke zur 125. Straße umarmt eine Afroamerikanerin einen fremden, weißen Mann, der ein Black-Lives-Matter-T-Shirt trägt. Ihr Freund muss ein Selfie von den beiden machen.

„Hit the road, Don“, singen zwei Dutzend in Rosa gekleidete Erwachsene. Ursprünglich wollten sie mit ihrem Aktivistenchor zum Columbus Circle kommen, um an einer Demonstration für eine faire Auswertung der Präsidentschaftswahlen teilzunehmen. „Protect the result“ (Schützt das Ergebnis) stand auf den Aufrufen von Gewerkschaften, Bürgerrechtsgruppen, Klimaaktivisten und Mitgliedern der Demokratischen Partei. „Schreibt euch die Telefonnummer eines Anwalts auf den Unterarm“, hatten die Organisatoren noch empfohlen und vorab Anleitungen zur „Deeskalation“ verschickt. Quer durch die USA waren für diesem Samstagmittag Hunderte solcher Demonstrationen angekündigt. Sie sollten Donald Trump davon abhalten, das Wahlergebnis zu manipulieren.

Die Siegesrede

Der gewählte US-Präsident Joe Biden hielt seine Siegesansprache am Samstagabend in seiner Heimatstadt Wilmington im US-Bundesstaat Delaware.

Gegen die Spaltung „Ich werde ein Präsident für alle Amerikaner sein. Ganz egal, ob sie mich gewählt haben oder nicht”, sagte Biden vor Hunderten von Anhängern. „Ich verspreche, ein Präsident zu sein, der uns nicht spaltet, sondern vereint. Der keine blauen oder roten Staaten sieht, sondern nur die Vereinigten Staaten”, sagte Biden.

Anstand wiederherstellen Zugleich sprach Biden deutliche Worte hinsichtlich der Regierungszeit von Donald Trump: „Wir haben die Chance, die Verzweiflung zu besiegen, eine Nation des Wohlstands und Ziele aufzubauen. Wir können das schaffen“, sagte er. Es gehe auch um den „Kampf, den Anstand wiederherzustellen, die Demokratie zu verteidigen und jedem in diesem Land eine faire Chance zu geben“. Er kündigte zudem an, bereits am kommenden Montag eine Coronavirus-Taskforce auf die Beine zu stellen.

Der Heiler Joe Die gewählte Vizepräsidentin Kamala Harris sagte: „Ich bin vielleicht die erste Frau, die dieses Amt bekleiden darf. Doch ich werde nicht die letzte sein.” Über Biden sagte sie: „Joe ist ein Heiler. Ein Vereiner. Eine erprobte und ruhige Hand.“ (taz)

Die Veröffentlichung des Wahlsiegs, die am späten Vormittag von der Nachrichtenagentur Associated Press und von sämtlichen großen TV-Sendern einschließlich des erzkonservativen Kanals Fox News kommt, ändern sowohl Charakter als auch die Größe der Demonstrationen. Quer durch das Land strömen Menschen auf die Straßen. Viele waren aufgrund der Coronapandemie seit Monaten alleine und hatten auch nicht die Absicht, ­gegen Trumps Wahlmanipulationen zu demonstrieren. Jetzt tauchen sie auf. Es ist das Gefühl ­einer kollektiven Befreiung, das sich hier manifestiert. New York City ist schließlich eine Hochburg der Demokratischen Partei.

„Wir haben es geschafft!“, schreibt ein junger Mann auf dem Bahnsteig der U-Bahn-Station auf ein Stück Karton. Auf seinem ursprünglichem Transparent für diesen Samstag stand: „Respektiert meine Stimme“. Das hat er auf den Müll geworfen.

„Trump ist ein Faschist und ein Rassist. Ich war von Anfang an von ihm angewidert.“ „Wir sind New Yorkerinnen. Hier stehen überall Türme mit seinem Namen. Wir wussten, wer er war und wofür er stand“

Coco und Ruby, 14-jährige Freundinnen

Am Columbus Circle stoßen der Central Park, eines von Trumps Luxushotels und die neuen Hochhäuser von der 58. Straße aufeinander. Es ist eine der teuersten Wohngegenden von Manhattan. An diesem Samstag hat sich auf dem Platz eine dichte Menge von Autos, Fahrrädern und Menschen in­einander verkeilt. Nichts bewegt sich. Und dennoch zeigt niemand Wut oder Eile. Autofahrer werfen sich gegenseitig Kusshände zu. Fußgänger deuten Umarmungen in der Luft an. Es ist ein Tag mit Gänsehautfaktor.

„Die sind heute überall“, sagt ein Polizist über die Demonstrationen. Er weiß von keiner geplanten Demonstrationsroute. Nur dass in diesem Augenblick Menschen auf mindestens drei großen Plätzen in Manhattan und weiteren in anderen New Yorker Stadtbezirken zusammenströmen. Tausende New Yorker Polizisten gehören Gewerkschaften an, die zur Wiederwahl von Donald Trump aufgerufen hatten. Bei den Demonstrationen der zurückliegenden Wochen und Monate haben sie oft brutal zugeschlagen. Aber an diesem Samstagnachmittag sind sie höflich. Sie tragen Maske und keine Kampfuniform.

Auf dem Dach eines schwarzen SUV tanzt eine junge Frau. Auf ihrem T-Shirt steht: „nasty woman“ – garstige Frau. Der Wagen ist umzingelt von anderen Frauen, die sie anspornen und fotografieren. Vor vier Jahren hat Trump seine Gegenspielerin Hillary Clinton eine „garstige Frau“ genannt. Mit demselben Adjektiv hat er seither andere kluge, erfolgreiche und selbstbewusste Frauen bedacht. Seit diesem Samstag steht fest, dass eine von ihnen im Januar den Platz seines Vizepräsidenten einnehmen wird. Nach dem fundamentalistischen Mike Pence aus Indiana, der prinzipiell mit keiner anderen Frau als seiner „eigenen“ essen geht, wird künftig die Kalifornierin Kamala Harris die zweitmächtigste Person in den USA. Der Unterschied zwischen den beiden könnte kaum größer sein.

Am Columbus Circle taucht Harris’ Name häufiger auf als der von Biden. „Kamala 2024“ rufen manche Leute. In diesem Jahr finden die nächsten Präsidentschaftswahlen statt. Biden wird sein Amt als 78-Jähriger antreten. Sollte ihm etwas zustoßen, wäre Harris automatisch seine Nachrückerin.

Die drei Freundinnen, die zusammen zum Columbus Circle gekommen sind, waren zehn Jahre jung, als Trump gewählt wurde. Vier Jahre danach haben sie zu seinem Abschied „Fuck you, Trump“ auf ein Schild geschrieben, das sie gemeinsam durch die Menge tragen. „Er ist ein Faschist und ein Rassist“, sagt Coco. Sie war von Anfang an „angewidert von ihm“. Ihre Freundin Ruby erklärt: „Wir sind New Yorkerinnen. Hier stehen überall Türme mit seinem Namen herum. Wir wussten, wer er war und wofür er stand.“ Von dem künftigen Präsidenten erwarten die drei als Erstes, dass er gegen den Klimawandel aktiv wird und dass er endlich einen Plan aufstellt, um gegen die Pandemie vorzugehen. „Schön wäre auch, wenn er uns von Amy Coney Barrett befreien würde“, witzelt Lily. Sie weiß, dass Oberste Richterinnen auf Lebenszeit ernannt werden.

Ein junger Mann stammelt immer wieder den Satz: „Es ist Joe Biden.“ Eine Frau schreit: Kamala – Kamala“. „Hit the road, Don“, singen zwei Dutzend Erwachsene

Für Armando war dies die Woche von zwei großen Premieren. Er hat nie zuvor in seinem Leben gewählt „Ich komme aus dem Ghetto in Harlem“, begründet er. Und er war auch noch nie bei einer Demonstration. An diesem Samstag sitzt er in seiner schwarzen Lederjacke auf seiner Harley-Davidson, filmt alles, was er auf dem Columbus Circle sieht, und übermittelt es live an seine Tochter. Dass Trumps Regierung an der Südgrenze der Vereinigten Staaten Kinder von ihren eigenen Eltern getrennt hat, hat Armando zu einem Wähler und Demonstranten gemacht. Von dem nächsten Präsidenten erwartet er, dass er entschlossen gegen die Pandemie vorgeht: „Das Virus tötet uns. Wir Hispanics und Blacks sterben.“

In der Menschenmenge am Columbus Circle, die sich später ein paar Blocks weiter südlich zum Times Square verlagert, kommt fast alles zur Sprache, was Donald Trump in den zurückliegenden Jahren angerichtet hat. Die Jungen empören sich besonders über seine Klimapolitik, die Älteren prangern seinen Rassismus und seine Angriffe auf die Demokratie an. Manche gratulieren „Joe“ zur Wahl. Und sagen danach sofort: „Die harte Arbeit beginnt jetzt erst.“ Ihre Listen der anstehenden Aufgaben für Biden und Harris sind lang. Sie reichen von einer anderen Nahostpolitik bis hin zu höheren Löhnen und zu Papieren für Millionen von illegal lebenden Menschen.

Donald Trump will seine Niederlage weiterhin nicht wahrhaben. Am späten Nachmittag, nachdem er sein Golfspiel beendet hat, wütet er in den sozialen Medien, als wären die Wahlen noch nicht entschieden. Er ruft seine Anhänger zum „Kämpfen“ gegen Demokraten und Journalisten auf, weil die die Wahlergebnisse stehlen würden. Aber in dem Freudentaumel in New York ist Mr. Trump für viele auf der Straße schon ein Mann hinter Gittern. Ein Demonstrant, der sich in eine orangefarbene Gefangenenkluft und eine Trump-Maske gehüllt hat, winkt auf der fünften Avenue wie zum Abschied. Hinter ihm steht der Turm, in dem Trump wohnte, bevor er vor vier Jahren ins Weiße Haus umzog.

Die Straße sind gesperrt.. Tiffany, Bulgari und die anderen Luxusläden auf beiden Seiten haben ihre Schaufenster mit Spanplatten verriegelt. Zwei Blocks entfernt bietet ein ambulanter Verkäufer rote Schirmmützen an. Statt „Make America Great Again“, steht darauf nur: „Adios“. Aus einem Megafon kommt der spöttische Ruf: „One Term ­Tower“. Trump hat oft erklärt, dass er Verlierer verachtet. Jetzt ist er selber einer. Er ist der erste Präsident seit 1992, der nach nur einer Amtszeit aus dem Weißen Haus verjagt wird.

Dave Robinson ist schon am Samstagmittag zum Columbus Circle gekommen. Mit Messer und einer Gabel trommelt er Jazzrythmen auf einem metallenen Pfosten. Er ist allein in der Menge. Glücklich über das Ende von Trump. Völlig auf die Musik konzentriert. Stunden später stößt die Sängerin Ellen Martin zu ihm. Die beiden kennen sich nicht. Sie übernimmt das Messer, die Gabel und den Metallpfosten. Robinson packt sein Saxofon aus. Um die beiden herum, in dem Gestank von gestauten Autos und von Hamburger-Ständen und in dem Lärm von Hupen und Geschrei, tanzen Menschen in den Herbstabend. „Dies ist eine gute Stadt“, sagt Robinson, „mit vielen guten Menschen.“ Martin nickt. Sie hofft auf bessere Zeiten mit Biden.

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