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From Tonga with Love

Schöne Aussichten auf die kommenden Wochen im sogenannten Teil-lockdown: Während der täglichen acht Megafress-Stunden meines 16:8-Intervallfastens werde ich apathisch in den Sonnenuntergang starren, den ich mir vor Jahren halbironisch als Fototapete in die tote Küchenecke geklebt habe. Aber so richtig tot ist die Küchenecke seit den ersten Kontaktbeschränkungen im Frühjahr eigentlich gar nicht mehr, denn dort rattert nun die wuchtige Kühlgefrierkombination mit Black-Glass-Doppeltür-Front und Eiswürfelspender, die ich mir von meiner demnächst zurückzuzahlenden Corona-Soforthilfe für Soloselbstständige gekauft habe.

Tja, Pech gehabt, konnte ich ja nicht ahnen. Aber dafür geht hinter dem schwarzen Kühlmonster auch weiterhin im südpazifischen Königreich Tonga die Sonne nie unter. Zumindest bilde ich mir ein, dass die Fototapete in Tonga spielt. Vielleicht zeigt sie aber auch nur einen bis zur Impfung nicht mehr zu bereisenden Strand auf Ibiza oder einen farblich verzerrten Fake-Badesee in Mitteldeutschland aus der Deutschlandtourismus-Kampagne der Deutschen Bahn.

Was ich auch nicht ahnen konnte, ist meine seit genau vier Jahren anhaltende Aversion gegen die als Gesichts- und Haartönung in Verruf geratene Farbe Orange, mit der mich meine Fototapete 24/7 zusabbert.

Hätte ich mich damals doch nur für die kalten Farben der Motive „Birkenwald“ oder „Allgäuer Hochalpen“ entschieden! Mein Psychotherapeut erzählte mir in diesem Zusammenhang, dass sich in Asien die Fototapete „Keukenhof“ mit holländischen Tulpenfeldern in Primärfarben größter Beliebtheit erfreue und überall in toten Ecken vertapeziert sei. Die Tulpe nämlich, so scheint es, gedeihe wohl auf asiatischen Böden nicht zufriedenstellend und gelte dort deshalb als besonders wertvolle, extrem exotische Blume. Also nicht wie bei uns als Schrottpflanze, die man ein paar Monate lang im Zehnerpack für 5 Euro im Discounter oder in der ausgefransten Variante zum dreifachen Preis in der Floristikwerkstatt um die Ecke kaufen kann.

Aber mir kommt der Keukenhof nicht hinter den Kühlschrank! Und nun, da der orange Spuk voraussichtlich sein Ende genommen hat, steht einer Wiederversöhnung mit meiner Fototapete auch nichts mehr im Weg und ich sehe unserem Weihnachtsfest mit maximal neun Personen aus einem anderen Hausstand voller Freude entgegen. Stephan Herczeg

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