: „Die Fiktion einer Mitte der Gesellschaft wird zerfallen“
Der Performer Arne Vogelgesang setzt sich mit rechter Propaganda auseinander. Ein Gespräch über Coronademos, rechte Strategien und Wege aus der Endzeitpolitik
Interview Annika Glunz
Arne Vogelgesang, Performer und Regisseur, verbringt seit jeher viel Zeit am Computer und im Netz. Seit 2013 inszeniert er Stücke, die auf Material aus dem Netz basieren. Sein Fokus liegt hierbei auf Radikalisierung, Propaganda und politischer Subjektivierung. In diesem Jahr führte er das Stück „Flammende Köpfe“ über rechten Online-Aktivismus auf; seine aktuelle Performance „Es ist zu spät“ ist Teil des Monolog-Festivals „Vom Ende her neu“ im Theaterdiscounter, das am 6. November beginnt und gestreamt wird.
taz: Herr Vogelsang, in Ihrem Teaser zu „Es ist zu spät“ sagen Sie: „Ich beobachte, wie sich Menschenverachtung und Liebe die Hand reichen und gemeinsam eine spirituelle Politik neu erfinden, die jeden Zweifel an Erleuchtung mit Umarmungen erstickt.“ Können Sie konkrete Beispiele geben, was genau Sie wo beobachten?
Arne Vogelgesang: Das ist ein laufender politischer Prozess. Für die Leute, die beispielsweise bei den Coronademos mitlaufen, scheint ein großer Teil über Prinzipien wie „All lives matter“ zu funktionieren. Es geht also darum, bestimmte politische Interessen abzuwehren, indem man auf Universalien zurückgeht. Nicht differenzieren zu müssen ist angenehm, weil man dann das eigene Privileg nicht hinterfragen und die Nicht-Privilegiertheit von anderen nicht anerkennen muss. Bei den Coronademos münzt sich das um auf Krankheitsrisiken und ökonomische Privilegien.
Daneben gibt es dort aber seit einigen Jahren einen bewussten Drang dazu, sich selbst und das eigene Tun als politisches Handeln zu begreifen. Und das in einer Szene, die einen anderen Wahrheitsbegriff hat und die deswegen leichter in Konflikt gehen kann zu Pandemieschutzmaßnahmen durch die Regierung, die ihrer gefühlsbasierten Verbundenheitsideologie widersprechen.
Das erklärt aber noch nicht, wie es dann möglich sein kann, dass diese Menschen mit Rechten zusammen auf die Straße gehen.
Das ist ganz schlau gemacht in der Bewegung rund um die Coronademos, indem sie sich so segmentiert. Es gibt Teile, die versuchen, immer wieder wie eine Art Mantra zu wiederholen, dass man eigentlich ja nichts mit den Rechten am Hut hat. Das sind so Mitte-Ideologien: Wir sind einfach ganz normale Bürger. Und das stimmt zum großen Teil ja auch, aber niemand hat gesagt, dass normale Bürger das Tollste der Welt sind. Dann gibt es andere Teile, die radikaler sind, und die verzahnen sich dann miteinander.
Anselm Lenz von „Nicht ohne uns“ hat dann sein Antifa-T-Shirt an und glaubt wohl tatsächlich, sie wären so eine Art linke Speerspitze gegen den Kapitalismus und den erstarkenden Faschismus. Das ist die verbindende Erzählung zwischen allen: Wir kämpfen gegen den neuen Faschismus. Sie mobilisieren aber zur gleichen Veranstaltung wie die „Coronarebellen“, und die bringen dann die Rechten mit. Und in dem Moment steht man dann doch wieder gemeinsam auf der Straße, kann aber das Gefühl haben, man selber wäre nicht dafür verantwortlich und kann das irgendwie ignorieren.
Zudem ist die Grundlogik von Massenmobilisierung ja immer die, wir müssen möglichst viele sein, und deswegen dürfen wir uns nicht miteinander streiten. Das funktioniert wahnsinnig gut.
In Ihrem Teaser behaupten Sie auch, wir würden am Beginn einer Endzeitpolitik stehen: „Die kommende Politik wird eine der Verzweiflung, Hoffnungslosigkeit, Resignation, Angst vor der Angst sein. Wir stehen erst am Anfang.“ Was genau macht für Sie diese „Endzeitpolitik“ aus?
Ich habe schon die Empfindung, dass es irgendeinen Umbruch gibt. Diese Glaubenssätze, dass wir einen Fortschritt hätten und dass alles immer besser würde, sind nur noch sehr schwer aufrechtzuerhalten. Ich verstehe relativ viel an dem Erstarken rechter Politik in den letzten Jahren als Reaktion auf diese Intuition. Die radikale oder extreme Rechte tut sich zwar sehr stark hervor damit, Erkenntnisse wie Klimakatastrophe nicht anzuerkennen, aber ihre Vorschläge sind ja schon Reaktionen darauf. Zu sagen, wir müssen unsere ökonomischen Vorteile absichern, reagiert ja auch darauf, dass man weiß, dass wir eine zunehmende Anzahl von Klimaflüchtlingen haben und haben werden.Meine Intuition ist, dass diese Fiktion einer Mitte der Gesellschaft auch zerfallen wird. Alles fließt von der Mitte ins Extrem. Mit dem Zustand müssen wir umgehen. Und das ist eine Grundlage für eine andere Politik, weil ich glaube, das demokratische Prinzip der Konsensfindung beruht darauf, dass man eine fiktive Mitte annehmen kann, in der die Leute sich dann auch identitär verorten können.
Gibt es denn Auswege aus der Endzeit?
Es wäre Aufgabe derjenigen Menschen, die sich als aktive Gestalter von irgendwie linker Politik begreifen, mal mit konkreten Plänen für Umverteilung um die Ecke zu kommen und das zu organisieren. „Endzeitpolitik“ ist nur ein etwas reißerischer Hinweis auf den Punkt, an dem Dinge sich entscheiden. Bei Umverteilung geht es nämlich um Gerechtigkeit. Und bei einem globalen Problem wie der Klimakatastrophe müsste Umverteilung global organisiert werden – das ist ein großer Brocken.
Viele Menschen fühlen sich aktuell ohnmächtig und sagen, wir hätten keine Kontrolle mehr über das, was wir selbst geschaffen hätten, und könnten gegen dieses System nichts mehr ausrichten.
Arne Vogelgesang ist 1977 in Ostberlin geboren, studierte Regie in Wien, Kulturwissenschaft, Soziologie und Europäische Ethnologie in Berlin. Seit 2005 erforscht er die Bildproduktion im virtuellen Raum.
Die Organisation von Macht ist natürlich auch die Organisation von Ohnmacht. Die Verunpersönlichung, die man mit dem Schlagwort „Neoliberalismus“ verbunden hat, hat diese Ohnmachtsgefühle noch viel mehr verstärkt. Denen, die Macht haben, ermöglicht diese nämlich, sich ohnmächtig zu fühlen, wenn es gerade opportun ist, und das wiederum als Handlungstreiber für politisches Handeln zu begreifen. Im konkreten Fall bedeutet das zum Beispiel, dass auch eine relativ privilegierte Schicht bei den Coronamaßnahmen demonstriert und Ohnmachtserfahrungen als Begründung heranzieht. Auch das ist etwas, was irgendwie neu verteilt werden müsste.
Wie kann das geschehen?
Die große Herausforderung ist, handlungsfähig zu werden. Es gibt diese Haltung, wir können doch eh nichts mehr machen, und ich glaube, die wird zunehmen. Paradoxerweise scheint aber auch Aktivismus als Handlungsoption stetig zuzunehmen. Das heißt, die Ohnmacht kann eigentlich nicht so groß sein, wie man es immer annimmt. In dem Moment, wo du auf die Straße gehst, hast du zumindest noch Hoffnung.
Gibt es noch andere Umgangsformen?
Es gab dieses Deep Ecology Paper, in dem gesagt wird, wir müssen erst mal anerkennen, dass die Welt, die wir jetzt kennen, definitiv verlorengehen wird. Das Ausmaß von Vernichtung, das schon läuft, ist extrem schwer auf der psychischen Ebene zu verarbeiten, weil es ein riesiger Verlust ist. Du müsstest jetzt schon trauern um den Tod von sehr vielem, was dir lieb und teuer ist auf einer überpersönlichen Ebene. Das ist ein mühsamer Prozess, es könnte aber sein, dass man da durchkommt und dann trotzdem noch politisch handlungsfähig ist. Ich bin da selbst noch nicht durch. Ich glaube, dass man durchaus auch durch drohende Gefahr zum Handeln bewegt werden kann. Ich glaube, ich bin kein guter Mutmacher. Es gibt aber Leute, die das gut können, und darüber bin ich auch ganz froh.
Das Monolog-Festival „Vom Ende her neu“ verbindet unter den Titeln „Sehenden Auges“, „Menschen gemacht“ und „Wort ergreifen“ immer zwei Monologe zu einer thematischen Doppelaufführung. Es sollte vom 6. bis 8. November im Theaterdiscounter laufen und kann jetzt jeweils um 20 Uhr live gestreamt werden.
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