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Sechsmal mehr Männer

Für die Kommunalwahl 2021 stellen sich in der SPD in Hannover kaum Frauen zur Wahl. Die Männerdominanz ist ein Problem, mit dem in der Kommunalpolitik alle Parteien kämpfen

Von Harff-Peter Schönherr

Die Meldung klingt ernüchternd: Die Ratsfraktion der Hannoveraner SPD bestehe nach der Kommunalwahl 2021 womöglich „fast nur aus Männern“, hat die Hannoversche Allgemeine Zeitung jüngst gewarnt. Zwölf Männer würden sich derzeit auf einen aussichtsreichen Listenplatz bewerben, aber nur zwei Frauen. Jetzt greife der Parteivorstand ein.

Ulrike Strauch, Vorsitzende der SPD Hannover, könne die Zahlen „so nicht bestätigen“, sagt sie. Eine „Personalgewinnungskommission“, eingerichtet zur Vorbereitung der Wahl, befasse sich „auch mit der Möglichkeit, wie wir mehr Frauen gewinnen können, für ein Mandat zu kandidieren“. Von einem Eingreifen des Vorstands könne „hier keine Rede sein“. Strauch führt Hannovers Genossen in Genderparität mit Adis Ahmetovic. Ihre „persönliche Hoffnung“ sei, dass sich „viele Frauen auf der Liste befinden“, sagt sie. „Frauen zu stärken, ist mein Ansporn.“

Erst auf der Stadtwahlgebietskonferenz im April 2021 wird über die Listen entschieden, im Prinzip ist also noch alles offen. Zudem sieht das Bezirksstatut „eine Quote von 40 Prozent verbindlich vor“, so Strauch.

Männerdominanz ist in der Kommunalpolitik noch immer weit verbreitet, bundesweit. Das „Genderranking deutscher Großstädte“ der Fernuniversität Hagen, eine 2017 im Auftrag der Berliner Heinrich-Böll-Stiftung erstellte Studie zur Frauenrepräsentanz in kommunalpolitischen Führungspositionen, bilanziert: Frauen sind, gemessen an ihrem Anteil an der Bevölkerung, noch immer unterrepräsentiert. Parteien mit Frauenquote schneiden besser ab – Bündnis 90/Die Grünen und Die Linke, auch die SPD –, Parteien ohne Quote schlechter; das Schlusslicht bildet die AfD. Geht es weiterhin so stockend voran wie zwischen 2008 und 2017, sei eine „paritätische Besetzung kommunaler Ratsmandate mit Frauen und Männern“ erst in 128 Jahren erreicht, rechnet das Ranking vor. Hannover kommt in ihm auf Platz 29 – von 73.

Frauen für die Kommunalpolitik zu gewinnen, zumal als Mandatsträgerin, sei „für alle Parteien schwierig“, sagt Strauch. „Für uns als Partei ist klar: Wir brauchen mehr Frauen in der Politik!“ Sie arbeite daran, sieht die SPD auf einem „guten Weg“.

„Wir bemühen uns stets, viele Frauen aufzustellen“, sagt Jessica Kaußen, Kreisvorsitzende der Linken in der Region Hannover. Auch sie erlebt das kommunalpolitische Engagement von Frauen als „generell zu gering“. „Das ist ein gesellschaftsstrukturelles Problem“, sagt sie, „nicht nur eins der SPD“. Umso wichtiger findet sie das Anfang 2019 gestartete Mentoring-Programm „Frau. Macht. Demokratie.“ des Niedersächsischen Sozialministeriums zur Kommunalwahl 2021: „Ich hoffe, das trägt Früchte!“ Kaußen, die selber zwei Mentees betreut hat: „Und es reicht nicht, dass die Frauen aktiver werden. Auch die Männer müssen sich ändern. Vor allem aber die Rahmenbedingungen.“

„Da sitzen fast nur Männer, reden und reden, arbeiten manchmal eher an ihrer Selbstinszenierung als effizient an Ergebnissen“

Yvonne Lüdecke, Politikwissenschaftlerin Uni Hannover

Yvonne Lüdecke, Institut für Politikwissenschaft der Leibniz Universität Hannover, spezialisiert nicht zuletzt auf Wahl- und Parteimitgliederforschung, sieht das genauso: „Nicht zuletzt kommt es darauf an, wie man sozialisiert wird. Wir müssen Mädchen und Jungen die gleichen Fähigkeiten mit auf den Weg geben. Mädchen müssen noch stärker lernen, auch mal zurückzudiskutieren, nicht immer nur still zu sein.“

Die Probleme sind vielfältig. Da ist das Patriarchalgebaren: „Man denkt ja, die Zeit der Hinterzimmertreffen, der Seilschaften und Kungeleien ist vorbei“, sagt Lüdecke. „Aber wenn man als Frau in den Ortsvorstand reinkommt, und da sitzen fast nur Männer, reden und reden, arbeiten manchmal eher an ihrer Selbstinszenierung als effizient an Ergebnissen, fühlt man sich oft nicht sehr willkommen.“ Da ist das Netzwerken, das viele Kommunalpolitikerinnen „noch stärker ausbauen müssen“, sagt Lüdecke. Da sind endlose Abendsitzungen, die oft mit Familienaufgaben kollidieren, mit Care-Arbeit, zumal bei Frauen, die traditionelleren Rollenbildern folgen.

Wie hoch der Männeranteil auf den vordersten Listenplätzen der Hannoveraner SPD am 12. September sein wird? Noch wissen wir es nicht. Aber er wird zeigen, ob „die Partei klug ist“. Ulrike Strauch hofft das zumindest.

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