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Ein mögli­cher Heiler

Das Porträt Joe Bidens von „The New Yorker“-Autor Evan Osnos

Evan Osnos: „Joe Biden“. Aus d. Engl. v. U. Bischoff und S. Gebauer. Suhrkamp Verlag, Berlin 2020, 263 Seiten, 18,95 Euro

Von Marlen Hobrack

Er ist sicher kein Kandidat für eine Revolution! Die Rede ist von Joe Biden, der – sollte er die Wahl zum US-Präsidenten gewinnen – genau einen Wählerwunsch einlöst: die Amtszeit von Donald Trump zu beenden. Eine leichtfüßige Art, sich den Vorzügen und Schwächen des Kandidaten zu nähern, ist das Biden-Porträt von Evan Osnos. Der Journalist, der für das Magazin The New Yorker arbeitet, schreibt fundiert über Bidens politische Biografie, die fünf Jahrzehnte umfasst – drei davon war Biden Senatsmitglied.

Biden ist im Washingtoner Politzirkus sowie der internationalen Politik bestens vernetzt. Tatsächlich traut man ihm zu, die transatlantischen Beziehungen wieder zu kitten. Biden, der auch gute Beziehungen zu Republikanern pflegt, war in der Obama-Administration häufig mit Vermittlungsarbeit zwischen den Fronten beschäftigt. Seine Methode des „Ohren­abkauens“ war durchaus von Erfolg gekrönt.

Dabei ist Biden kein geborener Gewinner. Dass er als Kind stotterte, weiß man inzwischen. Joe Impedimentia, „Joe Sprachfehler“, schimpften ihn die Mitschüler. Man ahnt, wie Trumps Angriffe („Sleepy Joe“) den Kandidaten zur Weißglut treiben. Osnos beschreibt einen Mann, der seine Minderwertigkeitskomplexe bisweilen mit großspurigen Übertreibungen kompensiert. Und dabei gerne vom Skript abweicht, nicht ohne sich eine der legendären „Joe-Bomben“, verbale Fehlgriffe erster Güte, zu leisten. Tatsächlich stimmen viele politische Kommentatoren darin überein, dass der durch Covid-19 erzwungene Verzicht auf öffentliche Reden ein echtes Glück für Biden war. So boten sich ihm wenige Gelegenheiten für seine häufig verhaspelten Sätze und Wortfindungsstörungen.

Biden versprach im Rahmen seiner Kandidatur dezidiert, er wolle „keine grundlegenden Veränderungen“. Man solle das mal auf einen Sticker drucken, witzelten einige Demokraten. Während also Bernie Sanders, der Herzkandidat der Parteilinken, für eine Revolution eintrat, verspricht Biden einen „progressive(n) Meliorismus“, also langfristige Veränderungen. Andere mögen seine Kandidatur eher als das Versprechen auf eine Gerontokratie betrachten. Tatsächlich war die Altersdifferenz zwischen Wählern und ihren Repräsentanten nie größer; derzeit haben die USA einen der ältesten Kongresse der Geschichte, noch dazu dominiert von einer ganz besonderen Generation: den „lucky few“, die gegen Ende des Zweiten Weltkriegs geboren wurden. Es ist eine kleine Generation, die von großzügigen Sozialprogrammen der 1930er und 40er Jahre profitierte. Sie vertritt Menschen, die oft schon mit Anfang zwanzig einen irrsinnigen Schuldenberg anhäufen, und das nur, weil sie ein College besuchen.

Bei der jüngeren Generation könnte Biden aber auf ungewöhnliche Art punkten: Die gegen Ende der Präsidentschaft Obamas aufgetauchten Memes ließen ihn zum Sympathieträger avancieren. Darin ist Biden der etwas peinliche Opa, der den jungen Obama mit seinen albernen Ideen zur Verzweiflung treibt. Vielleicht gelingt es ihm als Präsidenten, die Generationen zu versöhnen.

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