„Manche wissen gar nicht mehr, wie das ist, so ein normales Leben“

Auf dem Höhepunkt der ersten Coronawelle quartierte die Stadt Hannover Obdachlose in einer Jugendherberge ein. Das wäre wirksamer und besser als alle anderen Hilfsprogramme und Anlaufstellen, sagen die Betroffenen Heidi O. und Sascha L.

Foto: Michael Trammer

Protokoll Nadine Conti

Wir haben uns ins der Psychiatrie kennengelernt. Wir waren beide auf der gleichen Station und unsere langjährigen Lebensgefährten hatten sich von uns getrennt. Sascha hatte einen Burn-out mit Panikattacken und Hyperventilation und so. Ich, Heidi, habe immer wieder so dissoziative Zustände, bei denen ich komplett weggetreten bin und man mit mir eigentlich machen kann, was man will.

Nach der Klinik habe ich noch eine Zeit lang bei einer Freundin gewohnt, Sascha dann auch. Das ging aber nicht lange gut.

Wir haben dann im Auto geschlafen. Wir haben immer alles daran gesetzt, wenigstens dieses Auto zu haben. Wir können beide nicht Bus oder Straßenbahn fahren, Sascha kriegt da Panikattacken, ich habe Angst wegzutreten – das ist mir schon passiert. Außerdem lieben wir es, in der Natur und am Wasser zu sein – Sascha angelt auch viel. Wir trinken nicht und nehmen keine Drogen, deshalb können wir uns das leisten. Ich kriege aufgrund meiner Erkrankung eine Rente, Sascha bekommt Geld vom Jobcenter. Vermieter wollen uns aber natürlich oft trotzdem nicht.

Irgendwann sind wir dann in die Jugendherberge gegangen, als die Stadt die im Sommer angemietet hat. Sascha war da auch vorher schon mal alleine, ist aber nicht so richtig zur Ruhe gekommen. Später sind wir dann mit diesem Projekt ins Hotel Central umgezogen und dann auch ziemlich schnell ins Naturfreundehaus. Da hat es mir persönlich am besten gefallen.

Das war so richtig naturnah, da hatten wir Hühner, die konnten wir füttern – und hatten damit auch gleich eine Aufgabe. Du hattest dein eigenes Zimmer und deine eigene Dusche. Wenn du irgendwo hin musstest, konntest du vorher in Ruhe duschen und dich fertig machen. Aber wenn du keinen Bock hattest, mit irgendwem zu reden, konntest du dein Zimmer abschließen.

Nicht so wie in der Unterkunft am Alten Flughafen. Also, ich war da zwar noch nicht drin, aber wir haben uns das mal angeguckt und wissen das auch von Freunden, die da drin waren. Die Zustände da sind unter aller Sau. Also, ich komme ja vom Bauernhof, aber da würde ich nicht mal meine Kühe einsperren.

Die Leute müssen da um acht Uhr raus, die werden um sieben geweckt – und wenn sie nicht schnell genug aufstehen, wird gegen das Bett getreten. Abends um 18 oder 19 Uhr darf man wieder rein. Privatsphäre gibt es kaum, man hat sein Bett und dann sind dazwischen so Trennwände, wie man die vom Arzt kennt. Man darf sein Handy oder Laptop mitnehmen, aber schon mit so einem tragbaren kleine Mini-Fernseher kann es Stress geben – das hat ein Freund von uns erlebt.

Heidi O., 38, und Sascha L., 37, waren unter den letzten 17 Bewohnern, die das Naturfreundehaus in Hannover verlassen mussten. Das junge Paar wurde schnell zu begehrten Interviewpartnern, weil sie sich offen und klar äußerten. Aktuell sind sie auf eigene Kosten in einer Pension untergekommen, eine gemeinsame Wohnung ist in Aussicht

Ich glaube auch nicht, dass das jetzt corona­konform ist. Ich verstehe einfach nicht, warum man sich den ganzen Sommer lang so viel Mühe gegeben hat, die Leute von der Straße zu kriegen, und jetzt, wo es wieder kälter wird, setzt man uns raus.

Dabei hat man doch gesehen, was es gebracht hat. Es gab da Leute, die mit uns in der Jugendherberge und im Naturfreundehaus waren, die haben vorher richtig viel getrunken oder Drogen genommen – aber da brauchten die das kaum noch. Weil sie endlich mal zur Ruhe gekommen sind. Klar, in der Stadt – also auch im Hotel Central – war das anders, da kriegst du halt auch alles. Aber da draußen?

Und plötzlich kamen Leute, die vorher am Tag zwanzig Bier getrunken haben, mit zweien aus. Und dann waren da halt auch die Sozialarbeiter, die einem geholfen haben, die mit zu den Ämtern gegangen sind oder zum Arzt oder sonst was.

Also, klar gibt es das sonst auch, in den Kontaktstellen und so, ne? Aber da muss man halt erst einmal hin und die sind ja auch oft überfüllt. Und wenn du auf der Straße bist oder nur so eine Schlafstelle hast, ist halt auch das Problem: Du bist ja nur damit beschäftigt, dir Gedanken zu machen – wo gehst du als nächstes hin? Wo kriegst du dein Essen her? Wo kannst du mal duschen oder deine Sachen waschen? Du hast nichts, wo du mal alleine bist. Selbst wenn du schläfst, kannst du kaum ein Auge zumachen, weil du musst ja immer noch auf deine Sachen aufpassen.

Und du wirst halt immer auch so angeguckt – als ob du so ein Stück Dreck bist, was man jetzt wegfegen muss, so ungefähr. Die Leute, die auf der Straße sind, laufen doch auch nicht gerne dreckig rum. Du hättest mal sehen müssen, wie die sich gefreut haben, als klar war, die haben da im Naturfreundehaus eine eigene Dusche und können ihre Wäsche waschen.

Klar, wenn du ein paar Jahre auf der Straße warst, ist das auch ungewohnt. Manche wissen gar nicht mehr, wie das ist, so ein normales Leben. Aber dafür ist dann ja die Sozialarbeit da. Die sind mit den Leuten zu den Ämtern gegangen – also gerade zum Wohnungsamt, da brauchst du als Obdachloser alleine auch eigentlich nicht hingehen, da wirst du nur schlecht behandelt.

Die haben auch geguckt, dass die Leute ihre Post aufmachen und zum Arzt gehen und so. Auch das ist sonst ja schwierig. Wie willste das denn machen? Dein ganzes Gepäck mit ins Wartezimmer nehmen? Da werden sich die anderen Patienten auch bedanken. Aber draußen liegen lassen kannst du es ja auch nicht. Und natürlich ist es auch unangenehm, wenn du keine Gelegenheit zum Duschen hattest und so. An solchen Sachen scheitert es dann auch.

Wir haben uns jetzt auch Unterstützung gesucht, Leute, die uns weiter betreuen. Wir hoffen ja, dass wir morgen unseren neuen Mietvertrag kriegen.

Wir haben bei diesem Projekt echt viele gesehen, die versuchen, ihr Leben wieder auf die Reihe zu kriegen. Die wollen arbeiten, die wollen ein Dach überm Kopf. Aber du kriegst das eine ja nicht ohne das andere.

Als es hieß, die Jugendherberge wird geschlossen, haben viele geweint. Als es dann doch weiterging, haben sich gestandene Männer heulend in den Armen gelegen. Es hat sich auch einfach eine tolle Gemeinschaft gebildet. So etwas sollte in jedem Fall weitergeführt werden. Wir verstehen nicht, warum die Stadt das beendet, ausgerechnet jetzt.