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Schutzmann für die Polizei

Niedersachsens Innenminister Boris Pistorius (SPD) setzt sich für eine Studie zu rechten Tendenzen bei der Polizei ein. Aber 2018 schmetterte die Landesregierung einen Antrag aus der SPD ab, der rechten Entwicklungen per Gesetz vorbeugen sollte. Und schweigt

Von Harff-Peter Schönherr

Boris Pistorius ist stolz auf seine Polizei. Der „ganz überwiegende Teil der Kolleginnen und Kollegen bei der Polizei steht fest auf dem Boden des Grundgesetzes“, betonte der niedersächsische Innenminister (SPD) Ende September in einem Statement zum Vorschlag der Gewerkschaft der Polizei (GdP), eine „Untersuchung des Polizeialltags“ anzuschieben. Diese Studie wäre sozusagen der kleine Bruder der Rassismus-Studie, die Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) derzeit blockiert.

Pistorius gibt sich gern aufklärerisch. Rechte Tendenzen bei der Polizei? Das will er genauer wissen: Anfang Dezember wird er für die GdP-Studie auf der Innenministerkonferenz von Bund und Ländern werben. Schon Ende Oktober tut er es auf der Konferenz der SPD-Innenminister, deren Sprecher er ist. Und er hat Alliierte: Bundesjustizministerin Christine Lambrecht (SPD) befürwortet die Studie, auch Holger Stahlknecht (CDU), Sachsen-Anhalts Innenminister.

„Wenn es um rechte Hetze und mangelnde Distanz zu rassistischen und menschenverachtenden Äußerungen geht“, hatte Jörg Radek, der Vize-Vorsitzende der GdP, in Hannover mit Verweis auf die Studie erklärt, dürfe die Polizei „kein Spiegelbild von Strömungen innerhalb der Gesellschaft sein“. Pistorius sieht das genauso: Fehler müssten „benannt und gemeinsam angegangen“ werden.

Und Fehler passieren. 61 Positionen umfasst, ab 2017, die Liste der „rassistischen, rechtsradikalen Vorfälle in der niedersächsischen Polizei“, die das Innenministerium führt. Beschwerden wegen Racial Profiling sind darunter, Tatvorwürfe wie der Hitlergruß und das „Versenden von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen über WhatsApp“. Nicht alles erhärtet sich. Aber es kommt zu Sensibilisierungs- und Kritikgesprächen, zu Geldbußen, Disziplinar- und Strafverfahren, zu Verboten der Führung der Dienstgeschäfte, zu Entlassungen.

Auf Fehler zu reagieren, ist das eine, ihnen vorzubeugen das andere. Und hier hat Niedersachsen eine Chance vertan, als es ganz besonders darauf ankam. Am 3. November 2018 ging es auf der Jahressitzung des Landesparteirats der SPD in Hannover um das Niedersächsische Polizei- und Ordnungsbehördengesetz (NPOG). Horst Simon, damals Delegierter für den Unterbezirk Osnabrück, brachte einen Änderungs- und Ergänzungsantrag zum Antrag 5.1 „Im Zweifel für die Freiheit – NPOG-Ent­wurf grundlegend ändern“ der Arbeitsgemeinschaft sozialdemokratischer Juristen (ASJ) ein.

Dieser fordert, ins NPOG Regelungen aufzunehmen, „die sicherstellen, dass alle Polizeibeamten regelmäßig dahingehend geschult werden, dass sie ihren beruflichen Auftrag als Maßnahmen zur Sicherung und Förderung des freiheitlichen und demokratischen Charakters unserer Gesellschaft und unseres Staates verstehen“.

Simon händigt dem Präsidium den Antrag in Schriftform aus und trägt ihn auch mündlich vor. Aber Stephan Weil, Ministerpräsident und SPD-Vorsitzender, schmettert den Antrag ab: „Nach dem Vorlesen hat mich Weil in einer Erwiderung heftig angegriffen“, sagt Simon, „weil er den Antrag als einen Angriff auf die niedersächsische Polizei verstanden hat.“

„Nach dem Vorlesen hat mich Weil in einer Erwiderung heftig angegriffen“

Horst Simon, SPD-Ortsverein Osnabrück Neustadt-Wüste

Simons Erwiderung, es handle sich um Vorbeugung, bringt nichts: „Weil beharrte auf seiner Sichtweise. In der Abstimmung über den Antrag lehnte der Parteirat diesen Antrag einstimmig ab.“

Ein Vorschlag zu besserer Prävention – abgelehnt? In Zeiten des Rechtsrucks, auch in der Polizei? Simon lässt das keine Ruhe. In einer E-Mail an Weil und Pistorius, kurz nach der Sitzung, kündigt er an, sein Anliegen weiterzuverfolgen. Weder von Weil noch von Pistorius kommt eine Antwort. Auch als die taz sie um Stellungnahme bittet, schweigen sie. Weils Staatskanzlei beschränkt sich auf eine Weiterleitung an den SPD-Landesverband. Auch Philipp Wedelich, Pressesprecher des Innenministeriums, verweist auf die SPD. „Wir kennen diese Anträge nicht“, sagt er, „sie haben nichts mit unserer Arbeit als Ministerium zu tun.“

Schriftlich liege nichts vor, sagt Vivien Werner, Sprecherin der Landes-SPD. „Dementsprechend hat auch keine Abstimmung darüber stattgefunden.“ Eine „Wortmeldung in diesem Sinne“ sei „nicht mehr nachvollziehbar“, Wortmeldungen von Delegierten würden nicht protokolliert.

Ministeriums-Pressesprecher Wedelich betont, Niedersachsens Polizei habe „eine Vielzahl von Maßnahmen ergriffen, um extremistischen Tendenzen in den eigenen Reihen vorzubeugen und entsprechende Gesinnungsansätze frühzeitig zu erkennen“. Gleiches gelte „für jede andere Art von radikalem und diskriminierendem Verhalten“.

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