: „Ich kann mich noch an den ersten Türken erinnern, den wir bei uns hatten“
Erntehelfer*innen gab es schon immer, sagt Obstbauer Gerd Lefers aus dem Alten Land. Auf seinem Hof waren es erst Werftarbeiter und ihre Familien, dann Gastarbeiter aus der Türkei. Schließlich kamen die Saisonarbeiter*innen aus Osteuropa
Protokoll Sarah Zaheer
Das erste Mal, als ich bei der Apfelernte geholfen habe, war ich vielleicht acht oder neun. Die ganze Familie musste mit ran. Wir haben eine Junganlage gepflückt. Damals stieg man ja noch mit langen Leitern in die Apfelbäume hoch, die es heute so gar nicht mehr gibt. Man hat die halbe Zeit damit verbracht, Leitern auf- und abzubauen und schwere Kisten rumzuschleppen. Das war eine harte Arbeit. Birnenbäume, Zwetschgen und all so’n Mist wuchsen da noch zusammen in einer Obstanlage, was schwierig für die Pflege und Ernte war. Erst in den Fünfzigern wurde dann sortenrein gepflanzt.
Die Landarbeiter haben wirklich alles gegeben. Sie waren ständig bei uns beschäftigt und im Sommer kamen ihre Familienangehörigen für die Ernte dazu. Es halfen auch Handwerksgesellen und Werftarbeiter, die im Sommer Urlaub nahmen. Das Pflücken war eine Sache der Familien. Die Kinder haben unter den Bäumen ihre Schularbeiten gemacht und mussten dann auch mithelfen. Die ganz Kleinen wurden auch mal unten angebunden, damit sie nicht weglaufen.
Die Familien kamen jedes Jahr aufs Neue, oft über Jahrzehnte. Klar, hatte man da eine enge Bindung zu den Leuten. Jeder fühlte sich verantwortlich. Das waren manchmal heikle Geschichten! Die Familien haben bestimmte Bäume beansprucht, weil sie die schon immer gepflückt haben. Da durfte man nicht dazwischenpfuschen. Sonst gab’s Halligalli, sag ich Ihnen.
Einige haben verbilligt auf dem Hof gewohnt. Die Menschen arbeiteten, um sich Geld zu verdienen für Extra-Anschaffungen. Ich erinnere mich an eine Frau, die mit ihrem Sohn und ihrem Mann bei uns war. Die hat den Quelle-Katalog in der Frühstückspause unterm Baum gelesen und sich ausgerechnet, wie viel sie noch arbeiten muss. Dann war am nächsten Morgen Schluss, weil sie das Geld zusammen hatte, es ging mit dem neuen Zelt in den Urlaub!
Die Leute, die fleißig waren, haben sich echt was geschaffen. Sie sind irgendwann zu Geld gekommen und haben sich ein Haus gebaut. Später war Schwarzarbeit manchmal auch interessanter als Obstpflücken. Dann kam Vaddern nicht mehr mit zum Pflücken, das war schwierig für uns.
In den Sechzigern kamen dann die ersten Gastarbeiter. Ich kann mich noch an den ersten Türken erinnern, den wir bei uns hatten. Es war üblich, dass die Landarbeiter mittags mit bei uns am Tisch aßen. Er konnte wenig Deutsch, aber wir haben uns gut verstanden. Dann ging es los am Tisch, dass er kein Schweinefleisch gegessen hat. Das kannten wir ja gar nicht. Irgendwann, als mehr Türken zu uns kamen, haben sie sich dann selbst verpflegt. Zu der Zeit war es noch illegal, Türken auf dem Land zu beschäftigen. Aber irgendwie muss man den Kram ja von den Bäumen runterholen. Es gab gelegentlich Razzien, wo sie sich in den Feldern vor der Polizei versteckt haben. Das war ’ne schwierige Zeit, aber anders ging’s nicht.
In den Achtzigern kamen dann die ersten Leute aus Polen, als die Grenzen geöffnet wurden. Viele haben Deutsch gesprochen. Mit den Polen haben wir zum Teil familiäre und freundschaftliche Verbindungen aufgebaut. Als Polen in die EU eingetreten ist, haben die so viel Wirtschaftsförderungen bekommen, dass von dort immer weniger kamen. Die können auch zu Hause arbeiten. In den letzten Jahren sind vor allem rumänische Erntehelfer auf dem Hof. Man kriegt nicht mehr so viel von den Leuten mit. Sie verpflegen sich selbst, haben ihre eigenen Wohn- und Sanitärräume.
Die Verständigung klappt aber ganz gut. Einige schnacken Deutsch, aber mein Sohn, der inzwischen den Hof leitet, hat auch Polnisch und Rumänisch an der Volkshochschule gelernt. Mit dem Englischen ist das nicht so doll, da kommste nicht weit mit. Zur Not geht’s immer mit Händen und Füßen.
Erntehelfer zu finden, ist heute nicht schwer. Wir werden von Angeboten aus Polen, Rumänien und der Ukraine nur so überlaufen. Das sind quasi Menschenhändler, die dann einen Prozentsatz abkriegen. Das machen wir nicht so gern. Lieber nehmen wir Leute aus Empfehlung von denen, die schon hier sind. Sie bringen dann einfach jemanden mit. Dann hat man auch kein Theater, ob die zusammenpassen oder nicht. In den Kolonnen müssen sich Leute finden, die von der Leistungsfähigkeit und vom Typ zusammenpassen. Das fummeln die allein besser zurecht. Da halten wir uns raus.
Wenn es ein gutes Jahr ist, brauchen wir etwa zwölf Leute auf dem Hof. Das war, als ich jung war, auch schon so. Aber die Arbeitsleistung ist aber mindestens drei Mal so hoch wie früher. Und wir haben auch inzwischen drei Mal so viel Obst. Die Qualität ist viel besser geworden.
Anders geht es auch nicht mehr. Wir müssen technisieren. Der Obstmarkt ist ständig unter Druck. Kostendeckende Preise gibt es nur, wenn es in anderen großen Obstbaugebieten Fehlernten gibt, wie im vorigen und in diesem Jahr wegen Blütenfrost. Im Alten Land macht sich der Klimawandel bemerkbar. Lange Trockenzeiten, hohe Temperaturen, Hagel und all so’n Scheiß. Wenn wir über 30 Grad haben, müssen wir gegen Sonnenbrand beregnen. Sonst brennen die Äppel direkt am Baum. Wer nicht beregnen kann, hat Pech gehabt.
Gerd Lefers
71, leitete lange Jahre den Obsthof Lefers, der seit 1777 in Besitz der Familie ist. Er verbrachte vier Monate Praktikumszeit in Obstbaubetrieben in Virginia und Washington Er ist als Deichrichter tätig und seit 29 Jahren Mitglied im Kreistag Stade. In seiner Freizeit singt er im Altländer Shanty-Chor.
Die Blüte ist heute drei Wochen früher als damals. Dadurch wachsen andere Sorten. Sorten wie Holsteiner Cox gehen nicht mehr, weil sie zu leicht Sonnenbrand bekommen.
Wir haben bei Obst und Gemüse Weltmarktpreise, zu denen wir verkaufen müssen. Es gibt so gut wie keine Importbeschränkungen oder Zölle. Wir haben nur eine Chance dadurch, dass wir unseren Wissensvorsprung und die Nähe zum Verbraucher nutzen. Wir müssen gegenüber dem Ausland für den Verbraucher einen Zusatznutzen bieten: regional und sicher gewachsen, und möglichst noch in Bio-Qualität. Einen Preiswettkampf mit Polen können die deutschen Obstbauern nicht gewinnen, denn die Löhne sind dort nur ein Drittel so hoch.
Deswegen fahren viele zum Wochenmarkt oder betreiben so wie wir einen Hofladen. Aber auch andere Dienstleistungen haben wir nach und nach etabliert. Wie zum Beispiel das Vermieten von Scheunen für Feste. Früher hat man ein Schild an die Hecke gestellt, wo draufstand: Kirschen. Fertig aus, dann kamen die Leute. Heute ist der Hofladen eher ein Erlebniseinkauf für Leute, die einen Ausflug machen. Damals haben die Menschen selbstverständlich die Äpfel im Fünf-Kilo-Beutel gekauft und den Nachbarn noch was mitgebracht. Heute nehmen die Leute sechs Stück. Die sind alle verwöhnt, weil sie jeden Tag bis zehn Uhr nachts einkaufen können. Die halten keinen Vorrat mehr, sondern leben von der Hand in den Mund. Die Kaffeemaschine im Hofladen ist nun genauso wichtig wie die Äppel.
Es gibt viele Leute, die auch zum Selbstpflücken zu uns kommen. Das ist jetzt ein Trend. Vor allem Touristen wollen der Familie das Erlebnis bieten. Aber jeden Tag und für Geld? Da findet man keinen in Deutschland. Für uns hat ein Apfel erst einen Wert, wenn er in der Kiste liegt und verkauft werden kann. Am Baum nützt er mir nix.
Man muss sich auf die Leute verlassen können, die auf dem Hof arbeiten. Und bei den Helfern aus dem Ausland kann ich mich drauf verlassen. Egal ob Schietwedder oder nicht – die sind da.
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