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Aufn Schnack mit Professor Drosten

Ein „Markt für nützliches und Nicht-Wissen“ über Corona, eine Performance übers weiße Begehren nach schwarzer Verkörperung, ein Konzert über kindlichen Trotz und Tanz übers Körperstählen: Kampnagel eröffnet in Hamburg die Spielzeit

Von Katrin Ullmann

Was denn nun genau das Covid-­19-Virus von dem Sars-Erreger unterscheide, will ein Gymnasiallehrer aus Niebüll von Prof. Dr. Christian Drosten wissen. Er sei ein wenig aufgeregt, gibt er zu, und habe für das Gespräch eigene und auch Fragen­ seiner Schüler*innen mitgebracht. Drosten holt aus und spricht in seiner längst vertrauten, freundlichen Art über Aminosäure-­Codes und Ribonukleinsäuren.

Der derzeit wohl bekannteste Virologe ist bei der Spielzeiteröffnung auf Kampnagel­ dem „Markt für nützliches und Nicht-Wissen. Coronäische Zeiten – über Zustände, Strategien und Körper in der Krise“ per Videokonferenz zugeschaltet. Drosten ist dabei nur einer von 74 Expert*innen, die an zwei Abenden ihre Erfahrungen und ihr Wissen aus Theorie, Wissenschaft und Praxis teilen.

Vor dem Kampnagel-Gelände­ protestiert derweil ein Dutzend wahnwitziger Demonstrant*innen – umgeben von etwa genauso vielen Polizeibeamten – und behauptet, die Coronapandemie sei eine Erfindung. „Die erste Spielzeit­eröffnung, die unter Polizeischutz steht“, kommentiert Intendantin Amelie Deufl­hard die Ereignisse angemessen ungerührt und lädt gut gelaunt zu einer Spielzeit unter „besonderen Umständen“ ein, aber auch zu einer, die dem gesamten Team aufgrund der Hygieneauflagen besonders viel Kraft abverlange.

Neben dem Austausch-Format­ „Markt für nützliches und Nicht-Wissen“, das Hanna Hurtzig entwickelt und kuratiert hat, ist an diesem Wochenende die Performance „Playblack“ von Joana Tischkau, „Schlagsahne“, ein Tanztheaterstück für junges Publikum von Regina Rossi sowie die Arbeit „Kontrol“ der Tänzerin Patricia Carolin Mai zu sehen.

Beim „Markt für nützliches Wissen und Nicht-Wissen“ können die Besucher*innen an einem Check-In-Schalter für 1 Euro ein je 30-minütiges Einzelgespräch mit einer*m der Expert*innen erwerben. In insgesamt drei Gesprächsrunden pro Abend nehmen jeweils 28 Expert*innen und Besucher*innen an 28 wohl geordneten grünen Tischen einander gegenüber auf der Bühne Platz – in Corona-Sicherheitsabstand und mit Plexiglasscheibe geschützt. Diejenigen, die keine eigenen Fragen stellen wollen, können Gesprächen über Kopfhörer zuhören und sich von Gespräch zu Gespräch zappen. Ein Gong markiert Anfang und Ende der Redezeit, alles andere ist individuell und nicht vorhersehbar.

Da spricht etwa die Philosophin und Autorin des Buchs „Praxis und Revolution“ Eva von Redecker mit einer älteren Dame zunächst über Versammlungsrecht im öffentlichen Raum zu Coronazeiten. Später, als sie von ihrem bevorstehenden Forschungsstipendium in Verona erzählt, gerät die ältere­ Dame ins Schwärmen über eine besondere romanische Kirche dort.

An einem anderen Tisch spricht die Sterbebegleiterin Claudia Cardinal, an einem weiteren der Historiker Malte Thießen­ über die Impfgeschichte und darüber, warum Infektionskrankheiten ein Seismograf des Sozialen sind. Die Schülerin Anna-Marie Faden­ wiederum erzählt von ihrem­ zeitweise sehr isolierten Leben als „Risikopatientin“, Sabine Mehne über selbstbestimmtes­ Sterben und Sterbefasten, während am Nachbartisch ein 11-jähriger Junge Christian Drosten befragt. Die zufälligen Konstellationen dieser Begegnungen sind auf großartige Art und Weise divers, ihre Konzentration und Intensität enorm.

Es ist nicht die erste Veranstaltung dieser Art – bereits 19-mal fand ein solcher Markt in elf verschiedenen Ländern zu jeweils spezifischen Themen statt. Auf einladende Art und Weise steht der Kommunikationsprozess im Vordergrund, der Austausch, das Gespräch und das Zusammentreffen von Menschen, die wiederum die Verschiedenartigkeit der Gesellschaft offenlegen.

Dazu passend fügt sich die Arbeit „Playblack“ ins Eröffnungsprogramm. Darin schärft die Performerin Joana Tischkau den Blick für Diversität, hinterfragt Projektionen und Zuschreibungen und stellt spielerisch die Konstruktion weißer Neutralität in Frage. Dafür bedient sie sich des Formats der „Mini Playback Show“, dieser Endemol-TV-­Sendung der Neunzigerjahre, bei der Kinder Hits und deren Interpreten imitierten.

Lippensynchron trägt sie, gemeinsam mit Annedore Antrie­ und Clara Reiner, Songs von Michael Jackson und Whitney Houston vor und hinterfragt so die Erinnerungen und Projektionen afroamerikanischer und afrodeutscher Kulturproduktion. Tischkaus derzeit viel tourende Abschlussinszenierung des Gießener Instituts für Angewandte Theaterwissenschaft begegnet dem Ruf nach liberaler ‚colorblindness’ mit Klugheit und kindlichem Trotz.

Patricia Carolin Mais „Kontrol“ bewegt sich gefährlich nah an der Grenze zu verherrlichender Riefenstahl-Ästhetik. Eine Nähe, die die Tänzerin – fahrlässig – nicht bedenkt, hinterfragt oder gar bricht

Um kindlichen Trotz wiederum, genauer: um Wut, dreht sich die Arbeit von Regina Rossi, die sie für junges Publikum entwickelt hat. „Schlagsahne“ übertitelt sie ihre Konzert-Choreografie, die sie gemeinsam mit der (Body-Percussion-)Tänzerin Sarah Lasaki und dem Bassgitarristen Dennis Deter auf die Bühne bringt. Da wird tatsächlich Sahne geschlagen, später singend empfohlen: „Schlag Deine Wut doch zu Sahne“. Aber vorerst wird vor Wut gebrüllt, getanzt und Schlagzeug gespielt.

Patricia Carolin Mai schließlich bringt mit „Kontrol“ das Ergebnis eines extremen Selbstversuchs auf die Bühne. 12 Monate lang hat die Tänzerin und einstige Leistungsschwimmerin­ sich einer speziellen Diät – kein Zucker, keine Kohlehydrate – unterworfen, hat täglich ein mehrstündiges, eisernes Krafttraining absolviert, ist gejoggt und geschwommen. Es war (und ist immer noch) ein Wettkampf mit dem eigenen Körper und eine Reflexion über vorgegebene Körperideale und deren Optimierungsgebote.

Und es ist auch Nachdenken über Narzissmus und Selbstwahrnehmung. In der Pose von Caravaggios bekanntem Gemälde­ „Narziss“ beugt sie sich zu Beginn nackt über ein in der K2 ausgegossenes Wasserbassin, arbeitet sich durch Gewichtsverlagerungen zu imponierenden, protzenden Bodybuilder-Posen, um anschließend fast statuengleich ein Spiel mit ihrem überdimensionalen Schatten zu beginnen. Dann wieder tanzt sie mädchenhaft in einem Kleid, das vor allem barocker Faltenwurf ist, tobt zu Techno und schraubt sich später in Endlosschleife über den Boden.

Es ist ein starkes, beeindruckendes Stück Körperarbeit, das Patricia Carolin Mai präsentiert, es ist aber auch eines, das vor allem von Disziplin, Kraft und auf seine ganz eigene Art auch von trainierter Vollkommenheit erzählt. Und eben nicht von Fragilität oder Brüchigkeit. Die monatelange, körperliche Vorleistung ist mehr als beachtlich. Das Ergebnis bleibt leider recht eindimensional und bewegt sich gefährlich nah an der Grenze zu verherrlichender Riefenstahl-­Ästhetik. Eine Nähe, die die Tänzerin – fahrlässig – nicht bedenkt, hinterfragt oder gar bricht.

Dass die Spielzeit auf Kampnagel­ eröffnet hat, macht Lust auf mehr Tanz, Theater und Performance. Auf Begegnungen., Auseinandersetzungen und Diskussionen. Mit Expert*innen, Tänzer*innen und Theatermacher*innen. Dass dies bis Ende Dezember, so plant Amelie Deuflhard im Augenblick, eher Protagonist*innen nationaler Gastspiele und Koproduktionen sein werden, tut dem Programm kaum einen Abbruch. Vielleicht ergibt sich daraus sogar eine stärkere Anbindung an die lokale, regionale Szene.

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