Strafanzeigen ohne Sinn

Beleidigungen, auch wenn sie PolitikerInnen treffen, sind Antragsdelikte: Die Behörden dürfen ihnen nur auf Antrag des Geschädigten nachgehen. In Bremen sieht man das etwas anders

Der Polizei missfiel dieses Plakat. Jetzt ermittelt sie. Aber was sagt der Bundesinnenminister dazu? Foto: Privat

Von Simone Schnase

Es gibt viele Wege, sich gegen Beschimpfungen, Beleidigungen oder Verleumdungen zur Wehr zu setzen. Einer davon ist der Gang zur Polizei, der meist dann erfolgt, wenn alles andere nichts genützt hat. In Bremen allerdings scheint es sich anders zu verhalten: Da muss eine beleidigte Person gar nichts unternehmen, denn das erledigt die Polizei schon selbst.

Im konkreten Fall geht es um die Wagenplatzgruppe „Ölhafen“. Die lebt, geduldet von der Stadt, auf einem brachliegenden Grundstück mitten in einem Kleingartengebiet im Stadtteil Walle. Und dort hat sie bereits vor über zwei Wochen eine gut sichtbare Plakatwand aufgestellt: „Seehofer Massenmörder“ steht, genauer, stand darauf und die Hashtags „Wir haben Platz“, „Evacuation now“ und „Leave no one behind“. Klar, dass sich das auf das griechische Lager Moria im Besonderen und auf die restriktive Flüchtlingspolitik des Bundesinnenministers im Allgemeinen bezieht.

„Niemand hat Anstoß an dem Plakat genommen“, sagt die Wagenplatz-Bewohnerin Rosa. Am vergangenen Donnerstag jedoch seien PolizistInnen gekommen und hätten sie aufgefordert, das Plakat innerhalb einer Stunde zu entfernen oder zu übermalen, sonst würde es einkassiert. „Die Polizisten haben auch noch etwas von einer Anzeige gesagt, aber ich weiß nicht mehr genau, was“, sagt Rosa. Die BewohnerInnen leisteten der polizeilichen Aufforderung Folge und übermalten den Namen Seehofer. Stattdessen steht auf dem Plakat nun: „EU Massenmörder*in“.

Damit könnte die Sache erledigt sein – wäre da nicht die Anzeige. In einer Pressemitteilung, die die Polizei am Freitag veröffentlichte, heißt es dazu, dass einer Streifenwagenbesatzung die Plakatwand im Vorbeifahren aufgefallen sei und dass „die Einsatzkräfte eine Strafanzeige wegen Übler Nachrede und Verleumdung zum Nachteil gegen Personen des politischen Lebens“ gefertigt hätten. Bloß: Bei Beleidigungen wie übler Nachrede oder Verleumdung, auch gegen Personen des politischen Lebens, handelt es sich um sogenannte Antragsdelikte. Das bedeutet: Strafverfolgungsbehörden dürfen solchen Delikten nur auf Antrag des Geschädigten nachgehen.

Der Bremer Rechtsanwalt Jan Sürig bringt es auf den Punkt: „Herr Seehofer selbst müsste einen Strafantrag stellen.“ Die Polizei könnte also den Innenminister fragen, ob er einen Strafantrag stellen will. Die einzige Ausnahme bei Beleidigungsdelikten steht im Strafgesetzbuch-Paragrafen 194, der trifft in diesem Fall aber eindeutig nicht zu.

Auf Anfrage der taz sagt ein Polizeisprecher, die Anzeige habe Bestand und fuße, wie jede Anzeige durch die Polizei, auf dem Legalitätsprinzip. Übersetzt bedeutet das: Wenn der Anfangsverdacht für eine Straftat vorliegt, ist die Polizei verpflichtet, ein Ermittlungsverfahren zu eröffnen. Das allerdings gilt nur für Offizialdelikte, also sämtliche Straftaten – außer Antragsdelikten. Politische AktivistInnen wissen das meist nicht, auch die Ölhafengruppe nicht.

„Herr Seehofer selbst müsste einen Antrag stellen“

Jan Sürig, Rechtsanwalt

Bei dem polizeilichen Vorgehen wegen des Seehofer-Plakats handelt es sich um keinen Einzelfall: In einer Pressemitteilung der Bremer Polizei vom 13. September über eine Demo am Vortag heißt es: „Kurz vor Beginn entdeckten Einsatzkräfte zwei große Aufkleber. Auf einem der beiden Aufkleber stand ‚Mäurer bleibt ein Arschloch‘. Die Polizei Bremen hat ein Ermittlungsverfahren wegen Beleidigung eingeleitet.“

Ob Innensenator Ulrich Mäurer (SPD) zuvor Strafantrag wegen Beleidigung gestellt hat, beantwortet die Polizei nur indirekt: „Die Polizei muss einen – möglicherweise – strafrechtlich relevanten Sachverhalt zunächst aufnehmen, was regelmäßig in Form einer Strafanzeige geschieht, auch wenn der Strafantrag (zunächst) fehlt“, teilt sie auf Anfrage mit. Aus dem Innenressort heißt es dazu: Die Polizei ermittele zunächst, danach werde das Ergebnis dem Senator vorgelegt und dieser entscheide dann, ob Strafantrag gestellt wird oder nicht. „Dies wird voraussichtlich Ende dieser Woche geschehen“, sagt die Behördensprecherin der taz.

Und welche Konsequenzen hat nun die Anzeige der Polizei gegen die Ölhafen-BewohnerInnen? „Keine“, sagt Rechtsanwalt Sürig. „Es sei denn, Herr Seehofer stellt einen Strafantrag, was ich aber stark bezweifle.“ Und das müsste er innerhalb von drei Monaten tun, sonst wäre die Sache verjährt.