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Gegen Atomkraft – oder doch nur für lecker Essen?

Der Hamburger Fotojournalist Hinrich Schultze bekommt Schadenersatz, nachdem ein Flensburger Gaswirt seine Fotos der frühen Umweltbewegung in Norddeutschland manipuliert und zu Werbeträgern für sein Restaurant umfunktioniert hatte

„Wiederauf­arbeitungsanlage Gorleben – hinterher hat wieder niemand was gewusst“ stand auf dem Originalfoto vom Treck nach Gorleben 1979 Foto: Hinrich Schultze, Montage: Balthasar H.

Von Regina Seibel

Knapp 9.000 Euro muss der Restaurantbetreiber Balthazar H. zahlen – für sechs bearbeitete Fotos auf der Internetseite seines Kieler Restaurants. Das entschied das Landgericht Hamburg. Ohne Zustimmung des Urhebers, des langjährigen Hamburger Fotografen Hinrich Schultze, hatte H. die Fotos als Werbung für sein Restaurant genutzt – und die politische Botschaft der Bilder durch seine Bearbeitungen „entstellt“.

Die Fotografien dokumentieren Protestaktionen am Anfang der Umweltbewegung in den Siebzigerjahren in Deutschland. Nachdem H. die Fotos trotz einer Aufforderung nicht von seiner Internetseite genommen hatte, erhielt Schultze von Freelens, einem Berufsverband für Fotojournalisten, juristische Unterstützung. Die 9.000 Euro, die H. nun zu zahlen hat, beinhalten auch 4.200 Euro Schadensersatz für den Fotografen.

Die Abmachung zwischen dem Restauranteigentümer und dem Fotografen war eigentlich eine andere: Nach Angaben von Schultze hatte sich Balthazar H. im Sommer 2018 gemeldet und seine Bewunderung für dessen Werk ausgesprochen. Er sei daran interessiert, die politische Bewusstseinsbildung zu fördern und die Fotos sowohl in seinem Lokal als auch auf dessen Internetseite auszustellen, um den Besuchern die Anfänge der deutschen Umweltbewegung näher zu bringen.

Schultze bot ihm daraufhin die Fotos für einen symbolischen Preis von 280 Euro an. Über eine Bearbeitung und rein werbliche Nutzung für das Restaurant hätten die beiden aber zu keiner Zeit gesprochen, so Schultze. Das wäre für den Fotografen auch nicht in Betracht gekommen. Nach dem Übermitteln der Fotos habe es vorerst keinen weiteren Kontakt gegeben.

Im Februar 2019 entdeckte Schultze seine bearbeiteten Fotografien auf der Internetseite des Restaurants und bat Balthazar H. per Mail, sie zu entfernen, da die derart entstellten Bilder seinen Ruf als Fotograf schädigen würden. Auf den Plakaten der Aktivist*innen fanden sich nun Werbesprüche, auf Fahnen weht das Logo des Restaurants. „Ich dachte, er wüsste es einfach nicht besser“, sagt er. „Die abgebildeten Personen haben mir damals viel Vertrauen entgegengebracht. Herr H. hat auch ihre Rechte verletzt.“

H. entgegnete in seiner Antwort-Mail, dass Schultze sich zu spät gemeldet habe. Er habe dem Fotografen zur Vorabansicht einen Link der Internetseite geschickt und ihn um Einverständnis gebeten. Schultze will diese Mail nie bekommen haben und auch H. gab vor Gericht lediglich an, dass er „meine“, den Link verschickt zu haben. Einen Beweis habe er nicht, da er die alten Mails zwischenzeitlich gelöscht habe.

Stattdessen gab H. in seiner Mail an, dass er Schultze als Urheber der Fotos von seiner Restaurantseite entfernt habe. Die abgebildeten Personen könnten ihre Persönlichkeitsrechte selbst geltend machen, inzwischen seien sie ja alle erwachsen. Dabei sind viele der Aktivist*innen nach Angaben von Schultze bereits verstorben. Das Behalten der Fotos auf der Internetseite rechtfertigte H. in seiner Mail mit den Worten: „Alles andere ist Kunst. Und Werbung für ein Restaurant.“ Laut Schultze zeigt dieser Fall „einmal mehr das fehlende Verständnis in der Gesellschaft für den Wert der Fotografie“. Kurz darauf konsultierte er seinen Anwalt.

Schultze mit Anwalt Levermann bei Gericht Foto: Günter Zint

Der Beklagte gab im Prozess an, dass er die Bilder von vornherein nicht als Original verwenden wollte. Jedoch bestätigte auch er, dass es keine näheren Absprachen dazu gegeben habe. Seiner Meinung nach habe er mit den Fotos nicht den Ruf des Fotografen geschädigt, sondern ihn im Gegenteil gemehrt, da dessen Werk auch nach 40 Jahren eine zeitgemäße Botschaft transportieren könnte. Ihm sei es darum gegangen, die Protestaktionen von damals mit dem aktuellen Thema des bewussten Umgangs von Lebensmitteln zu kombinieren. Seine „künstlerischen“ Bearbeitungen seien außerdem durch das Grundrecht der Kunstfreiheit geschützt.

Das Gericht widersprach dem Beklagten: Das Grundrecht der Kunstfreiheit gelte nur, wenn die zugrundeliegenden Werke nicht mehr zu erkennen seien. In diesem Fall sei jedoch die Arbeit Schultzes noch deutlich wahrnehmbar, da H. lediglich Werbesprüche hinzugefügt habe. Zur Nutzung der Bilder in bearbeiteter Form habe H. zudem kein Recht gehabt. Die politischen Aussagen der Bilder und der darauf abgebildeten Personen habe er unerlaubt zweckentfremdet. Zudem kritisierte das Gericht, die gleichgültige und „trotzige“ Antwort des Beklagten auf die Bitte, die Fotos zu entfernen. Der Forderung von 9.000 Euro Schadensersatz stimmte es zu.

„Dass Bilder unerlaubt verwendet und zudem verändert werden, ist an der Tagesordnung“, sagt Schultzes Rechtsanwalt Thore Levermann. Seltener seien hingegen Manipulationen, die den inhaltlichen Aussagewert der Bilder nachhaltig veränderten. Eine solche liege in diesem Fall aber vor, denn durch die Veränderungen seien die in den Fotos verkörperten gesellschaftspolitischen Aussagen entstellt worden.

Für Schultze ging es insbesondere darum, auf den Wert des (Foto-)Journalismus hinzuweisen. In diesem Fall handele es sich zwar nur um einen Kleinunternehmer, der das Urheberrecht seiner Fotos verletzt hätte, sagt Schultze, doch auch Nazis hätten seine Fotos schon missbraucht. „Gegen so etwas muss man vorgehen. Bilder sind kein Allgemeingut, das alle nach Belieben verändern dürfen.“

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