Malerei in Berlin: Wie Farbe berührt

Die von Jurriaan Benschop kuratierte Ausstellung „A Matter of Touch“ in Mitte zeigt, wie haptisch das Sehen sein kann. Die taz sprach mit dem Kurator.

Eine Ausstellungsansicht zweier Gemälde der Künstlerin Rubica von Stern

Arbeiten von Rubica von Streng und Adrienne Elyse Meyers (hinterer Raum) Foto: Courtesy Eric Tschernow

Die Erkenntnis, dass das Sehen ein äußerst haptisches Wahrnehmungserlebnis ist, scheint nach wie vor unter jahrhundertealten Sedimenten der Körper-Geist-Trennung verschüttet. Dass der optische Apparat mit Ratio in Verbindung gebracht wird, so als sei den anderen Sinnen kein entscheidendes Erfahrungswissen abzugewinnen, führt als hartnäckige Idee nicht nur in die Untiefen einer eurozentrischen Erkenntnislehre, sie lässt ganze Momente der Berührung außer Acht, die von visueller Kunst – und insbesondere der Malerei – ausgehen.

Die Materialität von Gemälden ist dabei nicht nur eine Frage von Impasto oder der Nachempfindung der künstlerischen Aktivität. Auch die Spuren vorangegangener Kontakte zwischen Untergrund und Malfarbe selbst machen sich körperlich spürbar. Die von Jurriaan Benschop kuratierte Gruppenausstellung „A Matter of Touch: Malerei aus Europa und den USA“ im Kunst- und Projekthaus Torstraße 111 scheint diese freie Sicht auf die Verbindungen, die wir mit Malerei eingehen können, zu teilen.

Gezeigt werden Arbeiten von Nikos Aslanidis, Thomas Brüggemann, Michelle Jezierski, Joseph Kameen, Kiki Kolympari, Adrienne Elyse Meyers, Grit Richter und Rubica von Streng. Leztere ist eine junge Künstlerin, die es in Zukunft zu beobachten lohnt. Zu sehen wie Von Strengs verdünnte Ölfarbe ihre Bahnen zieht, von der Leinwand absorbiert wird, und sich ohne vorbestimmtes Bild zu rot-weichen Formationen türmt, ist eine der vielen schönen Begegnungen, die in dieser Ausstellung möglich sind.

Im Nebenraum kitzelt Kiki Kolymparis Gemälde „The Exterior“ (2017) die Magengrube: eine Akrylfläche wird dicht von einem schemenhaften Metallelement zusammen geklammert. Ebenso heftig wirkt die gesättigte graue Linie, die das Bild in einen monochromen und einen von Malbewegungen übersähten Bereich unterteilt.

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„A Matter of Touch: Painting from Europe and the USA“, bis 30. 8., Fr. 28. 8., 12–14 Uhr & nach Vereinbarung: info@jurriaanbenschop.com

Finissage mit Drinks: So. 30. 8., 15 – 19 Uhr, Kunst- und Projekthaus Torstrasse 111.

Um die Ecke der Malerei

Für Kurator Jurriaan Benschop begann die Idee zur Ausstellung zunächst mit der Frage des Lichts. Neben Neon-Meisterin Grit Richter wählte er auch weitere Positionen aus, denen ein besonderes Spiel mit Helligkeit und Dunkelheit zu Eigen ist. Überraschend zum Beispiel, welch düsteren Grün- und Brauntöne Michelle Jezierskis „Every Last Bit“ (2018) überziehen. Ein kleinformatiges Bild im Vergleich zu ihren üblicher Weise eher menschengroßen Gemälden, über die sich bunte Panele oder sonstwie geometrisch geartete Raster ziehen, gut zu sehen auf der neuen Arbeit „Ignite“ (2020). Die dunklen Öl- und Akrylschichten auf „Every Last Bit“ hingegen sind in organischen Bewegungen aus dem Unterarm geflossen, so bestimmt finden sie zu einer nächtlichen Abstraktion zusammen.

Schier mitgerissen wird das Auge von den Fluten, die auf dem nur 25 x 35 cm großen Ölbild „Grube“ (2001-2) von Thomas Brüggemann den Blick in die Tiefe hinab ziehen und gleichzeitig aus allen Richtungen unterspült.

Doch noch einmal zurück zum Licht, der ultimativen Berührung, die Farben erst sehbar macht: Die Hängung der Ausstellung zieht sich über drei Räume und Benschop gelingen dabei immer wieder visuelle Bezüge auch zwischen der Arbeiten veschiedener Künstlerinnen. Das Farbgefühl, dass bei Jezierski so anziehend ins Schwarz-Grüne lockt, findet sich auch über den Hof hinweg in den deutlich figürlicheren Ölarbeiten „Fighting“ (2019-20) und „The Bearer“ (2013-2020) von Nikos Aslanidis' wieder, bei dem die Figuren mal von der Farbe gehalten, mal von ihr auseinandergerissen werden.

Mit diesen werkübergreifenden Verbindungen schaut Benschop mit seiner Ausstellung also immer wieder um die Ecke der Malerie, wie es auch Adrienne Elyse Meyers so wunderbar auf „Persistence“ (2018) mit Öl und Haushaltsfarbe auf kleinstem Raum gelingt.

Jurriaan Benschop wurde 1963 in Amsterdam geboren und studierte dort Kunstgeschichte. Er lebt seit 2006 in Berlin. Er ist Autor des Buches „Salt in the Wound“ (Garret Publications, Helsinki, 2019), für das er den europäischen Kontinent bereiste, um mit zeitgenössischen Künstlern über ihre Arbeit und ihre künstlerischen Wurzeln zu sprechen. Zu den von ihm kuratierten Ausstellungen gehören „Re: Imagining Europe“ (Berlin, 2017, Box Freiraum), „Taking Root“ (Düsseldorf, 2019-20, Kunst im Tunnel), „Content is a Glimpse“ (Berlin, 2018-19, Efremidis Galerie) und die hier besprochene Ausstellung „A Matter of Touch. Malerei aus Europa und den USA“ (Berlin, 2020, Torstrasse 111).

Einblick (817): Jurriaan Benschop, Autor und Ausstellungsmacher

Welche Ausstellung in Berlin hat dich zuletzt an- oder auch aufgeregt? Und warum?

Bei Galerie Born zeigt der Amerikaner und Wahlberliner Michael Markwick was er vor und während des Lockdowns gemalt hat. Seine Bilder scheinen von Tod und Bedrängnis zu wissen, aber wirken gleichzeitig delikat, licht und attraktiv. Ich fand beeindruckend wie generös die Gemälde sind und ohne direkte Hinweise sehr gut zu der jetzigen Zeit und Stimmung passen.

Welche Kulturveranstaltungen oder -formate empfiehlst Du in Zeiten der Pandemie?

Die Pandemie erlaubt uns nur in kleineren Verbänden zusammen zu kommen. Für Kunstausstellungen muss dass kein Nachteil sein. Gespräche und Führungen in kleiner Runde wirken anregend und ermöglichen eine andere Art von Teilnahme. Da liegen Chancen für neue Akzente, weg von 'immer größer’ und Eventkultur.

Welches Magazin und welches Buch begleitet dich zurzeit durch den Alltag?

In der London Review of Books kann ich über unsere heutige Welt lesen, ohne den Mut zu verlieren. Das hat mit Distanz zu den Tagesthemen zu tun und mit der Bemühung, Kontext zu finden. Im Urlaub habe ich zuletzt Rachel Cusks „Outline“ gelesen. Ihre Hauptfigur beobachtet Menschen präzise und messerscharf in ihrem Sprachduktus und ihren Eigenartigkeiten, aber ohne zu bewerten. Das wirkt befreiend.

Was ist dein nächstes Projekt?

Ich arbeite an einem neuen Buch, „Why Painting Works“, worin ich die Frage angehe, wie man in der bunten Vielfalt der zeitgenössischen Malerei navigieren kann. Paradox ist, dass es in der Malerei nicht nur darum geht, was man sehen kann, sondern auch um Haltung und Verborgenes. Da wird es für einen Autor interessant.

Welcher Gegenstand des Alltags macht dir am meisten Freude?

Ich habe neulich einen neuen Füller gekauft, mit Goldfeder. Die schreibt so weich und fein, das bringt mir täglich Freude. Ich habe gute Hoffnung, dass jetzt die Gedanken auch besser fliesen.

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