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Empörung über Verfassungsschutz„Regelmäßige Entgleisungen“

Der Chef des Hamburger Verfassungsschutzes hält die „Seebrücke“ für linksextremistisch beeinflusst. Die sieht den Vorwurf als Teil einer Kampagne.

Überraschung: Beim Bündnis Seebrücke protestieren auch „Linksextreme“ für Menschenrechte Foto: Markus Scholz/dpa

Hamburg taz | Der Chef des Hamburger Landesamts für Verfassungsschutz, Torsten Voß, ist keiner, der gern im Verborgenen waltet. Ganz im Gegensatz zum Bild des verdeckten Schnüfflers lässt sich Voß regelmäßig in der Öffentlichkeit zu politischen Bewegungen befragen.

Vor wenigen Tagen hat er sich zur Geflüchteten-Initiative­ Seebrücke Hamburg geäußert: Sie sei eine „linksextremistisch beeinflusste Organisation“, befand er. Nun ist die Empörung der Aktivist*innen darüber groß. Von einer „Diffamierungskampagne“ ist die Rede. Tatsächlich lässt sich an den regelmäßigen­ Äußerungen eine Strategie erkennen.

Eigentlich war Voß am vergangenen Donnerstag in das Hamburg Journal im NDR eingeladen, um den Einfluss von Rechtsextremen auf Corona-Demos einzuschätzen. Im Zuge dessen sprach er von deren Versuch, bürgerliche Themen zu instru­mentalisieren.

Weil am Samstag das Bündnis Seebrücke auf dem Rathausmarkt gegen Rassismus und für die Rechte von Geflüchteten protestierte, nahm Voß allerdings auch dieses in seine Einschätzung auf und warnte vor der Seebrücke, weil sie extremistisch beeinflusst sei.

Hamburg und Moria

Sehr deutlich hat sich der Senat für die Aufnahme von Geflüchteten aus Moria ausgesprochen − gleichzeitig aber darauf verwiesen, dafür keine Kompetenzen zu haben.

Eine neue Bundesratsinitiative, über die am Freitag abgestimmt wird, würde das ermöglichen. Bislang jedoch hat der Senat nicht entschieden, ob er sich diesem Antrag anschließen will.

Dafür bekommt Voß nun Gegenwind. Harald Möller-Santner,­ der für das Bündnis Solidarische Stadt Hamburg die Aktionen der Seebrücke organisiert, hält Voß’ Worte für einen Skandal: „Ich finde es unerhört, menschenrechtliches Engagement als extremistisch umzudeuten und zu diffamieren.“ Wer Solidarität für Geflüchtete mit rechtsextremen Umtrieben gleichsetzt, sei ein „geistiger Brandstifter“.

Es ist nicht das erste Mal, dass der Hamburger Verfassungsschutz öffentlichkeitswirksam vor Protestveranstaltungen warnt. Ein Wort fällt dabei immer: Entgrenzung. Damit definiert er eine schwindende Trennschärfe zwischen extremistischen und nichtextremistischen Bereichen. Mal fällt der Begriff bei rechtsextremen­ Umtrieben, mal bei islamistischen Gruppen, dann wieder bei linken Bündnissen. „Es mag ein wertfreier Begriff sein, aber dadurch wird immer wieder eine Gleichsetzung mit Rechtsextremen­ konstruiert“, sagt Möller-Santner.

Der Verfassungsschutz hält diese öffentlichkeitswirksamen Äußerungen hingegen für einen ganz normalen Teil ihrer Arbeit. „Unsere Aufgabe ist es, frühzeitig über extremistische Beeinflussung aufzuklären“, sagt Amtssprecher Dominic­ Völz. Linksextreme – konkret die linksradikale Interventionistische Linke (IL) – instrumentalisiere in diesem Bündnis die Forderung nach Seenotrettung für eigene Zwecke.

Möller-Santner will nicht ausschließen, dass das Landesamt mit seiner Strategie Erfolg hat. „Es bleibt in den Köpfen immer ein wenig hängen, wenn regelmäßig in dieselbe Kerbe gehauen wird“, sagt er. Voriges Jahr erst hatte das Landesamt behauptet, die IL wolle die Fridays­-for-Future-Proteste instrumentalisieren.

Das Bündnis Seebrücke fordert deshalb die Senatsfraktionen zu einer Debatte über das Landesamt und seinen Chef auf. „SPD und Grüne sollten sich überlegen, ob sie diese regelmäßigen Entgleisungen noch länger durchgehen lassen wollen“, sagt Möller-Santner.

Bei der SPD stößt das nicht auf offene Ohren. Ihr Innensenator Andy Grote warnte bereits vor Monaten selbst vor der Seebrücke. Und auch die Grünen üben nur zaghaft Kritik. „Wir sind von der Äußerung irritiert – politisch bewerten wir die Arbeit der Seebrücke als gesellschaftlich relevant“, sagt Fraktions­chefin Jennifer Jasberg.

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1 Kommentar

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  • Vielleicht wäre es sinnvoll, wenn sich die taz mal über die Verwendung ideologischer Floskeln wie "Extremismus" verständigen würde.

    Zum Artikel bzw. der Thematik an sich: es ist generell seit Jahren das liebste Mittel der vermeintlichen Verfassungsschützer, Protest und Organisationen mit dem ideologischen "Extremismus"-Vorwurf zu desavourieren oder durch schwammig definierte, aber sehr "böse" klingende Begriffe gewisse Bilder und Assoziationen zu wecken.



    Nur mal ein Beispiel für dieses definitorische Verwirr- und Diffamierspiel:



    Was versteckt sich wohl hinter dem Begriff "gewaltorientiert", mit dem u.a. der Bremer Verfassungsschutz seit ein paar Jahren um sich wirft, als seien es Kamelle? Genau, die Nichtabgrenzung ("Entgrenzung", wie es hier im Artikel angeführt wird) von Gewalt als politischem Mittel. Völlig unabhängig von der eigenen Praxis.