piwik no script img

Kein Licht am Ende des Tunnels

Frauen fühlen sich an vielen Orten in Hamburg nicht sicherer als Frauen in Delhi oder Lima, zeigt eine Umfrage des Kinderhilfswerks Plan International. Als besonders dunkel und bedrohlich gelten der Bahnhof in Harburg und der Fußgänger*innentunnel am Diebsteich

Viele Frauen fühlen sich hier unsicher: Treppe zum Bahnhof Harburg Foto: Maike Krob

Von Maike Krob

Die Augen müssen sich erst an die Dunkelheit gewöhnen. In den gelb gefliesten Tunneln des Harburger Bahnhofs leuchtet das Neonlicht noch grell, hinter dem Eingang Hörstener Straße gibt es keine Laternen. Der Weg ist hier schmal und gewunden, Büsche schirmen ihn ab. Ein junger Mann mit Streifenpulli läuft mit schnellen Schritten die Treppe zur Station hinunter und kommt kurze Zeit später mit einer blonden Frau zurück. Sie schaut sich ängstlich um, aber außer einem jungen Paar, das ein paar Meter weiter auf Betonstufen sitzt und sich leise unterhält, ist hier niemand in der Dunkelheit.

In Hamburg fühlen sich viele Frauen nicht sicher genug, um nachts allein unterwegs zu sein. Das Kinderhilfswerk Plan International hat kürzlich mit dem Landeskriminalamt den Bericht „Safe in the City?“ vorgestellt. Das Ergebnis: Mädchen und Frauen fühlen sich in Hamburg genauso unsicher wie Teilnehmerinnen der Umfrage, die in vermeintlich gefährlicheren Städten wie Kampala, Delhi oder Lima leben.

Die Frauen haben in Hamburg auf einer interaktiven Karte unter anderem den Hauptbahnhof, die Reeperbahn, die S-Bahn-Haltestelle Diebsteich und den Bahnhof in Harburg als unsicher markiert.

Zwischen dem Hauptgebäude aus Backstein und dem überirdischen Harburger Busbahnhof liegen nur ein kurzer Weg und ein paar Treppenstufen. Nachts allein im Dunkeln erscheint er lang. Auf halbhohen Mauern sitzen Betrunkene und pöbeln Vorbeigehende an. Rechts von ihnen, neben Fahrradständern pinkelt ein Mann gegen eine Wand. Es ist so dunkel hier, dass er nur schemenhaft zu erkennen ist.

Eine junge Frau spricht in ihr Telefon und geht Richtung Parkplatz. In dieser Ecke hat sie ein mulmiges Gefühl: „Ist halt Harburg, ich warte, wenn ich den Bus verpasse, eine halbe Stunde“, sagt sie.

Maike Röttger hat in der Umfrage viele solcher Kommentare von Frauen und Mädchen gelesen. Die Plan-Geschäftsführerin spricht von „diskriminierenden Strukturen für Frauen“, auch in belebten Großstädten. „Sie fühlen sich besonders nachts unsicher, durch fehlende Beleuchtung, schlecht einsehbare Orte und Drogen- oder Alkohol-konsumierende Menschen.“

Dies führe dazu, dass Frauen Vermeidungsstrategien entwickelten und beispielsweise abends „nicht alleine durch einen Park“ gingen. Röttger kritisiert das: Frauen und Mädchen hätten „das Recht sich frei in ihrer Stadt zu bewegen“, sagt sie.

Die ausgewerteten Daten zeigten, dass „wir längst noch nicht gleichberechtigt sind“, sagt auch Anne Rütten, Projektleiterin der Umfrage und des Berichts. „Städteplanung erfüllt nicht das Bedürfnis der Frauen.“ Das wäre aber – anders als etwa das Aufbrechen stereotyper Geschlechterrollen – relativ schnell veränderbar, glaubt sie.

„Öffentliche Räume sollten nach Möglichkeit rund um die Uhr belebt sein und für verschiedene soziale Gruppen zugänglich“, sagt auch Stadtforscherin Monika Grubbauer, die an der Hafencity University Hamburg lehrt. Um das Verständnis von Geschlechterverhältnissen zu fördern, müssten „bei der Planung von öffentlichen Räumen die Bedürfnisse von Mädchen und jungen Frauen berücksichtigt werden“, sagt sie.

Büsche und Bäume, die die Sicht auf Plätze und Wege versperren, hält die Hamburger Landschaftsplanerin Ute Lützen, die auch an städtischen Projekten mitarbeitet, für ein Problem. Wenn nicht alles zugewachsen sei, entstehe „eine gewisse soziale Kontrolle durch Passanten“, sagt Lützen. „Abgelegene und unbeleuchtete Räume sind angstbesetzt.“

Auch in Harburg hieße die Lösung also: Hecken kürzen und an jede dunkle Ecke eine Straßenlaterne. Aber die Stadt fühlt sich dafür nicht zuständig und verweist auf die Deutsche Bahn. Dort gibt es Pläne. Die Bahn will rund 275.000 Euro investieren, um „die Aufenthaltsqualität für Fahrgäste“ zu verbessern. Konkret geht es bei diesem „Modernisierungsprogramm“ aber vor allem um Fußbodenbeläge und Wandverkleidungen. Zur Beleuchtung sagt eine Bahnsprecherin, diese „entspricht natürlich den gesetzlichen Vorgaben“.

In Harburg hieße die Lösung: Hecken kürzen und an jede dunkle Ecke eine Straßenlaterne. Aber die Stadt fühlt sich dafür nicht zuständig

An der S-Bahnstation Diebsteich sind es vor allem der dunkle Fußgänger*innentunnel und der schwach beleuchtete Plöner Stieg, die Frauen laut der Plan-Umfrage als unsicher empfinden. „Männliche Personen verfolgten mich zweimal, als ich abends aus der Bahn gestiegen bin“, schrieb eine Frau auf die interaktive Plan-Karte.

Auch für diese Station gibt es Pläne. Der Bahnhof Diebsteich werde „in den kommenden Jahren zu einem Fernbahnhof umgebaut und das Umfeld wird sich durch die städtebaulichen Maßnahmen erheblich verändern“, sagt Annkathrin Kammeyer, Sprecherin für Opferschutz der SPD-Bürgerschaftsfraktion. Der rot-grüne Senat setze auf Beleuchtungskonzepte, Sicherheitspersonal und Kameras. Zwar sei „das Risiko, Opfer einer Straftat zu werden, in Hamburg so gering wie seit 1979 nicht mehr“, doch auch das „subjektive Sicherheitsempfinden“ von Frauen müsse gestärkt werden. Zur Situation in Harburg äußert sich Kammeyer nicht.

Mareike Engels, frauenpolitische Sprecherin der grünen Bürgerschaftsfraktion, rät Frauen, die sich an bestimmten Orten unsicher fühlen, diese ihren Bezirksabgeordneten zu melden.

Heike Sudmann, Fachsprecherin für Stadtentwicklung der Linksfraktion, kritisiert dennoch, dass bisher in Harburg und am Diebsteich wenig passiert sei. „Wenn ein Verantwortlicher nachts den Tunnel nutzen müsste, würde bestimmt schnell etwas getan werden.“ Während meistens die Bahn zuständig sei, könne die Stadt den Plöner Stieg „in Eigenregie sofort besser beleuchten“.

Auch Plan-Geschäftsführerin Röttger wünscht sich von der Hamburger Politik mehr Engagement: „Das Thema gehört zur Chef*innensache gemacht. Moderner Städtebau sollte die ganze Stadt im Blick haben.“

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen