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Ein bisschen Hilfe

Merkel und Macron wollen 400 Geflüchtete aus Moria aufnehmen. SPD-Chefin Esken ist „bitter enttäuscht“ und will einen Koalitionsausschuss

Not und Elend, Corona, dann Feuer: Langsam merkt man in Deutschland, dass die Menschen in Moria dringend Hilfe brauchen Foto: Petros Giannakouris/ap

Von Mitsuo Iwamoto
und Stefan Reinecke

Auf eine große Hilfsaktion konnten sie sich nicht einigen. 400 minderjährige Geflüchtete will die Bundesregierung gemeinsam mit Frankreich und anderen EU-Ländern aus Moria aufnehmen. Dies sieht eine Vereinbarung von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) und Frankreichs Präsident Emmanuel Macron vor.

Der SPD-Chefin Saskia Esken reicht das nicht. Sie bezeichnet die Merkel-Macron-Initiative als „bittere Enttäuschung und Tropfen auf den heißen Stein“. Der Grund: „Über 12.000 verzweifelte Menschen warten in Moria auf humanitäre Hilfe und die Chance auf eine Zukunft.“ Die SPD-Chefin sieht den Koalitionspartner in der Verantwortung. „Das Schweigen von Horst Seehofer ist unerträglich. Er muss seine Blockade der aufnahmebereiten Kommunen der Seebrücke umgehend beenden.“ Falls Seehofer sich nicht bewegt, „werden wir zu diesem Thema einen Koalitionsausschuss einberufen“, so Esken. Das ist, unter Regierungspartnern, ein ziemlich scharfer Ton und die Ankündigung, keinesfalls zur Tagesordnung überzugehen.

Esken hatte sich bereits im Frühjahr im Koalitionsausschuss erfolgreich und gegen den Widerwillen der Union dafür eingesetzt, dass Deutschland sukzessive 1.000 Flüchtlinge aus überfüllten Lagern in Griechenland aufnimmt.

Diese „unangemessen niedrigen Zahlen beschämen mich“

Kevin Kühnert, SPD-Vizechef

Zuvor war der Druck, Soforthilfe zu leisten, vonseiten der SPD, aber auch innerhalb der CDU immer größer geworden. Die SPD-Familienministerin Franziska Giffey sagte: „Wir können nicht warten, bis sich alle europäischen Partnerländer geeinigt haben. Das wird Wochen und Monate dauern“, so die Familienministerin. Bemerkenswert ist, dass der niedersächsische SPD-Innenminister Boris Pistorius ebenfalls ankündigte, das Land könne 500 Geflüchtete aufnehmen. Pistorius gilt als Law-and-Order-Mann in der SPD, der allergisch auf polizeikritische Äußerungen von Esken reagiert hatte. Die SPD agiert in der Moria-Frage bis jetzt offenbar geschlossen. Das ist nicht selbstverständlich. Ob Deutschland prinzipiell mehr MigrantInnen holen soll, ist in der SPD nicht unumstritten. Doch nach dem Brand in Moria herrscht in der Partei flügelübergreifend Entsetzen.

Zudem versuchen zwei Länder mit SPD-Innenministern beziehungsweise -senatoren, Berlin und Thüringen, schon seit Längerem, Flüchtlinge aufzunehmen. Doch bisher müssen sie die Füße stillhalten. Denn: für eigene Aufnahmeprogramme brauchen die Bundesländer das „Einvernehmen“ des Bundesinnenministeriums. Und dessen Chef, Innenminister Horst Seehofer (CSU), sperrt sich. Sein Argument, das auch von Kanzlerin Merkel geteilt wird, lautet: Damit schwäche die Bundesrepublik ihre Verhandlungsposition in Europa. Doch in der EU ist nach wie vor keine Einigung in Sicht. Daher bedeutet Seehofers Position faktisch: Es passiert nichts.

Die Union zeigte sich, jedenfalls vor der Merkel-Macron-Ini­tiative, gespalten. Manche unterstützen Seehofers harten Kurs. So warnte CDU-Innenpolitiker Mathias Middelberg vor einem deutschen Alleingang. Doch es gibt in der Union auch Stimmen, die mehr tun wollen. Bundesentwicklungsminister Gerd Müller (CSU) schlug die Aufnahme von 2.000 Flüchtlingen aus Moria vor. Überboten wurde er am Mittwoch dann von CDU-Außenpolitiker Norbert Röttgen. Der Bewerber um den CDU-Parteivorsitz forderte angesichts der dramatischen Lage in Moria in einem Brief an Innenminister Horst Seehofer, sofort bis zu 5.000 Geflüchtete aus Griechenland aufzunehmen. In dem Brief, der auch von 15 weiteren CDU/CSU-Abgeordneten unterschrieben ist, heißt es: „Es geht jetzt nicht vorrangig darum, eine gemeinsame europäische Flüchtlingspolitik zu gestalten, sondern offensichtliche menschliche Not zu lindern. Wir bitten Sie darum, dass Deutschland möglichst gemeinsam mit anderen EU-Staaten, aber notfalls auch alleine 5.000 Flüchtlinge vom griechischen Festland aufnimmt. Nur so kann die Situation vor Ort entspannt und Griechenland entlastet werden.“ Auch eine Reihe von CDU-Ministerpräsidenten war offen dafür, Geflüchtete aus Moria aufzunehmen. Von Hessens Volker Bouffier über NRWs Armin Laschet bis zu Daniel Günther in Kiel, alle ließen durchblicken, dass sie Flüchtlinge aufnehmen würden.

Not

Nach der Brandkatastrophe im Flüchtlingslager Moria sind auf der Insel Lesbos noch Tausende Menschen ohne Unterkunft und Nahrung auf sich gestellt. Verzweifelte Familien, oft mit kleinen Kindern, irrten nach einer zweiten Nacht im Freien über die Insel, wie AFP-Reporter berichteten. Das völlig überfüllte und schon seit Jahren als unmenschlich kritisierte Flüchtlingslager Moria war am Dienstagabend durch einen Großbrand in weiten Teilen zerstört worden. Durch ein zweites Feuer am Mittwochabend verbrannte dann der verbleibende Teil des Lagers fast vollständig. Ernsthaft verletzt wurde durch die Brände niemand.

Hilfe

Griechenland wollte noch am Donnerstag – ­vorerst Familien und besonders bedürftigen Menschen – eine neue Unterkunft beschaffen. Eine Fähre mit Platz für Hunderte Menschen wurde zur Insel Lesbos entsandt, wie das Migrationsministerium in Athen mitteilte. Auch drei Flugzeuge seien nach Lesbos geschickt worden, um 406 unbegleitete Minderjährige aufs Festland nach Nordgriechenland zu bringen. Die UNO-Flüchtlingshilfe stellt eine Soforthilfe in Höhe von 250.000 Euro bereit, für Transport, Notunterkünfte und grundlegende Hilfsgüter, teilte die Organisation am Donnerstag mit. (afp, epd)

Merkel hat nun mit dem Vorschlag, mit Frankreich 400 Flüchtlinge aufzunehmen, geschickt agiert. Es ist eine internationale Initiative – und sie ist in ihrem Umfang äußerst bescheiden. Viel helfen wird sie nicht.

SPD-Vizechef Kevin Kühnert teilt die Kritik von Esken an der Merkel-Macron-Initiative. „Ich kann das nicht ernst nehmen“, so Kühnert zur taz. Diese „unangemessen niedrigen Zahlen beschämen mich. Das kann nicht das letzte Wort sein.“ Hoffnung mache allerdings die Debatte in der Union. „Wenn selbst aus der Union heraus die Aufnahme von 5.000 Personen gefordert wird, dann sollte das die Kanzlerin und den Innenminister ins Nachdenken bringen“, so Kühnert.