Gärtnern im Corona-Sommer: Aufdringliche Quecken ausrotten

Was für ein Trost: Zumindest im Garten kann der Mensch das Schicksal in die Hand nehmen und sich sogar zur gottgleichen Bestimmerin aufschwingen.

Einen Hand im Gartenhandschuh hält einen Keimling

Nature is healing: Nahaufnahme eines Keimlings Foto: Mareen Fischinger/Westend61/imago

Ohne Garten wäre das alles gar nicht auszuhalten. Schon die Fahrt zur Parzelle an der Stadtgrenze ist beruhigend, wenn auch nicht mehr so kontemplativ wie während des Lockdown.

Da waren Kreuzberg und Mitte ganz ausgestorben, weiter oben in der Schönhauser hatte man den Hipster-Imperativ #staythefuckathome an die Fensterscheiben der geschlossenen Cafés gepinselt.

In Pankow und Niederschönhausen angekommen, zeigte das Stadtbild praktisch keine Veränderung, und Richtung Schildow, Blankenfelde war alles wie immer: Felder, Gärten, von Corona keine Spur.

Damit an dieser Stelle kein Neid aufkommt: Das deutsche Kleingartengesetz ist lang und voller Vorschriften, deren Einhaltung ständig kontrolliert wird, die Berliner Laubenpieper sind noch schlimmer, als das Klischee sagt, und ein Garten ist voll viel Arbeit, zum Ausruhen kommt man so gut wie nie! Deshalb ist ein Garten in Zeiten von Corona, auch und gerade für uns arbeitslose Soloselbstständige aus der Unterhaltungsbranche, Zuflucht und Therapie in einem.

Gärtnerische Vergeblichkeitsgefühle

Wer den Rest des Jahres – und wer weiß noch, wie lange – beschäftigungslos ist, der läuft Gefahr, den lieben langen Tag innerlich die Litanei der Vergeblichkeitsgefühle hoch und runter zu beten:

Es ist alles so sinnlos, es wird nie wieder wie vorher, nichts kann geplant werden, außer abwarten ist nichts zu machen.

Bereits beim Gang durch die Gartenpforte werden diese Gedanken durch andere, gärtnerische Vergeblichkeitsgefühle verdrängt:

Warum haben die Hortensienblätter Löcher? Wer hat den mühsam gezogenen Mangold in einer Nacht bis auf den Strunk abgefressen? Oh nein! Der Wind hat den Rittersporn umgeknickt! Der Maulwurf war wieder da!!!

Aber anders als im Corona­leben kann der Mensch im Garten selbst etwas tun, das Schicksal in die Hand nehmen und sich sogar zur gottgleichen Bestimmerin über andere Lebensformen aufschwingen. Ist das Leben fremdbestimmt und die Zukunft düster, kann das wütende Ausmerzen unerwünschter Gewächse eine wirksame Therapie sein:

Dir zeig ich’s, du Drecksgiersch! Du aufdringliche Quecke – ausgerottet wirst du! Nicht mit mir, sparriger Runzelbruder – Nimm dies! Kriechender Günsel – schließ ab mit deinem Leben. Und deine Pfahlwurzel reiß ich gleich mit raus, du stumpfblättriger Ampfer!

Trost für die wunde Coronaseele

Auch menschliche Allmachtgefühle gegenüber der ganz kleinen Kreatur trösten die wunde Coronaseele.

Hebt man zum Beispiel nur einen mittelgroßen Stein, um den Verlauf der Beetbegrenzung nachzujustieren, findet sich darunter ganzer eigener Lebensraum für seltsame schwarze schabenartige Käfer. Eine Welt in Aufruhr! Denn unsere kleine Bewegung löste für diesen Mikrokosmos wohl so was wie ein Erdbeben oder einen Meteoriteneinschlag aus. Hektisches Gewimmel bricht aus, alles rennt, rettet sich, flüchtet panisch über- und untereinander – als habe eine zornige Gottheit gewütet.

Wer nix zu tun hat und monatelang immer im Garten ist, der kriegt viel erledigt.

Es bleibt sogar Zeit, die Unkräuter zwischen den Gehwegplatten rauszureißen!

„Ordentlich musset aussehen!“, hatte der Vorstand bisher bei jeder jährlichen Begehung gefordert.

Also ein scharfkantiges Gerät zur Hand genommen und die Grasbüschel und Konsorten rausgezogen.

Dann auch hier das Staunen der Gärtnerin: Überall ist Leben! Rote, schwarze, fliegende Ameisen, kleine Käferchen und Minispinnen leben in diesen Rillen!

Langsam geht es voran, die Knie scheuern auf den Steinplatten, noch ein Stück Löwenzahn muss raus. Wachs woanders, Alter! Es ist mühsam, anstrengend, wie das Leben selbst, und doch kommt man voran, und am Ende ist dieses kleine Stück Weg bereinigt und nebenbei das ramponierte Nervenkostüm auf wunderbare Weise saniert.

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