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Von klein auf arm

Mehr als jedes fünfte Kind in Deutschland lebt in Armut, besonders viele davon in norddeutschen Städten: Bremerhaven, Wilhelmshaven, Bremen, Delmenhorst, Kiel. Trotz vieler Bemühungen geht ihre Zahl nicht zurück, wie die Bertelsmann-Stiftung in einer aktuellen Studie zeigt. Sie schlägt darum eine Grundsicherung für Kinder vor 43-45

Von Simone Schnase

Die Zahl der armen Kinder in Deutschland nimmt nicht ab: Das geht aus einer aktuellen Studie der Bertelsmann-Stiftung hervor. Mehr als jeder fünfte Minderjährige lebt danach in Armut, betroffen sind rund 2,8 Millionen Kinder und Jugendliche – und zwar noch vor Beginn der Corona-Krise. Als arm gelten jene, die über so wenig Geld verfügen, dass es nicht möglich ist, den Lebensstandard zu haben, der in Deutschland als selbstverständlich beziehungsweise normal gilt. Am stärksten von Armut betroffen sind Kinder in Bremerhaven, Wilhelmshaven und Bremen.

Für ihre Studie hat die Stiftung zwei wissenschaftlich anerkannte Armutsdefinitionen kombiniert und zählte sowohl die Kinder aus Haushalten, die Leistungen nach dem SGB II, also Hartz IV beziehen, als auch aus solchen, die weniger als 60 Prozent des mittleren Einkommens aller Haushalte zur Verfügung haben. Diese beiden Werte sind seit 2009 ungefähr konstant geblieben – und das, obwohl die Wirtschaftskraft im Land seither Jahr für Jahr gestiegen ist.

Geblieben ist vor allem der Abstand: „Die materielle Versorgung von Kindern in der Grundsicherung hat sich in den letzten fünf Jahren etwas verbessert – der relative Unterschied zu Kindern in gesicherten Verhältnissen ist jedoch bestehen geblieben“, heißt es in der Bertelsmann-Studie.

Die Forschungsstelle des Paritätischen Gesamtverbandes hat sich diesen Unterschied genauer angesehen und dazu bereits im vergangenen Jahr eine Studie veröffentlicht. Mit dem Ergebnis,­ dass von 2009 bis 2019 die ohnehin sehr breite Schere zwischen den Haushaltseinkommen der ärmsten und der reichsten Familien in Deutschland­ immer weiter auseinander ging.

Während der Konsum im Durchschnitt der Bevölkerung moderat und beim obersten Zehntel spürbar zugenommen hat, mussten sich die ärmeren Kinder laut der Studie des Paritätischen­ über die Jahre immer weiter einschränken: Arme Familien hatten real weniger Geld als noch zehn Jahre zuvor zur Verfügung, um ihren Kindern mehr als das physisch Notwendige zu finanzieren. Wobei dieses „mehr“ für arme Kinder nichts Geringeres als Chancengleichheit und Teilhabe bedeuten würde, also die Basis dafür, wenigstens später, als Erwachsene, der Armutsfalle zu entkommen.

So hat laut Bertelsmann-Studie jeder vierte von Armut betroffene Haushalt keinen internetfähigen Computer. Jedes­ zweite Kind aus armen Familien lebt in einer Wohnung, die zu klein ist, um regelmäßig ungestört lernen zu können. 75 Prozent der armen Familien sind nicht in der Lage, einen festen­ Betrag im Monat zur Seite zu legen. Eine einwöchige Urlaubsreise im Jahr ist für 73 Prozent der armen Familien nicht drin, einmal im Monat ins Theater, ins Kino oder in ein Konzert ist für 54 Prozent unmöglich und über 35 Prozent kaufen für sich und ihre Familie nicht einmal hin und wieder neue Kleidung. 45 Prozent der armen Kinder bekommen unregelmäßig oder gar kein Taschengeld.

Die Kinder aus armen Familien sind, so die Studie, sozial isoliert: Sie sind seltener Mitglieder in Vereinen als Gleichaltrige, die in gesicherten Einkommensverhältnissen leben. Sie nehmen seltener an Ausflügen und Klassenfahrten teil. Sie laden seltener Freunde nach Hause ein, weil einerseits der Platz fehlt und weil sie sich andererseits schämen: für die schäbigen Möbel und für die beengten Wohnverhältnisse.

Der größte Teil von ihnen lebt in Familien,­ die Hartz IV bekommen. Und von Hartz IV betroffen sind zum allergrößten Teil Alleinerziehende oder Eltern­ von drei oder mehr Kindern. Die Zahl der LeistungsempfängerInnen ist, anders als die Zahl der armen Kinder insgesamt, bundesweit gesunken, vor allem in Ostdeutschland: Lag dort Ende 2014 der Anteil der Kinder unter 18 Jahren­ in Familien im SGB-II-Bezug noch bei 22,1 Prozent, waren es Ende 2019 nur noch 16,9 Prozent. In Westdeutschland sind die Zahlen hingegen leicht gestiegen: von 12,9 Prozent auf 13,1.

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