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Der HausbesuchEin Wanderlehrer auf Wanderschaft

Asmelash Dagne hatte in Äthiopien längst gelernt und gelehrt, wie man nachhaltig Landwirtschaft betreibt. Nun studiert er es in Cottbus.

Asmelash Dagne in seinem Zimmer im Studentenwohnheim Foto: Rainer Weisflog

Draußen: Schon in der DDR war der in den 70er Jahren errichtete Plattenbau, wo Asmelash Dagne wohnt, ein Studentenwohnheim. Davor nur ein magerer Rasen, wenige Fahrräder. Es herrscht gähnende Leere, auch wegen Corona.

Drinnen: Das Haus ist trist und die Studentenbude kahl. Bett, Schrank, Schreibtisch, Küchenzeile. Als persönliche Gegenstände fallen neben Gitarre und Benjamini-Baum noch ein Balkonkasten mit Kräutern auf.

Alleinsein: „Bisher hat mich kaum jemand in diesem Studentenzimmer besucht“, sagt Dagne. Auch vor Corona führte er ein relativ mönchisches Leben. „Die anderen Studenten sind mir zu kindisch.“ Er hat schon acht Jahre als Lehrer und vier Jahre in der Umweltbildung gearbeitet. Was hilft, ist WhatsApp. Jeden Tag telefoniert er mit Frau, Geschwistern und Töchterchen. Es beruhigt ihn, dass sie mit seinen jüngeren Geschwistern im gemeinsamen Haushalt sicher aufgehoben sind.

Cottbus: Die Stadt unweit der polnischen Grenze in Brandenburg ist okay, findet er. „Nur abends an der Spree zu joggen, ist unklug.“ Außerdem sei die Stadt nah genug an Berlin, wo er Freunde hat.

Studium: Asmelash Dagne studiert Environmental and Resource Management in Cottbus. Umweltwissenschaften also. Ausschließlich auf Englisch wird der Studiengang an der Brandenburgischen Technischen Universität angeboten. Dagne, der schon lange in Gärten und auf Äckern gearbeitet hatte, genießt es, sich jetzt die Theorie dazu anzueignen. Da er nachts oft wach ist, hat er auch schon vor Corona Onlineseminare in den USA belegt. Auch sein soeben abgeschlossenes Permakultur-Studium in England lief übers Internet. Nur zwei Mal war er selbst in Manchester. Seine Masterarbeit schrieb er zur ökologischen Kreislaufwirtschaft: Abfall ist hier die Grundlage neuen Wachstums. So, wie er und seine Geschwister sie im Haus und Garten ihrer Mutter eingerichtet haben.

Disziplin: Vor Corona war er stets hyperpünktlich in seinen Lehrveranstaltungen. Ab acht Uhr mit geregelten Essenszeiten dazwischen. „Vom Trinken und Knabbern nebenbei halte ich nichts.“ In die Mensa geht er nicht, das Essen dort ist ihm zu teuer.

Zukunft: Er freut sich, dass er im nächsten Jahr wieder nach Hause kann. Nur, dass man in Äthiopien in Staatsdiensten nicht genügend Geld verdient, sei problematisch. Ein Zehntel der Gehälter in Europa etwa. „Ein Grundstück aber kostet in Äthiopien nahezu so viel wie in Europa.“ Und das ohne Wasser-, Kanalisations- oder Elektroanschluss. Dagne hofft auf einen Job bei einer NGO oder einer internationalen Firma, die etwas besser zahlt. Also eine Anstellung, wie er sie hatte, als er die letzten vier Jahre vor dem Studium für eine kleine Firma arbeitete, die Solarbrunnen baute.

Anforderungen: Eigentlich wollte die Solarbrunnenfirma, ein deutscher Ingenieur hatte sie einst gegründet, ihn als Manager einstellen. Doch er wollte unbedingt weiterhin Kleinbauern und -bäuerinnen das umweltbewusste Gärtnern ohne Gift und Geld beibringen. Daraufhin engagierte ihn die Solarbaufirma als „Ergänzung“, also als jemanden, der zeigt, wie man den neuen Brunnen durch die Anlage von Gärten mit klugem Wassermanagement optimal nutzen kann.

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Die Väter: „Zum Gärtnern bin ich durch meinen Vater und den Großvater gekommen.“ Der Vater war Lehrer und zeigte dem Jungen jeden Sommer in den Ferien den respektvollen Umgang mit der Natur. Damals ging Dagne in einem drei Fußstunden entfernten Städtchen aufs Gymnasium, wohnte während der Schulzeit mit zwei anderen Jungs zusammen und kochte selbst. Nach dem frühen Tod des Vaters übernahm der Großvater die Verantwortung für den Jungen. Beiden sei es, so erzählt Dagne, um ein überlegtes Umgehen mit dem Boden gegangen. Pflanzen in Mischkulturen sollten auf ihm gedeihen, ohne dass man sie mittels chemischer Düngemittel dazu antreiben müsse. Wozu das „sozialistische“ Militärregime in Äthiopien die Bauern damals eigentlich verpflichtet hatte.

Ausbildung: Auch Dagne wurde wie sein Vater zunächst Lehrer. Seine erste Anstellung fand er mit 20 im südlichen Nachbarkreis seines Herkunftsortes, in einem Bauerndorf, in dem eine andere Sprache gesprochen wurde. „Die lernte ich dann nebenbei“, erzählt er. Seither spricht er vier Sprachen und lernt zudem Deutsch. Die Schule im Dorf war aus Lehm und es gab weder Tische noch Stühle. „Wir saßen auf dem Boden.“ Dort unterrichtete er die 12- bis 15-Jährigen in Naturwissenschaften. Damit ihnen nicht langweilig werde, richtete er mit ihnen einen Schulgarten ein. Unterstützung bekam er von einem dort forschenden Ethnologen aus Turin, der Gelder für eine Zisterne zum Auffangen des Regenwassers auftrieb. Er war es auch, der ihm einen Kurs in Permakultur vermittelte.

Glück: Durch sein Engagement für Schulgärten kam er in Kontakt mit der Slow-Food-Bewegung. Der Ethnologe schlug ihn als Koordinator für „10.000 Gardens for Africa“ vor – ein Projekt der internationalen Organisation „Slow Food“, das Gemeinschafts- und Schulgärten in ganz Afrika südlich der Sahara fördert. „Das hab ich dann gemacht.“ Die Koordinatoren arbeiten ehrenamtlich, werden aber auf internationale Treffen der Organisation eingeladen. Wie etwa den „Terra-Madre-Kongress“, wo Kleinbäuerinnen und Ernährungsaktivisten aus aller Welt ihr Wissen austauschen.

Das Leben und die Liebe: Dagne muss ein inspirierender Lehrer gewesen sein. „Ich habe mehrfach Preise dafür bekommen, besonders ansprechend unterrichtet zu haben, sogar mehr Geld habe ich deswegen bekommen. Und ein staatliches Stipendium.“ Für ein Aufbaustudium in Chemie in der nächsten Großstadt Arba Minch. Danach unterrichtete er in der Stadt Karat. Dort lernte er auch seine Frau kennen, Tochter eines Kollegen, die Tierhaltung studierte. „Die ersten Jahre sahen wir uns kaum.“ Er war ständig unterwegs mit der Solarbrunnen-Firma, als Permakultur-Lehrer und Slow-Food-Koordinator. „In der Zeit habe ich eigentlich nirgends wirklich gewohnt. Meine Frau und ich haben uns höchstens alle vier Wochen mal gesehen.“

Bindung: Nach drei Jahren Fernbeziehung heirateten sie und zogen zusammen. Ein kurzes Glück, denn nun fiel den Behörden auf, dass sie ihm unmöglich weiterhin gestatten könnten, als Wanderlehrer in Sachen Permakultur und als Agrarberater tätig zu sein, ohne je ein entsprechendes Examen abgelegt zu haben.

Zweites Studium: Dagne beschloss also, wieder zu studieren. An der von „Slow Food“ gegründeten Universität der gastronomischen Wissenschaften in Italien habe man ihn leider nicht nehmen können. „Da fiel mir Deutschland ein.“ Die Brunnenbaufirma, für die er arbeitete, kam doch von da. Außerdem sei er zuvor schon bei zwei internationalen Kongressen zur „Solidarischen Ökonomie“ und zum „Urban Farming“ in Deutschland gewesen und kannte einige von der dortigen Slow-Food-Jugend.

Lebensunterhalt: Er bekam den Studienplatz für Umweltwissenschaften in Cottbus. „Ich hatte dann alle Unterlagen beisammen, aber es fehlte noch was, das Wichtigste, Geld für den Lebensunterhalt.“ Der Brunnenbaufirma gelang es, eine winzige Stiftung für ein winziges Stipendium zu finden. Seither lebt Asmelash Dagne von 600 Euro im Monat. Er schafft es irgendwie. „Linsen hab ich mir aus der Heimat mitgebracht.“ Um aber zumindest einmal im Jahr Frau, Geschwister und Tochter besuchen zu können, sucht er dringend Ferienjobs, um sich den teuren Flug nach Äthiopien finanzieren zu können. Gerne auf einem Bauernhof.

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