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Für Eierindustrie und Demokratie

Mit der Geschichte des Adlers als Wappentier beschäftigt sich im Werkbundarchiv die Ausstellung „Die Demokratie und ihre Adler. Konstruktion eines nationalen Erscheinungsbildes in der Weimarer Republik“

Zeitungs­ausschnitt „Die Graphik des Reiches“ mit handschriftlicher Notiz Edwin Redslobs in den „Stuttgarter Nachrichten“, Januar 1927. Leihgabe Germanisches Nationalmuseum Nürnberg (Nachlass Edwin Redslob, I B-2) Foto: Armin Herrmann, 2020

Von Martin Conrads

Dem Reichsmilchausschuss, seit 1926 staatliches Werbeorgan für Milchkonsum, konnte ausgeholfen werden. Im Dezember 1931 teilte er mit, durch die freundliche Vermittlung des Reichskunstwarts seien bei dem Grafiker Tobias Schwab verschiedene Zeichnungen in Auftrag gegeben worden, „die wohl sämtlich die Verwendung des Adlers für die Zeichen des Reichs­ausschusses und der von ihm zu fördernden deutschen Eierindustrie“ vorsahen.

Der Satz, zu dessen Verständnis es durchaus einiger Anläufe bedarf, fasst wesentliche Aspekte der Arbeit des in der Weimarer Republik zwischen Demokratiegestaltung und Wettbewerb der Nationen wirkenden Reichskunstwarts Edwin Redslob zusammen. Zu hören ist er derzeit in einer Ausstellung im Werkbundarchiv – Museum der Dinge.

Unter dem Titel „Die Demokratie und ihre Adler. Konstruktion eines nationalen Erscheinungsbildes in der Weimarer Republik“ widmet sie sich dem Wirken des Werkbund-Mitglieds Redslob, dem einzigen Reichskunstwart (1920–33) der deutschen Geschichte und seiner mit diesem Amt verbundenen Aufgabe einer „Staatlichen Formgebung des Reiches“ im Allgemeinen und der von ihm angeleiteten, modernen Prinzipien folgenden Neugestaltung des Reichsadlers als Wappentier des Deutschen Reichs im Besonderen.

Für die Westberliner Zeit blieb der aus Weimar stammende Kunsthistoriker Redslob (1884–1973) vor allem als Mitgründer und Herausgeber der Zeitung Der Tagesspiegel, als Mitgründer und Rektor der Freien Universität und als maßgebliche Gründungspersönlichkeit des Berlin Museums in Erinnerung. Seine Zeit als dem Innenministerium unterstellter und 1933 von den Nazis in eine später nicht unumstrittene innere Emigration entlassener Reichskunstwart ist nicht knapper dokumentiert. Vor allem die in der Ausstellung zumeist als Reproduktionen gezeigten, aus dem Bundesarchiv und dem Germanischen Nationalmuseum stammenden Leihgaben aus Redslobs Nachlass zeichnen erstmals anhand so zahlreicher wie unterschiedlicher Entwürfe und Realisierungen verschiedener Künstler und Gestalter der Zeit anschaulich die keinesfalls linearen „Metamorphosen eines Wappentiers“ nach, die die Neugestaltung des Symbols in den 1920er Jahren durchlief.

In der Absicht, eine Abkehr vom ornamental überfrachteten, zumal mit Krone versehenen kaiserlichen Reichsadler herbeizuführen, suchte Redslob zu Beginn seiner Amtszeit mithilfe eines öffentlichen Wettbewerbs nach einem demokratischer Repräsentation genügenden Reichsadler. Der sollte sowohl allgemein akzeptiert werden als auch technisch-gestalterisch den Ansprüchen der verschiedenen Anwendungen der Zeit entsprechen. Dieses vom Kurator der Ausstellung, dem Werkbundarchiv-Mitarbeiter Maximilian Kloiber, als „moderierter Prozess“ bezeichnete Auswahlverfahren, warf nicht nur die Frage auf, welches Symbol eine Demokratie braucht. Sondern Redslob versuchte damit auch, zwar bürokratisch aber kommunikativ vermittelnd, unterschiedliche ästhetische und formale Vorstellungen zusammenzuführen. Einen noch vor dem Wettbewerb entstandenen (und verworfenen) Adlerentwurf in Holzschnittanmutung für die Gestaltung des Dienstsiegels des Reichspräsidenten durch den Redslob nahestehenden Expressionisten Karl Schmidt-Rottluff etwa verteidigte der Reichskunstwart mit dem Argument, der Entwurf stelle eine gelungene Synthese aus abwesender „historisierender Sentimentalität“ und abwesendem „modernistischen Snobbismus“ dar.

Für die Gestaltung des Reichsadlers und seine verschiedenen Anwendungen von der Briefmarke bis zum Staatssiegel ausgewählt wurden schließlich drei teils schon ins Sachliche gehende Entwürfe des Typografen Rudolf Koch und des Grafikers Siegmund von Weech. Erst eine Variation des Von-Weech-Entwurfs durch den eingangs erwähnten Karl-Tobias Schwab verfestigte aber ab 1928 – und bis 1933 – das Staatswappen im Stil einer vom Deutschen Werkbund favorisierten Neuen Sachlichkeit.

Es ist jenes Wappen, das seit 1950 – dann als Bundeswappen höchstoffiziell eingeführt vom Werkbund-Mitglied Theodor Heuss – den bis heute gültigen Bundesadler führt. Davon, dass der erste Bundespräsident unter Druck stand, zeugt das in der Ausstellung gezeigte Abbild eines unveröffentlichten Entwurfes (unbekannter Urheberschaft) aus dem Jahr 1949, bei dem das Wappentier im Gegensatz zum Reichsadler nach links, nach Osten blickt, umrahmt von den Worten „Deutsche Demokratische Republik“. Mit dem Rückgriff auf das Wappentier der Weimarer Republik wollte Heuss also mutmaßlich nicht nur die – zumal im Unterschied zu den zunehmend martialischer gewordenen nationalsozialistischen Adlern – demokratische Tradition eines vergleichsweise nüchtern ausfallenden nationalen Machtsymbols aufgreifen, sondern auch einen sozialistischen Adler verunmöglichen. Darüber, welches Symbol die BRD gewählt hätte, wäre es andersherum gekommen, kann man nur spekulieren.

Werkbundarchiv – Museum der Dinge, Oranienstraße 25, Kreuzberg. Do.–Mo. 12–19 Uhr, bis 20. Oktober 2020.

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