Psychisch gezündelt

Nach anderthalb Jahren Verhandlung endet der G20-Elbchaussee-Prozess mit mittelharten Strafen und einer Klatsche für die Staatsanwaltschaft

Rauch über Hamburg während des G20-Gipfels 2017, als in der Elb­chaussee Autos brannten Foto: Boris Roessler/dpa

Aus Hamburg Katharina Schipkowski

Selten habe die Wahrheit so sehr in der Mitte gelegen, wie im Elbchaussee-Prozess. Das konstatierte die Richterin des Hamburger Landgerichts, Anne Meier-Göring, als sie am Freitag das Urteil verkündete. Entsprechend im mittleren Bereich befindet sich das Strafmaß: Die beiden Angeklagten aus Hessen, die zum Tatzeitpunkt minderjährig waren, kommen mit Arbeitsauflagen davon, die beiden anderen mit Bewährungsstrafen. Der französische Angeklagte Loïc S. wird zu drei Jahren Haft verurteilt.

Die Staatsanwaltschaft hatte ihnen vorgeworfen, sich am Morgen des 7. Juli 2017 im Rahmen des G20-Protests an Ausschreitungen in der Elbchaussee beteiligt zu haben. 200 Personen waren, unbehelligt von der Polizei, durch das Reichenviertel gezogen und hatten massive Sachschäden angerichtet. Autos und Mülleimer brannten, Scheiben gingen zu Bruch.

Trotz extrem aufwendiger Öffentlichkeitsfahndung war es nicht gelungen, die tatsächlichen Täter*innen zu erwischen. Die fünf Angeklagten waren zwar dabei, richteten aber persönlich keinen Schaden an – bis auf einen Böllerwurf durch Loïc S. Ihm rechnet das Gericht zudem vier Stein- und Flaschenwürfe im Schanzenviertel zu. Trotzdem forderte der Staatsanwalt, den Angeklagten alle aus der Demonstration verübten Taten und den gesamten Sachschaden von geschätzt 1 Million Euro zuzuschreiben. Es wäre ein neues Kapitel Rechtsgeschichte gewesen.

Meier-Göring folgte dieser Rechtsauslegung nur in Teilen. Die Angeklagten hätten sich dem Schwarzen Block angeschlossen und psychische Beihilfe geleistet. Deshalb machten sie sich des Landfriedensbruchs und der Beihilfe zu Brandstiftungen schuldig. Taten, die sie nicht mitbekamen und mit denen sie nicht rechnen konnten, könne man ihnen nicht zur Last legen.

Mit deutlichen Worten wandte sich die Richterin an die Staatsanwaltschaft und den ersten Strafsenat des Oberlandesgerichts. „Sie haben politische Stimmungsmache gegen die Kammer und die Angeklagten betrieben“, so der Vorwurf der Richterin. Die Staatsanwaltschaft hatte die Kammer zu Beginn des Verfahrens als „zu milde“ abgelehnt. Meier-Göring ist dafür bekannt, polizeiliche Ermittlungen kritisch zu hinterfragen. Bereits im Verlauf des Prozesses kritisierte sie die Polizeiarbeit scharf.

Die Behauptung der Staatsanwaltschaft und des Oberlandesgerichts, der Aufzug sei paramilitärisch organisiert gewesen, sei ein juristischer Trick gewesen, eine Mär, so Meier-Göring. Zwischen den Zeilen schwingt mit: Die Staatsanwaltschaft habe sich nicht dafür interessiert, was die Beweisaufnahme ergab. Sie hatte ihre politische Agenda.

Mit dem Urteil ist einer der letzten großen Komplexe in der juristischen Aufarbeitung der G20-Proteste zu Ende gegangen – vorerst. Die Staatsanwaltschaft hat bereits durchklingen lassen, dass sie ein niedrigeres Urteil als die geforderten Haftstrafen von knapp drei Jahren für die Hessen und knapp fünf Jahren für Loïc S. nicht akzeptieren würde. Dann muss der Bundesgerichtshof entscheiden.