Büchnerpreis 2020 für Elke Erb: Gniggerndes Lachen

Der Büchnerpreis geht an eine Poetin. Und jetzt lesen Sie bitte weiter, auch wenn Sie Elke Erb noch nicht kennen. Es könnte sich lohnen.

Porträtfoto von Elke Erb im grauen Pulli mit Brille.

Poetin Elke Erb kann auch ziemlich ernst schauen. Macht sie aber nicht immer Foto: Jürgen Bauer

BERLIN taz | In den Statuten des Büchnerpreises steht die klangvolle Forderung, der oder die ausgezeichnete Schriftsteller*in solle „an der Gestaltung des gegenwärtigen deutschen Kulturlebens wesentlichen Anteil haben.“ Was, bitte schön, hat man sich im Jahr 2020 darunter vorzustellen? Beflissene Kulturbeamte, die im Dauerlauf Inaugurationsbänder durchschneiden oder Kunstwerke einweihen? Moderierende Welterklärer*innen? Oldschool Pfeifenraucher? Hippe Kulturbespaßer*innen? Oder vielleicht doch gerade jemand wie die Poetin und Übersetzerin Elke Erb?

Erb ist keine Schriftstellerin, die durch Talkshows jettet, in leichtgängigen Worten die Welt erklärt oder regelmäßig Theatersäle füllt. Ihre frühen Bücher sind fast alle vergriffen, vielen Feuil­le­ton­leser*innen ist sie vielleicht nur ein ferner Name oder sie kennen die Autorin gleich gar nicht. Und doch hat Elke Erb an der Gestaltung des gegenwärtigen deutschen Kulturlebens einen so regen, so lebendigen, so neugierigen Anteil, wie ich es von kaum einer anderen Kulturschaffenden kenne.

Vielleicht lässt es sich mit einer kleinen Anekdote am besten beschreiben, von der ich nicht einmal sicher weiß, ob sie stimmt, aber ist sie erfunden, dann überaus passend. Nach einem Treffen mit der Lyrikerin Ann Cotten begleitete diese Elke Erb ein Stück Richtung Zuhause, sie redeten sich aber so fest, dass sie plötzlich vor Erbs Wohnung standen. Daraufhin wurde wieder ein Stück in die Richtung der anderen gegangen, wieder redete man sich fest, wieder verpasste man die Hälfte des Weges und stand plötzlich vor Ann Cottens Wohnung. Über Poesie gibt es eben doch immer noch etwas zu sagen, zu fragen, zu denken, und es wäre eigentlich nicht verwunderlich, wenn die beiden noch immer unterwegs wären zwischen ihren beiden Wohnungen. Und wozu überhaupt stehen bleiben, wenn man ebenso gut im Prozess bleiben kann, in einer stetigen Wiederbegehung der eigenen Wahrnehmung?

Früh emigriert in die Lyrik

Wenn sich Erb schon einem allzu festen Standort in der Gegenwart entzieht, lässt sich vielleicht erst einmal fragen, woher sie denn kommt. Herkunft aber ist selten bruchlos, jedenfalls bei Schrift­stel­le­r*innen. Man zieht vermutlich nicht in die Literatur, wenn es drumherum zu bequem ist. Erbs Herkunft lässt sich wie folgt zusammenfassen: Gelebt in drei Staaten, früh emigriert in die Lyrik, immer auf der Suche geblieben, skeptisch den Verhältnissen gegenüber. Ist das eine statthafte Beschreibung eines Lebenslaufs?

Geboren wurde Elke Erb jedenfalls 1938 in einem kleinen Dorf in der Eifel, wo sie in ärmlichen Verhältnissen aufwuchs. 1949 zog sie ihrem Vater nach in die DDR. Sie studierte in Halle Germanistik und Pädagogik, legte eine Lehrerinnenprüfung ab, war kurze Zeit Lektorin beim Mitteldeutschen Verlag, ehe sie 1975 ihren ersten eigenen Band, „Gutachten. Poesie und Prosa“ vorlegte, auf den mehrere Dutzend weitere Bände mit Gedichten, Prosa und Übersetzungen folgten.

„Erb war keine systemkonforme DDR-Dichterin, sie ist keine konsumkonforme BRD-Dichterin“

Ganz sicher war sie keine systemkonforme DDR-Dichterin, so wenig, wie sie heute eine konsumkonforme BRD-Dichterin ist. Zu sperrig, widerborstig ist sie, dabei immer überraschend. Sperrig, das mag als Beschreibung für manche Le­se­r*in eher abschreckend klingen, aber lese ich ihre Gedichte, strahlt stets etwas Warmes daraus, eine verwunderte Neugier, mit der sie doppelgesichtig zwischen Innen- und Außenwelt schreibt. Schöner haben es vielleicht Michael Braun und Bert Papenfuß gefasst: „Elke Erb war, ist und bleibt ausgeflippt, dem Teufel sei’s gedankt“ (Papenfuß) und eine „sprachverrückte Poetin“ mit ihren „Stützpunkten poetischer Aufsässigkeit“ (Braun).

Die Deutsche Akademie für Sprache und Dichtung verleiht seit 1951 alljährlich den Georg-Büchner-Preis an herausragende Schriftstellerinnen und Schriftsteller. Zu den Preisträgern vergangener Jahre zählen Lukas Bärfuss, Rainald Goetz, Sibylle Lewitscharoff, Friedrich Christian Delius und Martin Mosebach. Der Preis ist mit 50.000 Euro dotiert und wird am 31. Oktober 2020 verliehen. Aus der Begründung der Jury zur diesjährigen Verleihung an Elke Erb:

„Mit Elke Erb ehrt die Deutsche Akademie für Sprache und Dichtung ein unverwechsel­bares und eigenständiges schriftstellerisches Lebenswerk, dessen Anfänge 1975 in der DDR lagen und das sich nach deren Ende unbeirrt bis in die Gegenwart fortsetzt. Elke Erbs poetischer Sachverstand, der sich auch in ihrer reichen übersetzerischen Arbeit zeigt, beeinflusste mehrere Generationen von Dichterinnen und Dichtern in Ost und West. Ihre Gedichte zeichnen sich durch eine prozessuale und erforschende Schreibweise aus, in deren Verlauf die Sprache zugleich Gegenstand und Mittel der Untersuchung ist. Elke Erb gelingt es wie keiner anderen, die Freiheit und Wendigkeit der Gedanken in der Sprache zu verwirklichen, indem sie sie herausfordert, auslockert, präzisiert, ja korrigiert. Für die unverdrossene Aufklärerin ist Poesie eine politische und höchst lebendige Erkenntnisform.“

Elke Erb mag keine Breitenwirkung im herkömmlichen Sinne haben, aber Tiefenwirkung hat sie dafür umso mehr. Sie, Jahrgang 1938, gehört so selbstverständlich, so unwegdenkbar zur jungen Lyrikszene wie vielleicht niemand sonst, und ich vermute, dass ihr Einfluss auf das Schreiben und poetische Denken anderer Lyriker*innen der Gegenwart nur mit dem von Thomas Kling und Friederike Mayröcker vergleichbar ist – und es ist übrigens schön, dass Mayröcker als Grande Dame der Lyrik nun nicht mehr so allein auf dem Büchner-Preis-Thron sitzen muss.

Wobei, Thron? Was sollte Erb oder auch Mayröcker mit etwas so Starrem, Macht und Perfektion Vortäuschendem anfangen? Ist die Frage nach der eigenen Unzulänglichkeit nicht die viel interessantere? „Gegen die Aura des Perfekten“, schrieb Erb einmal in einem Gedicht über das Dichten: „Das Werk ist Hervorbringung. / Das Werk ist ‚Hervorbringung‘, griech.: Poesie / (…) und nicht Inthronisation, nicht wahr?“ Wie hier selbst beim Aufbegehren gegen den Thron noch zuletzt eine Frage bleibt, als Unsicherheit, ist geradezu typisch für Erbs Sprechen, das sich von allen einfachen Eindeutigkeiten frei macht und niemals zu stolz ist, stets die eigenen Überlegungen wieder und wieder zu überdenken, zu hinterfragen, zu revidieren. Beharrlich gegen das Beharren, könnte man sagen.

Wie sehr Erb geschätzt wird, merkte man auch an der großen Freude, die viele Lyriker*innen direkt nach der Bekanntgabe äußerten. Nicht nur hat sie Fans, nicht nur freut man sich, weil sie selbst so sympathisch ist, nicht nur stellt man sich unweigerlich ihr gniggerndes Lachen vor, mit dem sie den Anruf aus der Akademie entgegengenommen haben mag. Fragen Sie mich nicht, was gniggern bedeutet – wenn sie Elke Erb einmal lachen gesehen haben, wissen Sie es.

Und nicht nur ist es eine exzellente Antwort auf einen Literaturbetrieb, der in den letzten Jahren allzu oft aus Angst vor dem eigenen Bedeutungsverlust dem ganz Jungen und möglichst Leichtgängigen panisch hinterhergehetzt ist, ohne zu merken, dass damit dem Bedeutungsverlust eher Vorschub geleistet wurde. Mit ihr wird auch die Lyrik selbst ausgezeichnet, eine bestimmte Art des sprachlichen Denkens, die immer auch ein Versuch der Welterkenntnis ist. „Versuch“ ist dabei mindestens ebenso wichtig wie „Welt“ und „Erkenntnis“, es ist ein sich selbst korrigierender, erkundender Prozess. Ein Gang zwischen hier und dort, der die Mitte zwar findet, aber niemals bei ihr verharrt.

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In Paris wurde Nora Bossong 2019 der Laptop geklaut. Sie recherchierte gerade an einem Roman über die Gelbwesten. Das Material war weg – sie brach das Projekt ab. Diese Anekdote verrät viel über die 1982 geborene Autorin: Sie geht raus in die Welt, sie ist politisch interessiert. Was sie auch mit ihrem zuletzt erschienenen Roman „Schutzzone“ bewies, in dem eine UN-Mitarbeiterin von den Realitäten der Friedensmission in Burundi eingeholt wird. Es wäre allerdings falsch, Nora Bossong auf das Genre des politischen Romans festzunageln. Einen Namen hat sie sich auch als Lyrikerin gemacht. Für die taz hat sie zuletzt männliche Rollenmuster gegeißelt und Peter Handke verteidigt.

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