Hoffnung für „Ocean Viking“

Nach Selbstmordversuchen auf dem Rettungsschiff will Italien den Flüchtlingen helfen – ein Quarantäneboot steht bereit. Vier der Schutzsuchenden erzählen ihre Geschichte

Von Michael Braun

Am Montag sollen die 180 Flüchtlinge an Bord des Rettungsschiffs „Ocean Viking“ endlich auf die italienische Fähre „Moby Zazà“ übernommen werden und dort 14 Tage in Quarantäne bleiben. Nach mehr als 10 Tagen gibt Italien damit seine Weigerung auf, die im Mittelmeer geretteten Flüchtlinge aufzunehmen.

Erst am 22. Juni war die „Ocean Viking“, die von der Nichtregierungsorganisation SOS Méditerranée betrieben wird, aus dem Hafen von Marseille ausgelaufen. Wegen der Coronapandemie hatte sie dort drei Monate vor Anker gelegen. Eine erste Gruppe von 51 Flüchtlingen rettete das Schiff am 25. Juni zwischen Lampedusa und Malta, weitere 130 Menschen wurden bei drei weiteren Einsätzen bis zum 30. Juni an Bord genommen.

Gleich sieben Anfragen richtete die „Ocean Viking“ am 26. Juni an Malta und Italien, um sich einen sicheren Hafen zuweisen zu lassen. Doch Antworten gab es keine, es gilt die Ansage beider Mittelmeerstaaten: Seit dem Ausbruch der Coronapandemie verfügen sie nicht mehr über sichere Häfen. Italiens Regierung hatte Anfang April ein entsprechendes Dekret erlassen, dem zufolge die Gesundheitsdienste eine adäquate Betreuung der Flüchtlinge nicht gewährleisten könnten. Zu groß sei die Überforderung durch Covid-19.

Seitdem wurden die NGOs aufgefordert, die geretteten Menschen im Flaggenstaat ihrer Schiffe an Land zu bringen. Der „Ocean Viking“ hätte damit eine Reise bis nach Norwegen bevorgestanden. Zu solchen Fahrten kam es in den letzten Wochen jedoch nie. Vielmehr erlebten die Flüchtlinge mehrfach das gleiche Tauziehen zwischen Regierung und NGOs, das es schon zu den Zeiten gegeben hatte, als der Lega-Anführer Matteo Salvini als Innenminister die Politik der „geschlossenen Häfen“ verfolgte.

Im Fall der „Sea Watch“, die 211 Flüchtlinge an Bord genommen hatte, schritt allerdings die italienische Regierung ein. Sie gewährte den Schutzsuchenden am 21. Juni nach „nur“ 48 Stunden die Aufnahme. Die Flüchtlinge wurden im sizilianischen Hafen Porto Empedocle von der zum Quarantäneschiff um­funktionierten Fähre „Moby Zazà“ an Bord genommen. Bei den Tests erwiesen sich dann 28 als ­coronapositiv.

Bei der „Ocean Viking“ dagegen bewegte sich Italien erst, nachdem sich in den letzten Tagen die Lage an Bord dramatisch verschlechtert hatte. Zwei Flüchtlinge sprangen über Bord, konnten aber wieder aufs Schiff zurückgebracht werden, sechs unternahmen Selbstmordversuche, zwei traten in einen Hungerstreik. Daraufhin rief der Kapitän am ­Freitag den Notstand an Bord aus. „Die Situation auf dem Schiff hatte sich dermaßen zugespitzt, dass die Sicherheit der 180 geretteten ­Menschen und der Besatzung nicht mehr gewährleistet werden konnte“, erklärte SOS Méditerranée.

Deswegen gingen am Samstag ein italienischer Psychiater und ein kultureller Mediator an Bord des Schiffs. Offiziell schilderte der Arzt die Situa­tion als nicht besonders beunruhigend, doch noch am selben Tag verfügte die Regierung die Übernahme der Menschen durch die „Moby Zazà“. Sie soll am Montag erfolgen, nachdem am Sonntag bei allen Flüchtlingen Corona-Abstriche vorgenommen wurden. Am Sonntagnachmittag bekam die „Ocean Viking“ dann die Anweisung, Porto Empedocle auf Sizilien anzulaufen. Dort liegt auch das italienische Quarantäneschiff.

Damit zeichnet sich für die 180 Geretteten ein positiver Ausgang ab. Für die mehr als 90 Menschen an Bord eines Boots, das die „Ocean ­Viking“ am 27. Juni zwölf Stunden lang vergeblich gesucht hatte, gilt das nicht. Sie ­waren von der libyschen Küstenwache abgefangen und nach Libyen zurückgebracht worden. Sechs der Flüchtlinge sollen die Strapazen des Fluchtversuchs nicht überlebt haben.

Mohammad, 40, Pakistan

Er hat sieben Jahre in einem Lebensmittelgeschäft in Libyen gearbeitet, „überlebt“, wie er sagt. Im erneuten Bürgerkrieg verlor er seinen Job und nahm einen Kredit auf, um nach ­Europa zu gelangen. Kurz bevor er sich auf die Reise über das Mittelmeer machte, wurde er angegriffen und erlitt einen Messerstich im Bein. „Mir geht es nicht darum, das Leben zu genießen. Meine Mission ist, zu arbeiten und Geld zu verdienen, um meine Familie zu ernähren“, erklärt er. Seine Frau und sechs Kinder leben in Lahore in Pakistan. (afp)

Aymane, 24, Marokko

Er hat schon einmal in Frankreich gelebt, zwischen 2016 und 2019, in Argenteuil in der Pariser Banlieue. Wie er dort hinkam, sagt er nicht. Auf dem Markt von Clignancourt in Paris verkaufte er Kleider. Als sein Vater in der Heimat starb, kehrte er nach Marokko zurück. Dort merkte er, dass es „für die Jugend nichts gibt: Man arbeitet hart und verdient so gut wie nichts.“ Also machte er sich auf den Weg zurück nach Frankreich. Quer durch die Wüste nach Libyen, wo er nur wenig Zeit verbrachte, dann auf das Meer. (afp)

Hafiz, 30, Eritrea

Er ist seit vier Jahren unterwegs und hat alles erlebt: Folter, die Erschießung eines Freundes, drei Jahre Haft in Libyen „für nichts“. „Nach drei Jahren fragte mich ein Wächter, was ich denn da mache. Ich sagte ihm: Das müsst ihr mir sagen. Da niemand eine Antwort hatte, wurde ich freigelassen und konnte meiner Familie sagen, dass ich lebe.“ Jetzt sagt er: „Ich will bloß meine Haut retten. Wäre ich in Libyen geblieben, hätte man mich getötet.“ In Europa hofft er auf „einen Ort, wo ich nicht getötet werde“. (afp)

Mervis, 24, Kamerun

Sie ist die einzige Frau unter den Geflüchteten auf der „Ocean ­Viking“ und reist zusammen mit ihrem Ehemann aus Ghana. Sie tut das nicht für sich, sagt sie, sondern für ihr ungeborenes Kind: Mervis ist im 5. Monat schwanger. Ein Jahr hat sie in Libyen verbracht und dort Entführung, Haft und Vergewaltigung erlebt. Sie hat dabei einen Knochenbruch im Unterschenkel davongetragen. Sie hofft, dass ihr Kind in Deutschland zur Welt kommt, ein neutraler Ort für einen Neuanfang: „Wir wollen doch bloß in Frieden leben.“ (afp)