Magazinsterben in Corona-Zeiten: Mehrere dicke Enden auf einmal

Das Popmagazin „Spex“ und das Berliner Stadtmagazin „Zitty“ werden wegen fehlender Werbeeinnahmen eingestellt. War das abzusehen?

Schwarz-Weiß-Bild: Ein Mann steht vor vielen Ordnern

Redaktionsräume der „Zitty“ im Jahr 1991 Foto: taz Archiv

Eines direkt vorweg: Print ist nicht gänzlich tot. Und der Kultur- sowie der Musik­journalismus leben auch noch. Wenn ihnen auch gerade pandemiebedingt Konzerte und sonstige Veranstaltungen fehlen. Und doch mag es sich für einige angefühlt haben wie mehrere dicke Enden auf einmal, als kürzlich beinahe simultan die Einstellung des Popmagazins Spex und des Berliner Stadtmagazins Zitty bekannt wurde. Schuld für das Aus sei die Coronakrise, hieß es in beiden Fällen. Die Spex hatte es als Printmagazin und zuletzt noch digital 40 Jahre gegeben, die Zitty sogar 43. Und nun soll ihnen eine Pandemie den Todesstoß verpasst haben? Oder hatte es schon zuvor Anzeichen für das nahende Ableben beider Magazine gegeben?

Werfen wir einen Blick in die Vergangenheit: Die Spex ist schon einmal einen Tod gestorben, als Printausgabe, Ende 2018 war das. „Gegen langsam, aber doch stetig sinkende Verkaufs- und Abonnementzahlen haben wir ebenso wenig ein Mittel gefunden wie gegen die zunehmend prekäre Marktlage“, schrieb Daniel Gerhardt, damaliger Spex-Chefredakteur, damals im Editorial der vorletzten gedruckten Ausgabe. Denn immer mehr Unternehmen, so Gerhardt weiter, investierten vermehrt in Social-Media-Werbung als in Printprodukte. Print war also tot – und schuld daran das Internet?

Kurzerhand suchte deshalb auch die Spex ihre Zukunft im Digitalen – und das, obwohl viele sich fragten, ob der Popjournalismus ausgedient habe. Ein kleines Team um Chefredakteur Dennis Pohl und seinen Stellvertreter Julian Dörr stemmte von da an den Auftritt der Marke im Netz. Pohl und Dörr konzipierten den Online-Relaunch mit einer Vision: die Welt durch das Prisma des Pop zu betrachten.

Auf lange Stücke wurde fortan gesetzt, auf Essays, die immer kritisch auf die Gesellschaft blicken sollten, später kam noch ein eigener Podcast hinzu. Der Print-Spex war lange vorgeworfen worden, sie sei elitär und weiß, die Online-Spex wollte daraus lernen. Somit sollte die Spex vor allem denjenigen Künstler:innen eine Plattform bieten, die für manches Feuilleton zu abseitig waren, und die Autor:innen schreiben lassen, die im breiten Musikjournalismus keinen Platz fanden.

Julian Dörr, bis vor Kurzem stellvertretender Chefredakteur der „Spex“

„Für mich ist das Vertrauens-verhältnis mit dem Verlag zerstört“

Finanziert wurde die Spex durch Werbe- und Aboeinnahmen. Und vielleicht lag hier schon der erste Konstruktionsfehler: Gerade einmal 24 Euro im Jahr zahlten Leser:innen für das gesamte Spex-Angebot. Die Abopreise waren retrospektiv zu niedrig angelegt, um die Spex über Wasser zu halten, sollte sie bei fehlenden Werbeeinnahmen ins Schwanken geraten. So wie es nun in der Coronakrise passiert ist.

Dabei war das Abosystem gut angenommen worden. „Die Abos stiegen stetig, wir hatten einen Abostamm zwischen 2.600 und 3.000 Leuten“, sagt Chef­redakteur Pohl. Treue und langjährige Spex-Abonennt:innen hätten womöglich auch mehr Geld ausgegeben, vermutet er. Aber die Höhe der Abopreise festzulegen, das habe nicht in der Entscheidungsmacht der Redaktion gelegen.

Formloses Ende

Das Ende der digitalen Spex folgte dann – für die Redaktion und auch viele Leser:innen – abrupt. Im April diesen Jahres wird Dennis Pohl coronabedingt in Kurzarbeit geschickt, die restliche fünfköpfige Berliner Redaktion soll nur noch im Umfang der Hälfte ihrer sonstigen Arbeitszeit erscheinen – so die Anordnung vom Münchner Verlag, Piranha Media. Zwei Wochen später habe man die Nachricht vom Ende der Spex erhalten. „Im Mai wurde uns formlos in einer Mail gesagt: Vielen Dank für eure Arbeit und euer Engagement, zum Ende des Monats brauchen wir euch nicht mehr“, sagt Julian Dörr.

Wer heute auf die Website der Spex geht, findet dort nicht, wie eigentlich zu erwarten wäre, eine Abschiedsnachricht der Redaktion, sondern Worte des Münchner Piranha Verlags. Man könne „den bisherigen Betrieb in der Form nicht aufrechterhalten“. Und weiter: „Deshalb müssen wir den drastischen Schritt gehen und den Betrieb der Spex einstellen, bevor sie die Existenz des gesamten Verlages gefährdet hätte.“ Und das trotz positiver Entwicklung in den letzten Monaten und Wochen, heißt es noch.

Ja, die Coronakrise habe die Spex hart getroffen, da stimmt Chefredakteur Pohl zu. Veranstaltungen abgesagt, Kooperationen mit Kulturstätten aufgekündigt. Und dadurch eben auch fehlende Werbeeinnahmen. Musste das Projekt deshalb sofort beendet werden und eine ganze Redaktion vor die Tür gesetzt? Stellvertreter Dörr findet: Eine wirkliche Chance, aus der Coronakrise zu finden, die habe man dem Magazin nie gegeben.

Ganz tot soll Spex angeblich ja nicht sein: Der Verlag kündigt an, dass es im Herbst möglicherweise weitergehen könnte. Doch Julian Dörr winkt ab. „Wir stehen als Redaktion nicht dafür bereit“, sagt er. „Für mich ist das Vertrauensverhältnis mit dem Verlag zerstört. Ich möchte keine weitere Zusammenarbeit.“ Eine Anfrage der taz an den Verlag, wer und vor allem wie viele Menschen die Spex gegebenenfalls weiterführen würden, bleibt unbeantwortet. Vorerst ist die Spex also ein Popmagazin ohne Redaktion.

„Eigentlich ist die Zitty tot“

Auch die Einstellung der Berliner Zitty kam für viele überraschend – selbst für die Chefredakteurin Stefanie Dörre, wie sie sagt. „Dass die Zitty jetzt durch die Auswirkungen von Corona so schnell eingestellt werden musste, ohne zuvor andere Maßnahmen zu ergreifen, beispielsweise ein Monatsheft zu machen, hat mich auch kalt erwischt.“ Es lief allerdings schon lange vor Corona nicht mehr gut für das Magazin, das bestätigt auch Geschäftsführer Robert Rischke vom Go City Media Verlag, in dem die Zitty seit 2016 erscheint.

Einst mit einer Auflage von 60.000 in den Neunzigern, lag die Auflage der Zitty zuletzt nur noch bei 13.000. Vieles war versucht worden, der Erscheinungsrhythmus von einem zweiwöchentlichen auf einen wöchentlichen Takt umgestellt, der Onlineauftritt gestärkt und eigene Veranstaltungen organisiert. Gerettet hat das die Zitty nicht, und damit ist ein weiterer traditionsreicher Titel verschwunden – allerdings erst mal nur im Print. Online soll sie weiter bestehen bleiben, heißt es aus dem Verlag. Bei der Spex hielt das genau eineinhalb Jahre.

Dieser Text stammt aus der taz am wochenende. Immer ab Samstag am Kiosk, im eKiosk oder gleich im Wochenendabo. Und bei Facebook und Twitter.

In der Zitty-Redaktion mag man deshalb auch nicht daran glauben. „Eigentlich ist die Zitty tot“, heißt es von einem langjährigen Redakteur. Der Tip, lange Konkurrent der Zitty und mittlerweile unter dem Dach desselben Verlags, bleibt dagegen als Printheft erhalten und bekommt einen Online-Relaunch. Als reine Trostmaßnahme empfindet das der Zitty-Redakteur.

Wer garantiert, dass nicht auch der Tip dasselbe Schicksal erleiden wird? Robert Rischke vom Verlag gibt sich hoffnungsvoll. „Ich glaube, dass wir mit unseren digitalen Angeboten und der digitalen Transformation die Marke Tip weiter stärken können“, sagt er. Überzeugend klingt das nicht.

Aus beiden Redaktionen, Spex wie Zitty, hört man Enttäuschung. Hätte man es kommen sehen können? Ja und Nein. Machen wir uns nichts vor: Dass ein Magazin wie die Zitty nach 43 Jahren ihr Ende findet, ist schmerzhaft, aber vielleicht auch okay. Und dass ein vom Print ins Digitale übertragenes Popmagazin nicht weitergeführt wird, das scheint sogar die Redaktion zu verkraften.

Die vielen erschütterten Reaktionen von Spex- und Zitty-Leser:innen im Netz jedenfalls lassen vermuten, dass Pop- und Kulturjournalismus keineswegs überholt sind – die Nachfrage ist da. Was überholt ist, ist vielmehr das Finanzierungsmodell dieser Medien. Abhängigkeit von Werbung und die fehlende Perspektive, neue Bezahlmodelle zu entwickeln, haben wohl Spex und Zitty in dieser Krise das Leben gekostet. Vielleicht hätten sie eine Chance verdient gehabt. Vielleicht hätte man sie nicht gleich aufgeben sollen.

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