Plopp,
gluck,
leer

Die norddeutschen Industriebiere verkaufen sich immer schlechter – nicht nur in der Coronakrise. Liegt es am Geschmack? Wir stimmen ein in Abgesänge und Loblieder 43–45

Ein schnelles Fußpils für den Weg: Leere „Flens“-Flaschen warten auf Pfandsammler Foto: Susanne Hübner/imago

Von Benno Schirrmeister

Bier ist in Bedrängnis. Der Absatz sinkt ohnehin schon seit Jahren, außer in Niedersachsen und Bremen, wo es zuletzt ein leichtes Plus gab. Aber aus Brauersicht schlimm geworden ist es dann in der Coronakrise. Noch immer herrscht Stillstand bei den Fass-Abfüllanlagen, und komplett eingebrochen ist der Konsum laut Statistischem Bundesamt im Norden: 54,9 Prozent Absatzrückgang hat die Zahlenbehörde anhand der Steuerdaten in der Region Schleswig-Holstein/Hamburg ermittelt, mehr als die Hälfte. Das haut rein.

Aber das kann eine Pandemie allein nicht bewirken. So etwas ist nur ein Symptom einer tiefergehenden Krise. Einer Kulturkrise, die, das haben die Konsument*innen längst verstanden, darin besteht, dass der Markt so bereinigt und transparent geworden ist. Norddeutschland war, lange bevor die Bayern das Biertrinken gelernt haben, das Zentrum europäischer Braukunst. Hier sind in der frühen Neuzeit die neuen Methoden entstanden, die aus dem alltäglichen Geschäft – Bierbrauen war eine ganz normale Haushaltstätigkeit, so wie Wäsche waschen, kochen oder Geschirr spülen – eine Industrie und eine Kunst haben werden lassen: Eine Industrie, die Infrastruktur und Logistik voranbringt, Fassbautechniken, Recycling-Praxis, Kühlung. Und eine Kunst, die es ermöglicht, aus einer überschaubaren Menge Grundzutaten geschmackliche Vielfalt herzustellen.

Nur: Hat sich was mit Vielfalt. Die Industrie schreitet voran und geht über sie hinweg und macht sie platt. Die Hamburger Bierlandschaft aus Astra (gehört zu Carlsberg), Duckstein (gehört zu Carlsberg) und Holsten (ein Unternehmen der Carlsberg A/S) ist ein plastisches Beispiel dafür, dass die Vielfalt, aus der Trinkkultur einst entstanden sein dürfte, oft nur noch eine Frage von Etikettierung und Flaschenform ist.

Die Angleichung des Geschmacks ist eine Konsequenz der Produktions- und Marktbedingungen, die durch Weltmarktgrößen modelliert wird – und auch dann noch wirksam bleibt, ja sogar sich verschärft, wenn sie sich aus Unternehmen zurückziehen. Seit Anheuser-Busch In-Bev Hannover den Rücken gekehrt hat, ist das Bier dort nicht besser geworden. Dafür gildet jetzt ein Arbeitgeberrecht, das selbst 1526 schon für Aufruhr gesorgt hätte und die Gilde-Brauerei zum tristen Symbol des Verlusts von Bier- und Braukultur hat avancieren lassen. Dazu gehört halt etwas anderes, als nur mit einem standardisierten Produkt möglichst viel Gewinn zu erzielen.

Man hat nämlich das Traditionsunternehmen Gilde aufgespalten und so in eine Konzernstruktur überführt: Die Dosenabfüll-Abteilung ist jetzt eine eigene GmbH. Und von deren 19 Mitarbeitern sind Anfang Juni vier rausgeschmissen worden, darunter ein Betriebsrat. Die Gewerkschaft NGG sieht darin eine Einschüchterungsmaßnahme, weil die Gefeuerten sich beim Streik gegen die neue Struktur stark gemacht hatten: Ein Vierteljahr hatte der Arbeitskampf bei Gilde gedauert, der Neueigentümer hatte mit Aussperrungen und ähnlich muffigen Maßnahmen reagiert. Das, was früher schlecht war, ist keine gute Traditionspflege.

Tradition ist ohnehin ein zweischneidiger Begriff, der Neues abwürgen kann, das ja vielleicht ein Ausweg aus der Krise wäre. Dass in Bayern nicht so viele Craft-Bierbrauereien wie in Niedersachsen brauen und Steuern zahlen, ist ein Beispiel dafür, dass eine religiöse Auslegung des Reinheitsgebots Innovation hemmt. Denn wer eine Genehmigung für ein „besonderes Bier“ beantragt, bekommt sie in München nie. In Hannover stehen die Chancen dagegen gut: Dann dürfen beim Brauen deklarierte andere Zutaten verwendet werden als Hopfen, Malz und Hefe.

Das erlaubt Experimente wie das „Freie Broyhan“ aus Sehnde. Das ist mühsam aus historischen Rezepten rekonstruiert und hat dank Veilchenwurzel, Galgant und historischen Hefestämmen einen aufregend fremden Geschmack. Es ist eine Annäherung an das legendäre Bier, das Cord Broyhan, nach seiner Lehre in Hamburg, Anfang des 16. Jahrhunderts ersonnen und zum Welterfolg gemacht hat – als Gründer der Gilde-Brauerei.