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Regen könnte etwas helfen

Endlich öffnen die Berliner Kinos wieder ihre Pforten. Jedoch nicht alle auf einmal: Strenge Corona-Auflagen machen ihnen das Geschäft schwer, zudem lassen die nötigen Blockbuster-Kassenschlager auf sich warten

Von Jenni Zylka

Mit dem Kino ist es wie mit den Drogen: Ständig braucht man neuen Stoff. Obwohl der Vergleich hinkt, denn alter Stoff tut’s auch. Inwiefern die Berliner*innen mit „altem Stoff“, mit alten Filmen zufrieden sein können, dieses unfreiwillige Experiment führen die Berliner Kinos seit Dienstag, einige ab heute, einige auch erst ab Ende Juli durch. Sie öffnen wieder ihre Türen – und lassen Gäste mit saubereren Händen auf einige wenige ihrer gereinigten Sitze.

Die Lichtspielhäuser nach der monatelangen Zwangspause finanziell zu sanieren, gelingt damit aber kaum: Bei 1,50 Meter Abstand, so fürchtet nicht nur Kinogilde-Präsident Christian Bräuer, sei „ein wirtschaftlicher Betrieb nicht richtig möglich“, bei vielen Häusern seien die Zahlen „schwach bis katastrophal“.

Zu der rein rechnerisch wenig rentablen Angelegenheit kommt das mit dem Stoff: Einerseits sind (gelungene) Filme zeitlose Kunstwerke. Und ob „Der Unsichtbare“, Leigh Whannells subtil-feministische Adaption des gleichnamigen H.-G.-Wells-Romans mit Elisabeth Moss in der Rolle einer von (zunächst sichtbarer, dann unsichtbarer) sexualisierter Gewalt bedrohten Frau, nun schon seit Februar läuft, spielt keine Rolle: In den paar Wochen zwischen offiziellem Kinostart und Lockdown hatte es eh kaum jemand geschafft. Und Billy Wilders oscarprämierte Crossdressing-Klamotte „Manche mögen’s heiß“ von 1959 mal auf großer Leinwand anzuschauen und sich über die absurde Cocktailszene im Schlafwagen zu freuen, in der irgendwo zwischen Wärmflaschen-Shaker und Frauenbeinen der lippenstiftbeschmierte Jack Lemmon herumturnt, macht ebenfalls Laune.

Doch während „Manche mögen’s heiß“ auf der kleinen LED-Leinwand des neuen Rooftop-Cinema auf dem Stilwerk läuft, das nur wenige Plätze hat und durch den virusfeindlichen freien Himmel auch Zögerliche überzeugen kann, wird „Der Unsichtbare“ Mühe haben, das Multiplexkino Cinemaxx am Potsdamer Platz zu retten. Denn vor allem die Multiplexe und Premierenkinos sind auf Neuware angewiesen – und damit auf jene Blockbuster, die für einen Großteil des deutschen Kinobetriebs überlebensnotwendig sind.

„Wir haben uns entschieden, mit der Wiederaufnahme des Spielbetriebs zu warten“, heißt es darum unter anderem auf der Homepage des mit insgesamt rund 1.600 Sitzplätzen und sieben Sälen ausgestatteten Zoo Palasts, der genau wie das Rooftop-Cinema und die Astor Lounge (sowie ein paar Häuser in anderen Städten) vom ehemaligen Cinemaxx-Vorstand Hans-Joachim Flebbe betrieben wird. Die Kinogruppe nennt zwei Gründe für ihre Entscheidung, bis mindestens Ende Juli geschlossen zu bleiben: „Zurzeit gibt es kein Filmangebot, das eine Eröffnung wirtschaftlich rechtfertigt“, schreibt man, zudem seien „die staatlich geforderten Auflagen noch so einschneidend und umfassend, dass ein Kinobesuch nur mit inakzeptablen Einschränkungen möglich ist“.

Trotz vielversprechender deutscher Starts wie „Undine“ und „Berlin Alexanderplatz“ macht die wirtschaftliche Abhängigkeit von den Starts der potentiellen US-Blockbuster vielen Kinos also schwer zu schaffen – und da gibt es wenig Hoffnung. So konkurriert der Großkonzern und kulturelle Allesschlucker Disney mit seinem Disney+-Channel bereits stramm im VoD-Bereich, obwohl seine Videothekeninhalte – anders bei den üblichen, auf ein heterogenes, vielfältiges Programm bedachten Streamingportalen – allein aus dem Backkatalog des Konzerns selbst und aus einigen verdauten Marvel- und National Geografic-Werken bestehen. Vor allem aber beginnt Disney nun auch seine Großproduktionen am Kino vorbeizuschmuggeln: Die von Kenneth Brannagh inszenierte Adaption des erfolgreichen Kinderbuchs „Artemis Fowl“ läuft ab August nur auf dem mickrigen Heimbildschirm. Der Kinostart von „Mulan“, Disneys teurer Realfilmadaption eines Animationsklassikers, ist immerhin – noch – für August angekündigt.

Steigende Sterberate

Das altehrwürdige Charlottenburger Klick Kino macht wieder auf

US-Produktionen müssen mit den landesweit immer noch steigenden Ansteckungs- und Todesraten kämpfen. Und solange die US-Kinos nicht wiedereröffnen, werden internationale Großproduktionen wie Christopher Nolans „Tenet“ und der neue Bond auch nicht hierzulande starten. Dazu noch der Schock über die – übrigens nicht coronabegründete – Schließung des Colosseums: Selbst das kann einen Filmfan nicht erschüttern. Manche setzen sogar antizyklisch auf Neustart: Heute eröffnet auch das seit 1911 existierende Klick Kino in Charlottenburg wieder – es hatte dort bereits 2017 einen Reanimationsversuch gegeben, der aber aufgrund einer Kündigung gestoppt wurde. Die neuen Betreiber*innen Christos Acrivulis, Martina Klier, Alessandro Borrelli und Sascha Grunow unterschrieben den Vertrag ein paar Monate vor dem Ausbruch der Pandemie– und waren zunächst gelähmt.

Positiver Zuspruch

Aber viel positiver Zuspruch habe ihnen Mut gemacht, so Acrivulis: „Wir empfinden unsere Situation als privilegiert, weil das Kino ein historischer Ort ist und im Charlottenburger Kiez sehr geliebt wird. Es ist eng mit der persönlichen Lebensgeschichte verschiedener Generationen verbunden.“ Das Klick zeigt ein Blockbuster-unabhängiges Arthouse-Programm mit europäischen und Independent-Filmen, dazu Reihen und Sonderevents. Lars Eidinger kuratiert im Juli, es gibt Gespräche und Retrospektiven.

Reicht das? „Klar ist, dass es ohne weitere Förderung nicht gehen wird“, sagt Iris Praefke, Geschäftsführerin des Kreuzberger Moviemento-Kinos, das mit zwei Filmen von lokalen Filmemacher*innen startet: „Sonne im Herzen“ von Volker Meyer-Dabisch und „Wie wir einmal (fast) berühmt wurden“ von Christiane Nalezinski. Praef­ke sieht trotzig-zuversichtlich in die Zukunft und unterstreicht die ideelle Solidarität der Gutscheinkäufer*innen: „Wichtiger als finanzielle Hilfe ist das Signal unserer Gäste: Wenn ihr wieder da seid, kommen wir auch wieder.“ Das müssen nur alle tun. Hoffentlich regnet es jetzt ein paar Wochen.

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