Corona-Maßnahmen in Dänemark: Notlügen zum Shutdown?

Regierungshandeln unter der Lupe: Eine Kommission soll herausfinden, ob Ministerpräsidentin Frederiksen in der Krise falsche Maßnahmen getroffen hat.

Mette Frederiksen mit erstauntem Blick

Mette Frederiksen erließ Versammlungsverbote, bevor das Parlament zustimmte Foto: Ritzau/Scanpix/ap

TÄLLÄNG taz | Drei, zwei, zwei. So lauteten in Dänemark die jeweiligen Zahlen der Corona-Toten an den drei Tagen des Pfingstwochenendes. Insgesamt hat das Land pro 100.000 EinwohnerInnen weniger Corona-Tote zu beklagen als Deutschland. Die Zahl der Infizierten sinkt, obwohl Grundschulen und Kindergärten seit sechs Wochen wieder geöffnet haben, und seit drei Wochen auch das gesamte Handels- und Gastgewerbe. Außerdem gibt es in Dänemark wie im restlichen Skandinavien auch in Geschäften, Bussen und Bahnen keine Pflicht für Mund- und Nasenschutz, Regierungen und Gesundheitsbehörden aller nordischen Länder halten Masken für überflüssig.

Dänemark habe beim Zurückdrängen der Pandemie zweifelsohne Erfolg gehabt, doch es gebe einen „bitteren Beigeschmack“, erklärt eine Reihe skandinavischer Soziologen am Donnerstag in der Tageszeitung Jyllands-Posten. Sie warfen der Regierung in Kopenhagen ein überhastet zusammengeschustertes Maßnahmenpaket vor, „das Dänemark zum Preis unübersehbarer persönlicher, wirtschaftlicher und sozialer Kosten geschlossen“ habe.

Ob das wirklich so war, soll nun eine Expertenkommission klären. Auf deren Einsetzung verständigte sich vergangene Woche eine Parlamentsmehrheit, bestehend aus den rechten Oppositionsparteien und den linksliberalen „Radikalen“, die zur Regierungsgrundlage der sozialdemokratischen Minderheitsregierung gehören. Die Sozialdemokraten sträubten sich zunächst, stimmten dann aber jedenfalls nicht gegen den Beschluss.

In den kommenden Tagen soll der genaue Untersuchungsauftrag formuliert und die personelle Zusammensetzung geklärt werden. Für ihre Arbeit soll die Kommission Zugang zu allen internen Dokumenten erhalten, die Grundlage der Regierung bei ihren Lockdown-Entscheidungen waren.

Erst nachträglich segnete das Parlament die Verbote ab

Es war nicht alles seinen üblichen parlamentarischen Gang gegangen, nachdem sich in Dänemark zwischen dem 6. und 11. März die Zahl der Corona-Infizierten mehr als verzwanzigfachte. Sie mache nun etwas, was sie gar nicht dürfe, gestand damals Ministerpräsidentin Mette Frederiksen, als sie die ersten Versammlungsverbote erließ. Erst nachträglich wurde ihr das vom Parlament abgesegnet.

Übel nahm ihr das seinerzeit kaum jemand. Im Gegenteil wurde ihre Handlungskraft gelobt, obwohl sie binnen weniger Tage die einschneidensten freiheitsbeschränkenden Maßnahmen seit dem Ende des Zweiten Weltkrieg verkündete. Für die bezog sich Frederiksen ausdrücklich auf die staatliche Gesundheitsbehörde, die der Regierung all das empfohlen habe.

Das war aber nicht die Wahrheit. Im Gegenteil hatte die „Sundhedsstyrelsen“ sowohl die Grenzschließung als überflüssig abgetan als auch die Schließung von Schulen und Kindergärten als geradezu kontraproduktiv bewertet. Entsprechende Mails, die vergangene Woche öffentlich wurden, zeigen, dass der Gesundheitsbehörde von der Regierung eine Art Maulkorb verpasst worden war.

Es gelte nun nicht mehr das übliche Proportionalitätsprinzip, von politischer Seite werde ein „extremes Vorsichtigkeitsprinzip“ gewünscht, ließ das Gesundheitsministerium die Behördenleitung wissen. „Im Prinzip wurde von ihr gefordert, ihre Professionalität an den Nagel zu hängen und sich nach politischen Wünschen zu richten“, kritisiert Kent Kristensen, Lektor für Gesundheitsrecht an der Süddänischen Universität.

„Korruption ist auch ein globales Virus“

Das grundlegende Rechtsprinzip, dass nur die Maßnahmen getroffen werden sollten, „die angemessen und notwendig sind“, sei damit ausgehebelt worden, sagt Else Smith, ehemalige Direktorin der „Sundhedsstyrelsen“. Die außergewöhnlichen Vollmachten, die das Parlament der Regierung eingeräumt habe, seien damit eigentlich auf falscher Grundlage erfolgt, so Martin Geertsen, gesundheitspolitischer Sprecher der rechtsliberalen Venstre.

Ein weiterer Komplex, der untersucht werden soll, ist eine mittlerweile bekannt gewordene enge Einbindung einiger Wirtschaftskonzerne in den nationalen Krisenstab der dänischen Regierung. Wenn man sich Hilfe und Expertise beispielsweise der Reederei Mærsk und des Arzneimittelunternehmens Novo Nordisk geholt habe, sei das zwar möglicherweise vernünftig gewesen, weil die Behörden bestimmte Aufgaben offenbar nicht selbst schafften, sagte am Freitag Jesper Olsen von Transparency International. Doch sei fraglich, warum das nicht offen geschehen sei und Einzelheiten nun erst nach und nach durchsickern würden.

„Korruption ist auch ein globales Virus“, warnt Olsen. Unternehmen nutzten den Druck aus, unter dem Regierungen und Behörden stehen. Es könnten dann leicht „Gelder, die der Pandemie-Bekämpfung zugutekommen sollten, in den falschen Taschen landen“, sagt er. „Das muss gründlich evaluiert werden.“ Auch der Staatswissenschaftsprofessor Peter Munk Christiansen fordert: Das Zusammenspiel dieser privaten mit den öffentlichen Akteuren und alle insoweit getroffenen Beschlüsse müssten offengelegt werden.

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