Lockerungen der Corona-Restriktionen: Nicht ohne meine „Hytte“
Norwegen gehört zu den ersten Ländern Europas, die einen Zeitplan für Lockerungen präsentieren. Der Konflikt um die geliebten Ferienhäuser bleibt.
STOCKHOLM taz | Nach Österreich und Dänemark will nun auch Norwegen einen Teil der im März zur Pandemiebekämpfung beschlossenen Beschränkungen des öffentlichen Lebens lockern. An Tag 26 nach Einführung der ursprünglichen Restriktionen, die als die einschneidendsten der Nachkriegszeit gelten, bestehe „Grund zu vorsichtigem Optimismus“, erklärte die Regierungschefin. Die Gesundheitsbehörde hatte am Montag mitgeteilt, die Corona-Epidemie „unter Kontrolle“ zu haben, denn die Ansteckungsrate sei auf 0,7 gesunken.
Ministerpräsidentin Erna Solberg verkündete deshalb am Dienstag, welche Konsequenzen man daraus ziehen will. Ihre Koalition habe sich auf einen Zeitplan verständigt, der „allerdings etwas vorsichtiger und zurückhaltender ist, als es die Gesundheitsbehörde uns empfohlen hat“.
Konkret wolle man am 20. April die Kindergärten und Einrichtungen des Gesundheitswesens wieder öffnen. Auch Psychologen und Physiotherapeuten dürften dann ihre Tätigkeiten wieder aufnehmen, Friseure und andere Körperpflegebetriebe folgen spätestens am 27. April. Danach sollen schrittweise alle Schulen, Hoch- und Fachschulen wieder öffnen.
Gleich nach Ostern sollen sich die gänzlich auf die Versorgung von Corona-Patienten ausgerichteten Krankenhäuser wieder auf einen Normalbetrieb vorbereiten. Die Versammlungsbeschränkung auf maximal fünf Personen gelte dagegen weiterhin, weshalb alle Sport- und Kulturveranstaltungen mit Publikum bis zum 15. Juni abgesagt würden. Spätestens in der ersten Maiwoche will man darüber erneut entscheiden.
Kritik am „Hytte“-Verbot
In der jetzt anstehenden Phase werde es wichtig sein, mehr zu testen und schnell und konsequent zu isolieren, erklärte Solberg. „Wir arbeiten daran, hierfür die Voraussetzungen zu schaffen.“ Und sie betonte auch: „Wenn das nicht klappt, werden wir sofort wieder Beschränkungen einführen.“
Professor Dag Jacobsen, Chef der Intensivmedzin am Osloer Universitätskrankenhaus Ullevål, spricht von einem „guten Plan“. Es gebe einen akzeptablen Ausgleich zwischen den Bedürfnissen der Bevölkerung und der Sicherheit bei der weiteren Corona-Bekämpfung.
Kritik gab es von Medien, Kommunalpolitikern und Medizinern jedoch zu einem Detail des Zeitplans: Dem „Hytte“-Verbot. Viele norwegische Familien haben in den Bergen oder am Meer ihr Ferienhaus („hytte“). Oslo hatte ein Verbot mit Strafandrohung erlassen, in diesen Häusern zu übernachten. Da diese Häuschen oft in ländlichen Gegenden mit eingeschränkter Gesundheitsversorgung liegen würden, gebe es bei einem Aufenthalt die Gefahr einer Überbelastung der dortigen Kapazitäten.
Umfragen hatten gezeigt, dass es den Norwegern angesichts aller Corona-Einschränkungen am schwersten fiel, dieses „Hytteförbud“ zu akzeptieren. Auch Infektionsmediziner wie Preben Aavitsland, WHO-Ratgeber und Präsident des norwegischen Epidemiologenverbands, hatten dieses Verbot als „Blödsinn“ und „unnötig und unverständlich“ abgetan.
Die meisten Norweger hatten sich wohl oder übel darauf eingestellt, auf den gewohnten Osteraufenthalt in ihrer „Hytte“ verzichten zu müssen. Dass Solberg nun zwei Tage vor Osterferienbeginn ankündigt, dass dieses Verbot ab dem 20. April nicht mehr gelten soll, ruft Unmut hervor – warum erst dann, und nicht jetzt schon? Ein Rundfunkkommentator konstatierte: Wer solle das Verbot denn bitte jetzt noch verstehen und auch noch akzeptieren? Solberg sei an der wichtigsten kommunikativen Herausforderung ihrer bisherigen Politikerlaufbahn gescheitert.