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Es fehlt was

Die Erfahrungen mit dem digitalen Homeschooling sind nicht nur schlecht, und auch die kleinen Klassen haben Vorteile: Besuch bei drei Hamburger Stadtteilschulen, die ihre Kinder nun stundenweise zurückholen

Von Kaija Kutter

Es zieht im Büro von Schulleiterin Maike Schubert. Die Fenster im alten Rotklinkerbau der Reformschule im Hamburger Stadtteil Winterhude sind weit offen – zum Schutz gegen Viren in der Luft. Die rechte Wand dominiert ein blauer Flachbildschirm. Begeistert erzählt die Pädagogin von den ersten Tagen der Schließung. „Wir hatten innerhalb kürzester Zeit die virtuelle Schule.“

Alle Lehrer zogen mit, machten eine Ein-Tages-Fortbildung für ein Kommunikationsprogramm. Alle Schüler meldeten sich an. Das Ergebnis zeigt sich in 27 bunten Kästchen auf dem Bildschirm. Es gibt Teams für die Lehrer, für die Elternsprecher, Teams für die Klassen. Fast alle Schüler besitzen Smartphones, darauf lässt sich das als App installieren.

Ihre Schule sei weit vorn bei der Digitalisierung, sagt die Schulleiterin. Als die Pandemie ausbrach, war die Schule kurz davor, „elternfinanziert“ für jedes Kind ein iPad anzuschaffen, um die Software sollte sich die Schule kümmern. „So ein Gerät gehört zu Schülerausstattung dazu“, sagt Schubert. Für Kinder, die keines haben, gibt es in Winterhude Leihgeräte.

Nebenan, zwei Türen weiter, findet „hybrider Unterricht“ in Englisch statt. Sechs Kinder der jahrgangsübergreifenden Klasse „5–7 f“ sitzen mit Abstand an ihren Tischen, drei haben ein Smartphone, drei einen Laptop vor sich. Am Pult trägt Lehrerin Verena Kunath ein weißes Headset. Sie guckt konzentriert auf ihr Notebook und begrüßt nach und nach weitere zehn Schüler, die zu Hause an ihren Geräten sitzen.

Dann liest Kunath mit melodischer Stimme vor aus dem Buch „The lost diary of Sami Star“. Die Kinder hören nur zu und lesen nicht mit. Es folgt ein Test in Spielform nach Vorbild von „Wer wird Millionär“. Die Lehrerin stellt Fragen zur Geschichte, die auf dem großen Klassenbildschirm erscheinen und für die es vier mögliche Antworten gibt. Die Schüler zu Hause raten mit.

Als die Lehrerin am Ende Zettel verteilt, sollen die Kinder wie in Samis Tagebuch ihre schönsten Erlebnisse der Woche beschreiben. Anschließend wird das Ergebnis in Gruppen besprochen. Drei Kinder setzen sich in der Klasse mit Abstand zusammen, drei weitere besprechen sich mit Schülern im Netz. Zum Abschluss werden noch drei Schüler einzeln aufgerufen. Es ist erst der zweite richtige Schultag nach dem wochenlangen Zuhausesein. Und obwohl dieser Abstand-Unterricht etwas steif wirkt, sagen die Kinder danach: „Es ist viel besser in der Schule als zu Hause.“

Die Schule am Stadtpark legt sowieso schon Wert auf eigenständiges Lernen. „Kulturelles Basiswissen“, kurz „Kuba“, lernen die Schüler in Deutsch, Mathe und Englisch im eigenen Tempo in „Bausteinen“. „Es ist nicht so, dass sie alle perfekt sind“, sagt die Rektorin. Aber grundsätzlich hätten auch Schüler und Eltern den Anspruch, selbstständig zu lernen. Dafür gebe das digitale Lernen einen Schub.

„Wir haben Schüler, die sagen: Au ja, lass mich so weitermachen. Ich lerne viel besser zu Hause als in der Schule.“ Es gebe aber auch Schüler, die die soziale Gruppe brauchen. „Denen fehlt das total.“ Doch in den Klassen säßen die Schüler sonst eng aufeinander, „das fällt jetzt auf, wo wenig da sind“. Für die Zukunft könnte Schubert sich vorstellen, dass man Anwesenheit individueller handhabt und „diejenigen, die gut zu Hause lernen, Gelegenheit bekommen, das zu tun“.

Kommunikation per Rauchzeichen

Auch der Altbau für die Oberstufe der Max-Brauer-Schule in Altona ist gut gelüftet, die Tür weit offen. Es herrscht in den Fluren Maskenpflicht. Lehrer Marne Benedetti nimmt den Schutz auch während des Gesprächs im zugigen Besprechungsraum nicht ab. Es gibt Wasser aus Tassen. Deutschlehrerin Silke Jessen muss bald in den Präsenzunterricht, ihre 10. Klasse verabschieden.

Was in Winterhude „Kuba“ ist, heißt hier „Lernbüro“. Das bedeute, dass in Deutsch, Englisch und Mathe die meisten Schüler auch ohne Präsenzschule „wussten, was zu tun ist“, so Englischlehrer Benedetti. „Sie hatten ihre Kompetenzraster und ihre Checklisten und wir stellten Material, mit dem sie sich beschäftigen konnten.“ Die Schüler seien teils schneller vorangekommen als in der Schule, ergänzt seine Kollegin Silke Jessen.

Anders als in Winterhude lief die Kommunikation an der Max-Brauer-Schule auf vielen Wegen. „Bis hin zum Rauchzeichen haben wir alles gemacht“, sagt Benedetti. Kontrollen gab es auch. Teils mussten Schüler ihr Ergebnis bis 14 Uhr mit dem Handy knipsen. Die Schüler erwarben Medienkompetenz, sagt Jessen. Und einige machten große Fortschritte im Stoff. „Sie sagen: Was fehlt, ist das Korrektiv. Das schnelle Feedback.“ Normal gibt es dazu „runde Tische“.

Nun, da die Schüler wiederkämen, seien alle froh. Aber in der Klasse müsse Abstand sein, die Schüler säßen frontal. Deshalb stoße das Konzept an Grenzen. „Es ist ja nicht mal möglich, ein Arbeitspapier auszutauschen“, sagt Jessen. Manche Kollegen machten deshalb Gruppenarbeit lieber digital. Benedetti sieht wegen des Drucks der Kinderärzte die Gefahr, dass die Schulen zu schnell wieder ganz öffnen. Er trage die Maske auch im Unterricht.

Im Halbstundentakt zum Gespräch

Das Haupthaus der Stadtteilschule Horn ist ein moderner Schulbau. Die grünen Türen sind zu. Der Hausmeister öffnet. Das gehöre zum Sicherheitskonzept, erklärt Schulleiter Thorsten Nehls. Die Schüler werden einzeln abgeholt. Im Nachbarhaus sind sogar Ein- und Ausgang getrennt. Nehls hat ein kleines Programm gestrickt, im Halbstundentakt kommen Lehrer, Elternvertretung und Schüler zum Gespräch.

„Kaffee?“, fragt Lehrer Gökhan Iscan. Ach nee, das gehe ja nicht, wegen der Risikos müsse sich jeder selbst bedienen. Die Tische stehen mit Abstand. Auch im Unterricht müssen Lehrer und Schüler zwei Meter Distanz wahren.

Die Vorsicht ist nachvollziehbar: Erst am Freitag hatte das Gesundheitsamt einen Schüler positiv auf das Virus getestet, nachdem ein Verwandter positiv war. Nun ist der Schüler zu Hause. „Das Gesundheitsamt sah keinen Anlass zu drastischen Maßnahmen wie Schulschließung“, sagt Nehls.

Die Stadtteilschule hat Sozialindex 2, was heißt, hier leben auch ärmere Familien. In Horn gibt es statt Lernbüros traditionellen Fachunterricht, ergänzt durch Projektunterricht. Schulleiter Nehls sagt, dass alle Schulen unanhängig vom Konzept jetzt auf einen schwierigen Start zurückgeworfen sind. „Unsere Schüler brauchen den Lehrer, dem sie konkrete Fragen stellen können.“

Die Lehrer Gökhan Iscan und Patrick Prinz erinnern sich an die Schulschließung im März. Die meiste Kommunikation ging über Textnachrichten am Smartphone. „Am Anfang brachten wir unseren Schülern bei, wie man eine App installiert“, erinnert Iscan. In seiner 7. Klasse haben 20 Prozent kein Smartphone, weshalb er erst mal eine Elterngruppe einrichtete, damit die Kinder deren Geräte nutzen. „Wir haben auch Sachen per Post verschickt und Hausbesuche gemacht.“ Zu einem Kind sei er dreimal hingefahren, bevor sich dessen Verbleib klärte.

Schüler sollten Handyfotos ihrer Aufgaben schicken. Die zu lesen sei mühsam, sagt Iscan. Er schickte den Kinder Sprachnotizen mit Hinweisen zu den Fehlern. Das sei praktisch, weil die Kinder es immer wieder abhören können, aber auch viel Arbeit. „Eine Inhaltsangabe lasse ich normalerweise von drei Schülern vor der Klasse vorlesen und gebe Rückmeldung. So musste ich zu 26 Inhaltsangaben 26 Rückmeldungen geben“, sagt er. „Das dauert 260 Minuten. Generell kriegt man das gar nicht hin.“

Prinz hat seinen Sechstklässlern die Fehler auf den Handyfotos korrigiert und dazu angerufen. „Die freuten sich, unsere Stimmen zu hören.“ Als Leistungsnachweis zählten auch Videos. Dabei war Iscan ziemlich streng. Um zu beweisen, dass sie eine Ballade wirklich auswendig konnten, sollten Schüler sie mit geschlossenen Augen vortragen.

Nun gibt es wieder Unterricht. Die Klassen 5 bis 8 haben in Horn sogar drei Mal die Woche für zwei Stunden Schule in Gruppen zu acht. Die übrige Zeit lernen sie zu Hause mithilfe des „digitalen Klassenzimmers“. Manche kämen dabei gut voran, sagt Prinz. Auch solche, die sonst verhaltensauffällig seien.

Ein Nachteil sei, dass Schülern die Tagesstruktur fehle, sagt Iscan. Das habe er gemerkt, als er sie wiedersah. „Einige Schüler guckten durch mich durch. Ich konnte sofort sehen, wer am PC gezockt hat.“

Die Entdeckung der kleinen Gruppen

Was man für die Zukunft lernt? „Meine Lieblingsvorstellung ist, dass die Gruppengrößen so bleiben“, sagt Iscan. „Acht, neun Schüler, das ist wirklich angenehm.“ „Man könnte auch in Zukunft zeitweise kleine Gruppen behalten und durch digitalen Fernunterricht ergänzen“, sagt Prinz.

Die Elternratsvorsitzende Melanie Hille kommt dazu. „Im Ganzen lief es super.“ Klassenlehrer hätten schnell Kontakt zu den Schülern aufgebaut. Aber einige kritische Punkte gebe es schon. Lehrer seien teils nicht erreichbar gewesen, und „Kinder, die gut waren, sind im Homeschooling teilweise abgerutscht“, sagt Hille. „Auch haben Eltern die Aufgaben für ihre Kinder gemacht.“ Damit es Chancengleichheit gibt, müsse man schnell zur Normalität zurück. Die Flüchtlingskinder zum Beispiel blieben sonst „teilweise auf der Strecke“.

Schülerin Nina aus den 7. Klasse setzt sich an einen der Tische, auch Vanessa aus der 11. kommt rein. Die beiden berichten, dass es teilweise zu viele Aufgaben gab. „Wir wurden bombardiert mit Material“, sagt Vanessa, als Klassensprecherin habe sie da ein klärendes Wort mit Lehrern geführt.

Elternrätin Hille regt an, dass man über Klassenstrukturen nachdenkt. „In kleinen Gruppen geht man viel mehr auf die Kinder ein.“ Nina pflichtet bei. Früher hätten manche gestört. „Jetzt ist es so ruhig, und man kann sich konzentrieren.“

Trotzdem möchten beide Schülerinnen wieder in ihrer alten Klasse lernen. „Je mehr Leute da sind, desto mehr Ideen und Ergebnisse gibt es“, sagt Vanessa. „Ich wünsche die alte Schule und das normale Leben zurück.“

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