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Der Glanz vom Hermannplatz

Großstadt, Weltstadt, Karstadt:So bewarb der Warenhauskonzern in den 20er Jahren seinen Neubau am Hermannplatz. Den will der neue Eigentümer wiedererstehen lassen. Anwohner und Bezirkspolitiker fürchten soziale Veränderungen

Mit eigenem U-Bahn-Zugang und Dachterrasse: der Karstadt-Bau am Hermannplatz auf einer Fotopostkarte aus den 1930er Jahren Foto: akg-images

Von Jonas Wahmkow

Möchten Sie gegen den Abriss von Karstadt unterschreiben?“ Zwischen der Schaufensterfassade des Kaufhauses am Hermannplatz und einer Kartoffelpufferbude an der Hasenheide haben Niloufar Tajeri und ihre Mitstreiter*innen von der Initiative Hermannplatz ihren Infostand aufgebaut. Jeden Donnerstagnachmittag stehen sie hier und sammeln Unterschriften gegen die Pläne des österreichischen Immobilienkonzern ­Signa. Einige Passant*innen winken ab, doch ein älterer Mann mit Pferdeschwanz hat Interesse. Die Aktivist*innen brauchen keine Überzeugungsarbeit zu leisten, der Mann greift direkt nach dem Stift. „So ein Schwachsinn“, kommentiert er mit kratziger Stimme die Pläne des Investors, während er die Liste unterschreibt.

Ginge es nach dem österreichischen Milliardär René Benko und der von ihm gegründeten Signa-Group, würde das alte Karstadt-Gebäude hier an der Grenze zwischen Kreuzberg und Neukölln komplett abgerissen. Das funktionale Gebäude mit der Front aus Glas und grauem Beton soll einer Replik des historischen Art-déco-Monumentalbaus aus den 20er Jahren weichen. Berichten zufolge will Signa 450 Millionen Euro für den Neubau investieren. Die Karstadt-Filiale soll erhalten, aber nicht vergrößert werden. Für die erweiterte Fläche, die mit dem Neubau gewonnen würde, plant Signa eine bisher nicht festgelegte Mischnutzung. Noch gibt es weder Bebauungsplan noch Bauantrag. Doch Signa ist beharrlich – und will zunächst vor allem politische Widerstände aus dem Weg räumen.

Die Ankündigung der Pläne Anfang 2019 hatten zunächst für Entzücken bei Politik und Medien gesorgt. Von „architektonischem Glanz“ war die Rede, der am Hermannplatz wieder erstehen solle. Die Konzeptzeichnungen des von Signa beauftragten Star-Architekturbüros David Chipperfield Architects zeigen die hochstrebende Fassade mitsamt Türmen, auf der Dachterrasse tanzen Pärchen im Abendlicht.

Glanzvoll ist am Hermannplatz derzeit nur wenig. Mehrere große Verkehrsadern laufen hier zusammen, die rechteckige Fläche dazwischen wirkt, von mehrspurigen Straßen umringt, eher wie eine verbreiterte Mittelinsel mit U-Bahn-Ausgang. Und tanzende Pärchen gibt es nur in Form von Joachim Schmettaus Bronzeskulptur, die etwas verloren in der Mitte des Platzes steht. Drumherum sorgen Marktbuden für geschäftiges Treiben, auch Trinker*innen und Drogensüchtige finden hier Zuflucht. Die Polizei stuft den Platz als kriminalitätsbelasteten Ort ein, an dem sie auch ohne Begründung Kontrollen durchführen darf.

Neuköllns Bürgermeister Martin Hikel (SPD) sieht deshalb in Signas Engagement eine Chance für den Bezirk: „Grundsätzlich begrüßen wir die Pläne“, sagt er der taz, „Karstadt kann langfristig erhalten werden und der Hermannplatz wird belebt.“ Der spektakuläre Neubau hätte eine Magnetwirkung für viele Berliner*innen außerhalb des Bezirks, gleichzeitig könne in Abstimmung mit Signa in dem Gebäude „etwas für die umliegenden Quartiere erreicht werden“. Außerdem sei das eine willkommene Gelegenheit, den Hermannplatz umzugestalten. „Wenn nicht gerade Markt ist, bietet der Platz wenig Aufenthaltsqualität“, so Hikel, man sei „umringt von Blech“.

Gegenüber von Karstadt auf der anderen Seite des Platzes betreibt Arno Finkelmann ein Geschäft für Damenmode, seit über fünfzig Jahren. Eine ältere Frau mit Mundschutz guckt sich im Geschäft um, ansonsten ist es ruhig. Auch Finkelmann sieht Signas Umbaupläne positiv. Er hofft, dass der Neubau neue Kundschaft für seinen Laden bringt: „Karstadt war nie Konkurrent“, so der Ladeninhaber, „wichtig ist, dass das, was da hinkommt, funktioniert.“

Doch das geplante Zwanziger-Jahre-Revival sorgt im migrantisch geprägten Neuköllner Norden auch für Unbehagen. „Diese Rekonstruktion ist eine konservative und nostalgische Art, in die Vergangenheit zurückzuschauen, da schwingen viele Dinge mit, die mir nicht gefallen“, erinnert sich Niloufar Tajeri an ihre erste Reaktion auf Sig­nas Pläne. „Gerade in diesem Kiez hat das eine besondere Tragweite.“

Ein „Landmark-Building“

Tajeri ist Architektin und beschäftigte sich auch wissenschaftlich mit Architektur und Gentrifizierung. „Neukölln ist extrem von Verdrängung und Aufwertung betroffen“, sagt sie. Zwischen 2007 und 2018 stiegen die Mieten im Norden des Bezirks laut einer Erhebung des Portals Immobilienscout24 um 146 Prozent: der höchste Anstieg in ganz Berlin, und das, obwohl die Bewohner*innen hier überdurchschnittlich oft arm sind.

„Die Angst ist, dass mit dem Neubau eine weitere Welle in Gang gesetzt wird, die auch noch die letzten Verbliebenen verdrängt“, fasst Tajeri die Sorgen vieler Anwohner*innen zusammen. Gefährdet sind nicht nur sie: Wenn die vergrößerte Geschossfläche des Neubaus dafür genutzt wird, noch mehr Einzelhandel anzusiedeln, könnte das die Konkurrenz für die umliegenden Geschäfte verstärken. „Eine weitere Mall können wir dort nicht gebrauchen“, sagt auch Bürgermeister Hikel, „entscheidend ist, was innen umgesetzt wird.“

Doch selbst wenn Signa keinen einzigen zusätzlichen Quadratmeter Gewerbefläche schaffen würde, würde der Neubau die Aufwertungsspirale befeuern. Denn bei einer Rekonstruktion des alten Monumentalbaus würde am Hermannplatz nicht nur ein Einkaufszentrum, sondern ein neues Wahrzeichen entstehen. Solche Wahrzeichen, in Immobilienkreisen auch „Landmark-Buildings“ genannt, erhöhen die Attraktivität weit über die Grenzen eines Quartiers hinaus. Die Folge sind steigende Boden- und Immobilienpreise, da die Nähe zur Landmarke wertsteigernd ist.

Ikonische Landmarken sind das Kerngeschäft der Signa Prime Selection AG, die auch den Neubau am Hermannplatz plant. Die Prime Selection AG ist das Aushängeschild von Benkos Firmengeflecht, in ihrem Portfolio finden sich das KaDeWe in Schöneberg, der geplante Elbtower in Hamburg und sogar das Chrysler Building in New York. Durch den „Landmark“-Status kann Signa nicht nur höhere Mieten verlangen, sondern erzielt vor allem Gewinne durch steigende Immobilienwerte. Sig­na selbst wirbt online mit der „großen Strahlkraft“ seiner Immobilien. Auch deshalb dürfte eine bloße Sanierung des alten Gebäudes wenig attraktiv für den Investor sein. Interviewanfragen der taz dazu ließ Signa unbeantwortet.

Verheerend kann diese Strahlkraft vor allem für das mietrechtlich kaum geschützte und rund um den Hermannplatz vor allem migrantische Kleingewerbe sein: „Wir brauchen uns nur den Kottbusser Damm anzuschauen, da hat ein Laden nach dem anderen zugemacht, weil damit spekuliert wird, dass die nächsten Mieter das Dreifache zahlen“, sagt Tajeri. „Ein so großes Projekt kann diese Entwicklung auf einen Schlag auch für die Karl-Marx-Straße und die Sonnenallee in Gang setzen.“ Noch sind dort Afro- und Asia-Shops, Modegeschäfte, die Hidschabs und Brautmode anbieten, Shishabars und arabische Supermärkte ein allgegenwärtiger Anblick.

Seit über zehn Jahren wohnt die Aktivistin selbst in Neukölln. „Ich bin hier bewusst hergezogen, hier gibt es eine migrantische Community, in der ich mich wohl fühle“, sagt sie. Doch mit dem Verlust des Kleingewerbes drohe diese wichtige Bezugspunkte zu verlieren. Die Bewohner*innen entfremden sich von ihrem eigenen Viertel. „Verdrängung hat viele Dimensionen“, erklärt Tajeri.

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