Die Krisengewinnler

Corona hat die CDU in Umfragen zur stärksten Berliner Partei gemacht. Ein neues Image soll dabei helfen, dass das auch nach der Abgeordnetenhauswahl 2021 so bleibt

Kai Wegner, Chef der Berliner CDU: Die bunten Zeiten sind vorbei Foto: Michael Kappeler/dpa/picture alliance /taz Bearbeitung

Von Stefan Alberti

Wäre Kai Wegner ein tief grüblerischer Mensch, er hätte jetzt ein Problem. Ein Dreivierteljahr hat hat er als neuer Chef der Berliner CDU alles versucht, seine Partei nach vorn zu bringen, mit viel Einsatz, aber weitgehend ohne Erfolg. Ein fieses Virus hingegen bringt die CDU binnen wenigen Wochen in Umfragewerten dorthin, wo Wegner sie auch nach der Abgeordnetenhauswahl 2021 sieht: auf Platz 1 als stärkste Partei in Berlin. Grüblerisch wirkt Wegner aber nicht, und so kann er sich schlicht an Worte eines verstorbenen Großen seiner Partei halten: „Entscheidend ist, was hinten rauskommt.“ Ein neues Auftreten gibt es dennoch – und eine neue, alte Parteifarbe.

Es ist an diesem Montagmorgen auf einer Holzterrasse an der Spree exakt 365 Tage her, dass Wegner den Parteivorsitz übernommen und die vormalige Chefin Monika Grütters abgelöst hat, die im Hauptjob die Kulturstaatsministerin im Kanzleramt ist. Die hätte eigentlich weitermachen wollen, verzichtete aber schließlich auf eine erneute Kandidatur. Zu klar war, dass Wegner bereits eine Mehrheit der Parteitagsdelegierten hinter sich gebracht hatte. Zu verbreitet war das Gefühl: Grütters, „die Moni“, sei zwar in ihrem Ministeramt ein großer Gewinn für Berlin. Aber für den ganz banalen Alltag der Stadt mit den Themen Sicherheit, Verkehr und Wohnen brenne sie einfach nicht.

Wegner glich fortan einer losgelassenen Spiralfeder, spulte als neuer Landesvorsitzender Termin um Termin ab und zeigte dabei stets das, was Parteifreunde bei solchen Anlässen bei Grütters vermissten: Er brannte dafür – er fragte, guckte, hörte zu, kannte sich aus, zeigte Interesse. 300 Termine soll er in seinen ersten 100 Chef-Tagen absolviert haben.

Überraschendes gab es schon da: Beim Kleinen Parteitag Mitte November stellte Wegner den Umweltschutz in den Mittelpunkt. 13 Seiten Ökoprogramm mit einem „Tempelhofer Wald“ auf dem Ex-Flughafengelände als auffälligster Forderung machten die Runde, Nachhaltigkeit beanspruchte Wegner glatt mal als urkonservatives Thema für die CDU.

Doch in den Meinungsumfragen zahlte sich das nicht aus. Auf 17 Prozent war die CDU schon kurz vor seiner Wahl zum Parteichef abgesackt. Danach ging es sogar auf 15 runter, ihren schlechtesten Wert aller Zeiten, und in immerhin elf weiteren Umfragen änderte sich daran wenig. 16 Prozent waren es schließlich Mitte Februar, bis auf müde 18 hatte es die Partei zwischenzeitlich mal geschafft.

Ende April aber, nach eineinhalb Monaten Corona-Shutdown, ohne dass die Berliner CDU in dieser Zeit sonderlich auffällig gewesen wäre, lag sie plötzlich bei 23 Prozent und vorne. Es ist genau der Zeitraum, in dem die Zustimmungswerte für die Kanzlerin und in ihrem Kielwasser auch für die CDU zu boomen begannen und selbst Grünen-Politiker Angela Merkel lobten. Auch Christdemokraten bestreiten inoffiziell nicht, dass es das gute Standing von Merkel samt Kabinett in der Coronakrise ist, von dem auch der Berliner Landesverband stark profitiert.

Das ist der zahlenmäßige Hintergrund, vor dem Kai Wegner an diesem Montagmorgen ein neues Parteilogo vorstellt. Der tatsächliche besteht auf dieser Holzterrasse am Kreuzberger Spreeufer aus Mercedes-Arena, East Side Gallery und Oberbaumbrücke. Mittendrin in Berlin sei man, und genau hier verortet Wegner auch die CDU. Das lässt zuhörende Journalisten dann doch widersprechen. Hier? Im Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg, wo die CDU bei der Abgeordnetenhauswahl 2016 noch nicht mal 8 Prozent holte?

Doch Wegner gibt sich sicher: Mit einer neuen Sprache und anderer Art zu kommunizieren soll seine Partei auch hier punkten. Eine Werbeagentur haben die Christdemokraten engagiert, eine vorwiegend digitale Kampagne erarbeitet – „#aufgehtsberlin“ – und das Parteilogo radikal geändert. Auf tiefem Schwarz stehen die drei CDU-Buchstaben nun in Orange. Schwarz stehe für modernen Konservatismus, heißt es, verstärkt durch „das lebensbejahende Orange“. Mit der Bundes-CDU sei das nicht abgestimmt. Weil die Journalisten teils älter sind als der 47-jährige Wegner, kommt ihnen das gar nicht so neu vor – weil schon früher die Christdemokraten immer „die Schwarzen“ waren. Und der Parteinachwuchs Junge Union hatte unter dem Slogan „Black is beautiful“ auch mal schwarze Kondome im Angebot.

Aber laut Wegner und Evers musste diese Veränderung sein, auch in der Sprache. Man will festgestellt haben, dass man zwar gute Inhalte hatte, aber die Leute nicht erreichte. „Die CDU hat sich ja schon länger neu erfunden, hat aber nicht die richtige Sprache gefunden“, sagt neben Wegner der Chef jener Agentur, die schon das Image der BSR aufpeppte und nun für die CDU Logo und Werbeslogangs entwickelt hat. Dabei brauche man hier doch bloß ein paar Mal Taxi zu fahren, um das mitzukriegen. Das muss jetzt hart sein für einen wie den 2016 abgetretenen langjährigen Parteichef Frank Henkel: Er gab mehr als andere in seiner Partei auf Basisbindung, und das nicht nur, weil er in seine Sätze schon mal Urberlinerisches wie „Budiker“ oder „Molle“ einbaute.

Zur neuen Ansprache gehört der Slogan: „Einmal Kiez mit alles“

Zur neuen Ansprache gehört ein mehrfach eingeblendeter Slogan, der für die neue CDU stehen soll: „Einmal Kiez mit alles“. Der muntere Verzicht auf den eigentlich angesagten Dativ will nicht richtig passen zu der gleichfalls vorgetragenen Kritik an rot-rot-grüner Bildungspolitik: „Berlin braucht bessere Schulen – kann ja nicht jeder Politiker werden“, steht auf T-Shirts, die junge CDU-Helfer auf der Terrasse tragen. Ironisch soll das sein, heißt es.

Dieser Kiez, der alles umfasst, ist in der CDU-Abbildung eine Dönertasche mit einem Fahrrad darin, dem Fernsehturm, einem Radio und einem Bierglas – aber keinem Auto. Lässt die Parteiführung da bei ihrem „radikalen Bruch“, wie Generalsekretär Stefan Evers es nennt, nicht ihre Stammwähler zurück? Läuft die CDU etwa den Grünen hinterher? Natürlich nicht, versichert Wegner, „wir werden nicht grün, wir wollen ja was bewegen.“

Und dann sind da noch „Guerilla-Aktionen“, die Evers ankündigt. Viel mag er nicht sagen, der Überraschung wegen: „Es wird frech, es wird mutig, es wird provokant sein.“ Der Berliner Stadtrand-Christdemokrat als Parteigänger von Guerilleros ist in diesem Moment noch nicht wirklich vorstellbar – es fehlte bloß noch, dass Evers Che Guevara zitiert und ein „Hasta la victoria siempre“ hinterhergeschickt hätte.

Voraussichtlich am 6. Juni können die rund 12.000 CDU-Mitglieder selbst sagen, was sie davon halten – dann soll die erste digitale Mitgliederversammlung des Landesverbands den eigentlich zu diesem Datum geplanten Parteitag ersetzen. Wer diese Mitglieder 2021 als Spitzenkandidat in die Wahl und nach Wegners Willen in Regierungsverantwortung führen soll, lässt der Parteichef weiter offen – das kläre man am Jahresende.