„Er spürt den Vibe nicht“

Mit gestreamten Live-DJ-Sets und -Konzerten sammelt die Berliner Clubcommission Spenden für Clubs
in der Krise. Doch das allein reicht nicht, wie ihr Pressesprecher Lutz Leichsenring im Gespräch erläutert

Ein DJ-Set ohne Publikum mit DJ Malin im Club Sage Beach Foto: Britta Pedersen/dpa/picture alliance

Interview Jens Uthoff

taz: Herr Leichsenring, Clubs wie das Sisyphos, das Sage Beach und das About Blank haben ihre Außenflächen wieder geöffnet oder öffnen sie bald. Deutet sich für die Clubszene eine Entspannung der Lage an?

Lutz Leichsenring: Nein, das kann man nicht sagen. Die Außenflächen der Clubs werden eher umgenutzt. Früher waren dort Open-Air-Dancefloors, jetzt werden Biergärten oder Pizzastände eröffnet, damit man den Leuten überhaupt irgendetwas anbieten kann. Aber vielleicht kann man das Angebot mit den Erfahrungen, die man nun sammelt, kontinuierlich erweitern und bald auch wieder Musikformate veranstalten.

Die Clubcommission hat mit gestreamten Live-DJ-Sets und -Konzerten („United We Stream“) allein für die Berliner Clubs mehr als 450.000 Euro Spenden eingesammelt. Überrascht Sie der Zuspruch?

Das ist ein großer Erfolg für uns. Live schauen bis zu 10.000 Menschen zu, und einige Sets sind insgesamt weit über 100.000-mal abgerufen worden. Zu Beginn hatten wir überhaupt keine Vorstellung davon, wie viel Geld wir darüber wohl einspielen können. Insgesamt sind über die Plattform nun fast eine Million Euro Spenden in den verschiedenen Städten zusammengekommen. Das Projekt wurde ja schnell ausgeweitet – nach Berlin und Hamburg machen nun auch Clubs aus Leipzig, Dresden, Köln, Stuttgart, Amsterdam, Belgrad, Detroit und vielen weiteren Städten mit. Was in Manchester gerade passiert, ist auch toll: Dort streamen DJs und Produzenten House-Music-Sets aus den Clubs, die sich bis zu 2 Millionen Leute anschauen und -hören auf unitedwestream.co.uk. Manchester hatte mit der Haçienda ja einen der ersten und wichtigsten House-Clubs in Europa, diese Tradition lassen sie jetzt wieder aufleben.

Wie ist es für Sie, DJ-Sets in leeren Clubs aufzunehmen?

Es ist eher ein trauriges Bild, wenn man vor Ort ist. Das ist ja auch keine Clubkultur, das ist eine Fernsehproduktion. Da stehen ein paar Kameras um den DJ herum, und der kann sich nicht auf sein Publikum einstellen, weil er es nicht sieht. Er spürt den Vibe nicht, den er kreiert.

Foto: Clubcommission

Lutz Leichsenring, 41, ist Pressesprecher der Clubcommission Berlin e. V.

Diese Streamings sind hochkarätig besetzt: Ellen Allien, Helena Hauff, DJ Hell und viele weitere Künstler:innen haben bereits teilgenommen.

Wir wollen vor allem die Vielfalt der Clubkultur abbilden, an manchen Tagen machen wir bewusst auch ein sehr nischiges Programm, was dann zwar auf Kosten der Viewer-Zahlen geht, uns aber sehr wichtig ist, um der gesamten Berliner Szene eine Plattform zu bieten.

Die Summe, die Sie eingespielt haben, ist für die Clubs trotzdem nicht existenzrettend. Es gibt Soforthilfepakete (II, IV, V), auf die Clubbetreiber potenziell Anspruch haben. Reichen die aus?

Bei den meisten Clubs, bei denen die Soforthilfepakete IV oder V greifen, kehrt wohl bis September oder Oktober ein bisschen Ruhe ein – den Eindruck hatte ich zuletzt bei persönlichen Gesprächen. Aber ein großes Problem ist, dass man nicht weiß, wie lange das noch so weitergeht. Ist eine Wiedereröffnung Ende des Jahres realistisch? Oder sprechen wir von Frühjahr 2021? Das ist alles spekulativ. Auch wenn sich alle jetzt als Epidemiologen und Virologen aufspielen – ich maße mir es nicht an, Vorhersagen zu treffen.

Gibt es Clubs, die durch alle Raster fallen, bei denen staatliche Hilfen nicht greifen?

Die Clubcommission ist der Interessenverband der Berliner Clubszene, er wurde im Jahr 2001 gegründet. Die Clubcommission vertritt ca. 250 Clubbetreiber*innen und Veranstalter*innen.

Zu Beginn der Coronakrise hat die Clubcommission gemeinsam mit weiteren Akteuren der Berliner Clubszene und Fernsehsendern das Format „United We Stream“ ins Leben gerufen, um Spenden für die Clubkultur zu sammeln. Bei „United We Stream“ werden jeden Abend DJ-Sets und Konzerte aus verschiedenen Clubs bei Arte Concert und via YouTube übertragen. Nachdem die Reihe in Berlin und Hamburg erfolgreich gestartet ist, sind inzwischen deutschland- und weltweit viele weitere Städte hinzugekommen.

Ja, eine Lücke gibt es noch. Für die Soforthilfepakete IV und V sind mehr als zehn Beschäftigte Voraussetzung. Es gibt aber Clubs, die weniger als zehn fest angestellte Mitarbeiter haben, zugleich aber nicht zu den Kleinunternehmen zählen. Das „Gretchen“ ist so ein Beispiel, die haben zwar einen kleinen Zuschuss bekommen, aber der hält bei so einem relativ großen Laden nicht lange vor. Auch viele Festivals haben das Problem, dass sie nicht auf ausreichend viele Festangestellte kommen, sie arbeiten mit vielen Freelancern und „Saisonkräften“. Auf die Situation der Festivals wollen wir bald aufmerksam machen, indem wir einen Tag lang ein Online-Festivalformat zeigen. Das Kick-Off Event ist Ende Juni geplant und soll von ikonischen Orten mit hochkarätigen Berliner Künstler*innen gestreamt werden.

Was bedeutet die fehlende Planungssicherheit für Clubs?

In der Regel werden Künstler mindestens ein halbes Jahr im Voraus gebucht, es müssen Hotelbetten organisiert, Flüge gebucht, Technik geordert werden. Selbst wenn es den Clubs im Herbst ermöglicht wird, Teilbereiche zu öffnen, ist es fraglich, ob sie das alles so schnell hinbekommen. Und wenn etwa ein großer Club ein Drittel der Ladenfläche bestuhlen und entsprechend weniger Publikum einlassen kann, rechnen sich viele Konzerte und Veranstaltungen vorne und hinten nicht.