Vor der Bund-Länder-Konferenz zu Corona: Öffnung mit Notbremse
Das Corona-Infektionsgeschehen hat sich gut entwickelt, sagt die Kanzlerin, man könne über Lockerungen reden. Die Vorschläge des Bundes im Überblick.
Viele Bereiche sollen die Länder unter Beachtung des jeweiligen Infektionsgeschehens und landesspezifischer Besonderheiten selbstverantwortlich regeln. Grundlage dafür seien die gemeinsamen Hygiene- und Abstandskonzepte der jeweiligen Fachministerkonferenzen
Neu an dem Konzept ist ein regionaler Notbremse-Mechanismus: Wenn die Neuinfektionen in einem Landkreis binnen sieben Tagen die Zahl von 50 pro 100.000 Einwohner übersteigen, werden dort die Auflagen sofort verschärft. „Ab einer gewissen Relevanz muss auf eine regionale Dynamik mit hohen Neuinfektionszahlen und schnellem Anstieg der Infektionsrate sofort vor Ort mit Beschränkungen reagiert werden“, heißt es in der Vorlage.
Besonders sensibel seien Lockerungen bei den Schulöffnungen, in der Gastronomie und bei den Hotels. Denn dann komme es wieder zu Reisen in Deutschland, und die Gefahr von neuen Infektionsgeschehen nehme zu, so die Kanzlerin.
Kontaktzahlen:
Für den Anti-Corona-Kampf bleibt es zentral, Infektionsketten nachzuvollziehen, um möglichst alle Kontaktpersonen zu finden, zu testen und notfalls in Quarantäne zu schicken. Ob die Gesundheitsämter das schaffen können, hängt von der Zahl der Neuinfektionen ab. Für den Bund ist es grundsätzlich eine Herausforderung, ein großes Durcheinander von Regelungen quer durch die Republik zu vermeiden. Andererseits können abgestufte Lösungen, die sich am Infektionsgeschehen vor Ort orientieren, genauer passen.
Mindestabstand:
Als weiterhin entscheidend wird in der Vorlage bezeichnet, dass Bürgerinnen und Bürger in der Öffentlichkeit einen Mindestabstand von 1,5 Metern einhalten. Dies sei die wichtigste Maßnahme gerade angesichts der Öffnungen. Sie werde „noch für lange Zeit“ erhalten bleiben.
Geschäfte:
Die Ländern können alle Geschäfte wieder öffnen – ohne Quadratmeterbegrenzung. Es müssten Auflagen zur Hygiene, der Steuerung des Zutritts und zur Vermeidung von Warteschlangen erfüllt werden. Wichtig sei dabei, dass eine maximale Personenzahl von Kunden und Personal bezogen auf die Verkaufsfläche vorgegeben werde. Seit dem 20. April sind kleine und mittlere Läden wieder geöffnet, aber nur bis zu einer Verkaufsfläche bis zu 800 Quadratmetern. Das hatte für Kritik gesorgt. Für Buchhandlungen, Auto- und Fahrradhändler gilt dies ohne die Flächenbegrenzung.
Schulen:
Allen Schülern soll schrittweise unter Auflagen bis zu den Sommerferien eine Rückkehr an die Schulen ermöglicht werden. Schüler mit besonderem Unterstützungsbedarf etwa wegen der häuslichen Situation oder der technischen Ausstattung sollten „möglichst umgehend gezielte pädagogische Präsenzangebote an den Schulen erhalten“.
Abschlussklassen, ältere Grundschüler und Klassen, die nächstes Jahr Prüfungen ablegen, sind bereits vielerorts wieder an den Schulen. Konsens der Bildungsminister der Länder ist außerdem, dass bis zu den Sommerferien etwa über Schichtmodelle alle anderen Schüler wenigstens zeitweise wieder in die Schulen zurückkehren können, dass es aber einen Normalbetrieb erst mal nicht geben wird.
Kinderbetreuung:
Um die schwierige Situation von Familien mit Kindern zu erleichtern, kann vom 11. Mai an eine erweiterte Notbetreuung in allen Bundesländern eingeführt werden. Dazu gehören vordringlich unter anderem Kinder mit besonderem pädagogischen oder Sprachförderbedarf, Kinder, die in beengten Wohnverhältnissen leben – etwa wenn ein eigenes Kinderzimmer fehlt –, sowie Kinder, die am Übergang zur Vorschule oder Schule stehen. Die Einzelheiten sollen die Länder regeln. Diese weiten die Notbetreuung bereits schrittweise aus und haben auch schon weitere Pläne angekündigt.
Krankenhäuser und Pflegeeinrichtungen
In alle bisher schon von den Ländern erlassenen Verfügungen soll eine Regelung aufgenommen werden, „die jedem Patienten/Bewohner einer solchen Einrichtung die Möglichkeit des wiederkehrenden Besuchs durch eine definierte Person ermöglicht wird, sofern es aktuell kein aktives Sars-Cov-2-Infektionsgeschehen in der Einrichtung gibt“.
Großveranstaltungen:
Volksfeste, größere Sportveranstaltungen mit Zuschauern, größere Konzerte, Festivals, Dorf-, Straßen- oder Schützenfeste sowie Kirmes-Veranstaltungen bleiben wegen der Corona-Pandemie untersagt – voraussichtlich bis mindestens zum 31. August. In einigen Ländern sind bereits große Veranstaltungen bis Herbst abgesagt, wie das Oktoberfest in München, das Cannstatter Volksfest in Stuttgart, der Marathon in Berlin.
Kultur:
Museen, Ausstellungen, Gedenkstätten, Zoos oder botanische Gärten können unter Auflagen wieder aufmachen, ebenso Gottesdienste und Gebetsversammlungen. Wie es grundsätzlich im Kulturbetrieb weitergehen soll, ist möglicherweise ebenfalls Gegenstand der Beratungen am Mittwoch.
Tracking-App:
In der Beschlussvorlage wird die „doppelte Freiwilligkeit“ des Einsatzes sowie einer möglichen Datenweitergabe an das Robert-Koch-Institut betont. Gebe ein Bürger die Daten nicht frei, habe dies keinen negativen Einfluss auf die Nutzungsmöglichkeiten der App. Ein konkreter Termin zur Einführung der App wird nach wie vor nicht genannt.
Industrie und Mittelstand:
Da man weiterhin in der Pandemie lebe, müssten nicht erforderliche Kontakte in der Belegschaft und mit Kunden vermieden werden. Zugleich müssten allgemeine Hygienemaßnahmen umgesetzt und die Infektionsrisiken bei erforderlichen Kontakten durch besondere Maßnahmen minimiert werden. Die für den Arbeitsschutz zuständigen Behörden sowie die Unfallversicherungsträger sollen die Unternehmen dabei beraten und Kontrollen durchführen.
Tourismus und Gastronomie:
Viele Bürger fragen sich, wohin sie im Sommer in den Urlaub fahren können. Fernreisen dürften schwierig werden. Aber schon vor den Beratungen am Mittwoch ist klar: Urlaub machen an der deutschen Nord- und Ostsee und in Bayern soll möglich sein. Die Wirtschaftsminister der Länder streben unter Auflagen in einem Korridor von 9. bis 22. Mai eine bundesweite kontrollierte Öffnung des Gastgewerbes an. Für touristische Beherbergungen wird demnach eine Öffnung bis Ende Mai angepeilt.
Pendler:
Nachdem es wegen Grenzschließungen Streit mit Nachbarländern wie Luxemburg, der Schweiz, Polen und Frankreich gibt, könnte das Thema weitere Grenzöffnungen für Pendler in der Runde aufgerufen werden. Dabei soll es zunächst nicht um Tourismus gehen.
Profifußball:
Der Bund will dem deutschen Profifußball grünes Licht für die Wiederaufnahme des seit Mitte März ausgesetzten Spielbetriebs in der 1. und 2. Bundesliga geben. „Dem Beginn des Spielbetriebs muss eine zweiwöchige Quarantänemaßnahme, gegebenenfalls in Form eines Trainingslagers, vorweggehen“, heißt es in der Beschlussvorlage. Als voraussichtlicher Termin für den Beginn der „Geisterspiele“ ohne Zuschauer gilt der 15. oder der 21. Mai – ein genauer Termin ist in der Beschlussvorlage offengelassen.
Ein von der Deutschen Fußball Liga (DFL) vorgelegtes Konzept hat zwar mehrere Ministerpräsidenten und auch den für Spitzensport zuständigen Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) überzeugt. Mehrere Corona-Fälle beim 1. FC Köln und ein Video, in dem der inzwischen suspendierte Hertha-Profi Salomon Kalou eindrucksvoll dokumentiert, wie Abstandsregeln missachtet werden, lässt allerdings Zweifel aufkommen.
Sport:
Der Bund will den Sport- und Trainingsbetrieb im Breiten- und Freizeitsport in Deutschland unter freiem Himmel unter Bedingungen wieder erlauben. In der Vorlage wird auf einen entsprechenden Beschluss der Sportminister der Länder vom 28. April Bezug genommen. Dort werden als Bedingungen für die Wiederaufnahme des Sportbetriebs unter anderem genannt, dass ein ausreichend großer Personenabstand von 1,5 bis 2 Metern gewährleistet und der Sport kontaktfrei ausgeübt wird.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Exklusiv: RAF-Verdächtiger Garweg
Meldung aus dem Untergrund
Anschlag in Magdeburg
„Eine Schockstarre, die bis jetzt anhält“
Wirbel um KI von Apple
BBC kritisiert „Apple Intelligence“
Russische Männer auf TikTok
Bloß nicht zum Vorbild nehmen
Streit um Russland in der AfD
Chrupalla hat Ärger wegen Anti-Nato-Aussagen
Umgang mit nervigen Bannern
Bundesrat billigt neue Regeln für Cookies