: „Ein Fanal gegen die staatliche Ordnung“
Anklage im Mordfall Lübcke erhoben. Den Rechtsextremisten Stephan Ernst habe Hass getrieben
Von Konrad Litschko
Die Tat sorgte für Entsetzen. In der Nacht zum 2. Juni 2019 wurde der Kasseler Regierungspräsident Walter Lübcke mit einem Kopfschuss ermordet – mutmaßlich von dem Rechtsextremisten Stephan Ernst. Es war der erste rechtsextreme Mord an einem Politiker in der Bundesrepublik. Nun erhebt die Bundesanwaltschaft Anklage.
Sie wirft Ernst Mord vor. Er habe seinen „Fremdenhass“ auf den CDU-Politiker „projiziert“, der für eine Aufnahme von Geflüchteten in Deutschland plädiert hatte. Die Ermittler hatten Ernst wegen einer DNA-Spur am Tatort festgenommen. Der 47-Jährige hatte den Mord zunächst gestanden: Er habe Lübcke erschossen, weil dieser Flüchtlingsgegner auf einer Bürgerversammlung im Oktober 2015 in Kassel-Lohfelden kritisiert hatte. Dann aber widerrief Ernst sein Geständnis – und benannte seinen Freun, den Mitbeschuldigten Markus H., als wahren Mörder. Gemeinsam sei man zu Lübcke gefahren, um ihn einzuschüchtern. Dabei habe Markus H. den CDU-Politiker „versehentlich“ in den Kopf geschossen.
Die Ermittler glauben diese Version jedoch nicht. Ernst habe sich vielmehr seit der Bürgerversammlung in einen Hass auf den CDU-Politiker gesteigert. Spätestens nach der Silvesternacht in Köln 2016, als es zu Übergriffen von Migranten auf Frauen kam, habe er den Entschluss gefasst, Lübcke zu töten – als „öffentlich beachtetes Fanal gegen die von ihm abgelehnte gegenwärtige staatliche Ordnung“.
Wiederholt habe Ernst das Wohnhaus von Lübcke ausgespäht. Den Tattag habe er bewusst gewählt, weil dort in Lübckes Wohnort ein Dorffest stattfand. In der Dunkelheit habe er sich an Lübcke herangeschlichen und ihn aus kurzer Entfernung in den Kopf geschossen.
Markus H. wird dennoch mitangeklagt – wegen Beihilfe zum Mord. Er soll Ernst in seinem Mordplan bestärkt haben. Beide hatten auch rechte Demonstrationen besucht. H. habe Ernst damit „Zuspruch und Sicherheit“ für dessen Tat vermittelt. In einem getrennten Verfahren wird weiter gegen den Trödelhändler Elmar J. ermittelt, der Ernst 2016 die Tatwaffe für 1.100 Euro verkauft haben soll.
Stephan Ernst wirft die Anklage zudem noch einen versuchten Mord vor: Bereits im Januar 2016 soll er in Kassel-Lohfelden einen irakischen Asylsuchenden angegriffen haben – vor der Erstaufnahmestelle, über die Lübcke damals informiert hatte. Mit einem Rad sei er an den 22-Jährigen herangefahren und habe eine Parole gerufen. Der Iraker habe den Zuruf nicht verstanden und wollte Ernst vorbeilassen. Darauf habe ihm dieser von hinten mit einem Messer in den Rücken gestochen. Nach taz-Informationen soll eine DNA-Spur an einem Messer von Ernst ihn überführt haben. Auch mit dieser Tat wollte Ernst „seinen rechtsextremistischen Hass auf Flüchtlinge ausleben“, so die Anklage.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen